Bindender Vertrag zwischen Staat und Heiligem Stuhl

Bier: Gesetzesänderung zum Beichtgeheimnis wäre hochproblematisch

Veröffentlicht am 22.10.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg ‐ In der Diskussion um Missbrauch in der Kirche kommt das Beichtgeheimnis unter Druck, denn es gilt auch bei Strafprozessen. Der Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier erklärt im katholisch.de-Interview, warum eine andere Haltung des Staates hochproblematisch wäre.

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Nach der Präsentation einer Studie zum Ausmaß von Kindesmissbrauch in der Kirche Frankreichs ist dort eine Diskussion über die Bedeutung des Beichtgeheimnisses in Strafprozessen entbrannt. Das Beichtgeheimnis gilt seit dem 13. Jahrhundert und verpflichtet einen Beichtvater zum unbedingten Stillschweigen über das, was er durch eine Beichte erfahren hat. Im Interview erklärt der Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier die Situation in Deutschland und welche Auswirkungen eine Aufhebung dieser Regelung hätte.

Frage: Herr Bier, nach der Veröffentlichung einer Studie zu Missbrauchsfällen in der Kirche Frankreichs wird dort das Beichtgeheimnis diskutiert, besonders beim Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht. Auch in Australien gab es diese Auseinandersetzung schon. Wie ist denn die Lage in Deutschland?

Bier: In Deutschland haben Geistliche, aber auch generell Seelsorgerinnen und Seelsorger, ein Zeugnisverweigerungsrecht aufgrund von Regelungen in der Strafprozessordnung und der Zivilprozessordnung. Über das, was sie in ihrer Eigenschaft als Seelsorger erfahren haben, müssen sie also nicht sprechen, sondern sind zur Zeugnisverweigerung berechtigt – für sie gelten damit ähnliche Regeln wie etwa für Rechtsanwältinnen, Ärzte, Bundestagsabgeordnete oder Journalistinnen. Es geht darum, eine Vertraulichkeit im Amt zu schützen, aufgrund derer diese Personen Informationen überhaupt erhalten. Dieses Recht hat aber seine Grenzen, bei Journalistinnen etwa, wenn es um Straftaten geht.

Frage: Hier liegt der Knackpunkt: Eine Ärztin kann von ihrer Schweigepflicht entbunden werden, ein Priester könnte vom Beichtgeheimnis aber nicht dispensiert werden. Warum?

Bier: Weltlich gesehen könnte ein Priester von der Verschwiegenheitspflicht entbunden werden, aber der Geistliche hat trotzdem das Recht, sich nicht zu äußern. Diese Ausnahmeregelung in der Strafprozessordnung und der Zivilprozessordnung geht auf den Artikel neun des Reichskonkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich von 1933 zurück. Dort wird festgehalten: "Geistliche können von Gerichtsbehörden und anderen Behörden nicht um Auskünfte über Tatsachen angehalten werden, die ihnen bei Ausübung der Seelsorge anvertraut worden sind und deshalb unter die Pflicht der seelsorgerlichen Verschwiegenheit fallen." Diese Regelung liegt also noch unterhalb des Beichtgeheimnisses; es geht um alles, was Geistliche im Zusammenhang mit der Seelsorge erfahren. Vom Konkordat her hilft da auch keine Schweigepflichtsentbindung, weil der Geistliche trotzdem nicht dazu angehalten werden kann, eine Aussage zu machen.

Im Hintergrund steht hier das Beichtgeheimnis, das nach kirchlichem Recht unverletzlich ist. Es ist absolut unzulässig, dass der Beichtvater etwas berichtet, das er aus der Beichte erfahren hat. Davon kann er auch nicht entbunden werden. Generell ist das auch für den Zusammenhang eines Gerichtsprozess völlig ausgeschlossen. Es droht dem Beichtvater die Tatstrafe der Exkommunikation. Im Reichskonkordat hat der Staat dieser kirchenrechtlichen Bestimmung Rechnung getragen.

Frage: Wie begründet die Kirche diese Absolutheit?

Bier: Die Beichte bewirkt die Versöhnung mit Gott, er ist derjenige, der die Sünden vergibt. Der Beichtvater ist lediglich der Mittler dieser von Gott gewährten Vergebung. Es ist also ein Geschehen zwischen Gott und der Sünderin oder dem Sünder. Zudem ist das Beichtgeheimnis essenziell für das Funktionieren dieses Sakraments. Es gelingt, weil Beichtende sich sicher sein können, dass die Inhalte der Beichte nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Nur wegen dieser Sicherheit können sie sich entsprechend öffnen. Wenn es das Beichtgeheimnis nicht gäbe, wäre zweifelhaft, dass sich Beichtende vollständig offenbaren.

Bild: ©Privat

Georg Bier ist Professor für Kirchenrecht und Kirchliche Rechtsgeschichte an der Universität Freiburg.

Frage: Nehmen wir an, einem Priester wird bei der Beichte eine schwere Straftat gestanden und es bestände eventuell sogar die Gefahr der Wiederholung. Welche Möglichkeiten hat er, aktiv zu werden, ohne gegen das Beichtgeheimnis zu verstoßen?

Bier: Er hat bedauerlicherweise nicht sehr viele Möglichkeiten. Er kann niemanden einschalten, denn schon indirektes Handeln würde einen Bruch des Beichtgeheimnisses bedeuten. Die einzige Möglichkeit für ihn wäre, im Beichtgespräch auf den Beichtenden einzuwirken, dass sie oder er sein Tun einstellt und sich den Strafverfolgungsbehörden stellt. Dass er betont, dass es mit der Beichte nicht getan ist.

Natürlich könnte der Beichtvater darauf beharren, dass der Beichtende sich stellt – und sonst die Absolution verweigern. Denn er kann in einem solchen Fall an der Reue zweifeln. Aber das bleibt natürlich in einem theologischen Raum, das löst die Probleme mit Straftaten nicht.

Frage: Könnte der Staat diese Sonderregelung für das Beichtgeheimnis aufheben?

Bier: Selbstverständlich können die Strafprozessordnung und die Zivilprozessordnung geändert werden, auch in diesen umstrittenen Punkten. Es ist natürlich fraglich, ob dazu der politische Wille bestände. Doch es können – etwa durch eine verstärkte gesellschaftliche Diskussion – in der Tat Umstände auftreten, die den politischen Druck da erhöhen. Es bleibt dann aber das Problem, dass eine solche Änderung im Konflikt mit dem Vertrag zwischen Deutschland und dem Heiligen Stuhl steht, das wäre hochproblematisch. Diese Vereinbarung kann der Gesetzgeber nicht einseitig ändern. Doch selbst, wenn er sich über diese Bedenken hinwegsetzte, könnte er lediglich den Druck auf Geistliche erhöhen – etwa mit Geld- oder Gefängnisstrafen. Aufgrund des kirchlichen Rechts wären Beichtväter weiterhin verpflichtet, das Beichtgeheimnis zu wahren. Ein Priester stände dann vor der Wahl, sich einer weltlichen oder kirchlichen Strafe auszusetzen. Es ist nicht ausgemacht, dass sich ein Priester in einer solchen Situation dem Staat beugt, anstatt einfach zum Beispiel für eine Zeit ins Gefängnis zu gehen.

Frage: Welche Folgen hätte eine solche Regelung, außer vielen Priestern im Gefängnis, denn noch?

Bier: Das würde das Staat-Kirche-Verhältnis belasten, vor allem mit der katholischen, aber auch mit der evangelischen Kirche. Denn der Schutz der Seelsorge gilt für alle Geistlichen, der Staat behandelt die Religionen und Weltanschauungen hier in gleicher Weise. Da könnte es insgesamt zu Verwerfungen zwischen Staat und Religionen kommen.

Die katholische Kirche würde sicher darauf pochen, dass gegen das verbindliche Reichskonkordat verstoßen wird. Sie wird nämlich nicht bereit sein, für Geistliche in Ländern je nach säkularer Rechtssetzung Sonderregelungen zu erlassen. Die Unverletzlichkeit des Beichtgeheimnisses gilt überall – und eine Änderung dieser Regelung ist nicht abzusehen. Sie würde ihre Geistlichen dann wohl eher anweisen, Strafen des Staates in Kauf zu nehmen.

Von Christoph Paul Hartmann