Jurist hält Aufweichung des Beichtgeheimnisses für undenkbar
Der Priester und Rechtsexperte Oliver Rothe hält eine Aufweichung des kirchlichen Beichtgeheimnisses durch den deutschen Staat für ausgeschlossen. Das Beichtgeheimnis sei "integraler Bestandteil des Grundgesetzes", sagte der promovierte Jurist dem Münsteraner Portal "Kirche+Leben" am Dienstag. "Der Staat schützt das sogenannte Beichtsiegel insbesondere durch das Zeugnisverweigerungsrecht des Priesters." Diesen Schutz habe der Staat vertraglich gegenüber dem Vatikan zugesichert – eine Verpflichtung, die er nicht einseitig auflösen könne.
Das Zeugnisverweigerungsrecht leite sich aus dem Recht auf private Lebensgestaltung sowie aus dem Recht auf freie Religionsausübung ab, argumentierte der Priester im Bistum Münster weiter. Ein Eingriff in diese Grundrechte sei unverhältnismäßig – außer wenn nachgewiesen würde, dass ein lockereres Beichtsiegel Kindesmissbrauch verhindern würde. Wenn Priester jedoch das in der Beichte erlangte Wissen weitergeben müssten, dann würden weder Täter noch Opfer das Beichtgespräch suchen.
Auch die Kirche sollte ihre Vorschriften zum Beichtgeheimnis nicht ändern, sagte Rothe. Hilfebedürftigen Menschen würde sonst ein wertvoller Schutzraum genommen. Zudem "entfiele dadurch die einzigartige Möglichkeit des Priesters, sich in einem Beichtgespräch dafür einzusetzen, dass der Täter sich den Ermittlungsbehörden stellt." Statt das Beichtsiegel auszuhöhlen müsse die Kirche effektive Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt durch Priester ergreifen.
Bonner Rechtswissenschaftler rechnet mit neuer Debatte
In eine andere Richtung hatte zuletzt der Bonner Rechtswissenschaftler Gregor Thüsing argumentiert. Er erwarte eine neue Debatte über das Beichtgeheimnis in Deutschland, sagte der Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und des Rechts der sozialen Sicherheit an der Universität Bonn der "Welt" ebenfalls am Dienstag. "Denn auch der Geistliche steht nicht über dem Gesetz, und was an Kindermissbrauch gebeichtet worden sein mag, ohne dass ein weiterer Missbrauch verhindert wurde – das ist grausam bis zum Aufschrei des Entsetzens." In seinen Augen stelle das Beichtgeheimnis wegen seiner uneingeschränkten Geltung im säkularen Staat einen Fremdkörper dar, ergänzte der Experte.
Nachdem in Frankreich vor Kurzem das Ausmaß des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche bekannt wurde, fordern Kritiker dort eine Änderung des Beichtgeheimnisses. Es gilt seit dem 13. Jahrhundert für die gesamte römisch-katholische Kirche und verpflichtet den Beichtvater zum unbedingten Stillschweigen über das, was er durch eine Beichte erfahren hat. Rechtlich ist das Beichtgeheimnis sowohl im völkerrechtlich bindenden Konkordat zwischen Deutschland und dem Vatikan als auch in staatlichen Gesetzen abgesichert. (mfi/KNA)