Nach Missbrauchsbericht: Debatte um Beichtgeheimnis in Frankreich
Nach der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts zu Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche Frankreichs streiten Politik und Bischöfe über das Beichtgeheimnis. Regierungssprecher Gabriel Attal sagte am Donnerstag, dass Innenminister Gérald Darmanin auf Wunsch von Präsident Emmanuel Macron den Vorsitzenden der Französischen Bischofskonferenz, Erzbischof Éric de Moulins-Beaufort, zu einem Gespräch einbestellt habe. De Moulins-Beaufort hatte am Mittwoch in einem TV-Interview gesagt, das Beichtgeheimnis stehe über den Gesetzen der Republik. "Nichts steht über den Gesetzen der Republik", so Attal. Das Gespräch sei für kommenden Dienstag angesetzt.
Die Aussagen des Bischofskonferenzvorsitzenden hatten im laizistisch verfassten Frankreich für Empörung gesorgt. De Moulins-Beaufort wurde gefragt, ob ein Priester die Polizei einschalten müsse, wenn bei einer Beichte ein Missbrauchsfall bekannt wird, oder ob die Beichte über den Gesetzen des Landes stehe. Auf mehrfache Nachfrage sagte er, dass die Beichte über den Gesetzen stehe. Er räumte jedoch ein, dass die Kirche einen Umgang mit dieser Problemlage finden müsse. Außerdem könne es sein, dass ein Kind sich in der Beichte nur deshalb offenbare, weil es um das Beichtgeheimnis wisse. Später ergänzte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, dass die Beichte rechtlich einem Berufsgeheimnis gleichkomme, dessen Aufhebung das Strafrecht nicht verlange. Priester, die eine Beichte abnehmen, müssten geschult werden, Opfer darin zu begleiten, sich auch außerhalb der Beichte einer Hilfsperson anzuvertrauen.
Am Dienstag hatte eine unabhängige Untersuchungskommission in Paris den Bischöfen und Ordensoberen einen rund 2.500 Seiten starken Bericht übergeben. Demnach gab es in der katholischen Kirche in Frankreich seit 1950 geschätzt 216.000 minderjährige Opfer sexueller Übergriffe durch Priester und Ordensleute. Man habe zwischen 2.900 und 3.200 potenzielle Täter ermittelt. Nimmt man Laien und Kirchenmitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen, Schulen, Pfarreien und Katechese hinzu, so kommt die Kommission sogar auf geschätzt 330.000 Opfer. Die Untersuchungskommission fordert unter anderem, Priestern die Anzeige mutmaßlicher Täter zu erleichtern, wenn sie im Beichtgespräch Hinweise auf sexuellen Missbrauch erhalten. Die französischen Bischöfe hatten die Untersuchung im November 2018 selbst in Auftrag gegeben.
Das Beichtgeheimnis genießt im Kirchenrecht einen hohen Stellenwert und kann nicht einfach abgeschafft werden. Seine Unverletzlichkeit komme "direkt aus dem göttlichen Offenbarungsrecht und ist im Wesen des Sakraments verwurzelt", so dass es im kirchlichen Bereich keine Ausnahme zulasse, betonte 2019 die Apostolische Pönitentiare in einer Note. Wenn ein Priester es bricht, droht ihm dafür die Exkommunikation. In Deutschland wie in vielen anderen Ländern wird das Beichtgeheimnis auch vom staatlichen Recht geachtet. Ähnliche Debatten wie aktuell in Frankreich gibt es auch in Australien im Zuge des dortigen kirchlichen Missbrauchsskandals. (mal)