Christenpflicht Veganismus? "Wir haben uns von der Natur entfremdet!"
Kaum zwei Prozent der Deutschen ernähren sich vegan oder verzichten weitgehend auf Tierprodukte – aber die Zahl wächst. Aus ganz unterschiedlichen Gründen: wegen des Leids der Tiere, wegen des Klimas. Auch Theologen sprechen sich immer wieder gegen zu viel Fleischkonsum oder Fleischkonsum überhaupt aus. Bei katholisch.de hatten zuletzt Ruth Kaiser und Monika Hoffmann vom "Christlichen Arbeitskreis Tiere und wir" für vegane Lebensweise plädiert – und die heutige Haltung der Kirche zu Tieren sogar mit der früheren Haltung zu Sklaverei verglichen. Der Beitrag wurde heftig diskutiert. Diakon Jürgen Donhauser hält die Argumente für fleischfreie Ernährung nicht für stichhaltig. Der Landwirt, der selbst Schweine hält und sich für eine lebenswerte und faire Zukunft für Landwirte engagiert, erläutert im Interview, warum er nach sieben Jahren Öko-Landwirtschaft wieder auf konventionelle Produktion umgestiegen ist – und warum das für ihn auf einer Linie mit Papst Franziskus und seiner Umwelt-Enzyklika liegt.
Frage: Herr Diakon Donhauser, aus der akademischen Theologie hört man viele Stimmen, die sich für eine vegetarische oder vegane Lebensweise aussprechen. Sie sehen das anders – als Landwirt und als Christ. Woran liegt diese unterschiedliche Einschätzung von Fleischkonsum?
Donhauser: Ich glaube, dass nicht nur Akademiker sich von der Realität und von der Natur entfremdet haben. Als Diakon im Nebenberuf kenne ich beide Seiten: die Theologie und die Natur, die ich täglich erlebe und mit der ich täglich arbeite. Ich habe den Eindruck, dass für viele die Natur ein Gegensatz zum täglichen Leben in der Stadt ist, zu Arbeit, zu Hektik und Stress: In die Natur geht man zur Erholung, da kann ich mich entspannen, da soll es idyllisch sein. Die Realität ist aber anders. Wer als Landwirt oder Gärtner arbeitet, der weiß: Die Natur ist ein täglicher Kampf um Lebensraum und Ressourcen. Manche scheinen davon auszugehen, dass wir unser Dasein auf der Erde völlig ohne Schaden für die Natur gestalten könnten. Das ist schlichtweg nicht möglich. Uns muss bewusst sein, dass allein unsere Anwesenheit als Mensch auf diesem Planeten schon zwangsläufig Auswirkungen hat. Wir brauchen Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken, Nahrung zum Essen. Wir brauchen einen Platz, wo wir wohnen – und mit all dem stehen wir, ob wir es wollen oder nicht, in direkter Konkurrenz mit allen anderen Spezies auf dieser Erde.
Frage: … und die Erde sollen sich die Menschen untertan machen, wie es im ersten Schöpfungsbericht heißt?
Donhauser: Ich denke, dieser berühmt-berüchtigte Ausspruch in Genesis, wo wir Menschen stehen, sollte uns eigentlich Entlastung bringen, indem wir wissen, dass unser Dasein auf der Erde zwangsläufig Auswirkungen auf die Tiere und Natur um uns herum hat. Dabei geht es nicht darum, die Natur zu unterwerfen oder zu knechten – aber darum, diesem Konflikt nicht auszuweichen.
Frage: Gibt es eine christliche Haltung zum Konsum und zur Produktion von Fleisch? Gibt es Grenzen?
Donhauser: Die Grenze ist dann überschritten, wenn das Tier, das für uns gelebt hat und gestorben ist, nicht mehr geehrt wird. Wenn ein Großteil dessen, was aus dem Tier entstanden ist, Fleisch, Wurst, einfach weggeworfen wird. Es gibt Urvölker, die sich beim Tier dafür bedanken, dass es sein Leben gelassen hat, um sie zu ernähren. Das ist eine gute Haltung. In solchen Kulturen wird auch das ganze Tier verwertet und nichts weggeworfen. Bei uns werden vom Schwein nur die edlen Teile gegessen: Schnitzel, Kotelett, Schinken. Oft wirft man uns vor, wir würden zuviel für den Export produzieren – aber was exportieren wir denn aus Deutschland? Das, was hier nicht mehr gekauft wird. Der ganze Kopf, die Füße, der Schwanz, all das, was deutsche Verbraucher nicht essen wollen. Deshalb wird das nach Asien exportiert, wo es eine Delikatesse ist. Das wäre nicht nötig, wenn wir hier das ganze Tier verwerten würden. Was wäre da denn die Alternative zum Export? Soll man den Rest wegwerfen?
Frage: Eine Forderung, die nicht so weit geht wie vegane Ernährung, ist ökologische Landwirtschaft. Sie haben das einige Jahre lang gemacht, dann aber wieder aufgegeben. Warum?
Donhauser: Wegen des Tierschutzes. Wir haben unseren Betrieb sieben Jahre lang ökologisch bewirtschaftet und in dieser Zeit unseren Bestand drastisch reduziert. Danach haben wir aber wieder auf konventionelle Produktion umgestellt. Es ist ein weit verbreiteter Trugschluss, dass es in kleinen Betrieben und am besten in Ökobetrieben den Tieren besser gehen würde. In staatlichen Versuchsgütern wie dem Haus Düsse in Nordrhein-Westfalen oder der Landesanstalt für Schweinezucht in Boxberg in Baden-Württemberg wird nebeneinander ökologische und konventionelle Schweinehaltung betrieben und untersucht. Jedes Jahr kann man in den Versuchsberichten nachlesen, dass die Krankheits- und Mortalitätsraten im ökologischen Bereich höher sind als im konventionellen.
Frage: Woran liegt das? Im Kopf hat man Bilder von glücklichen freilaufenden Schweinen auf Stroh im Ökolandbau und dicht an dicht gedrängten Schweinen auf Beton in der Massentierhaltung.
Donhauser: Das ist ein idyllisches Bild mit dem Auslauf und dem Stroh – aber das muss man auch rational durchdenken. Wenn man nur zwei, drei Schweine halten würde, wäre das kein Problem. Aber auch im ökologischen Bereich braucht man mindestens zwischen 60 und 80 Mutterschweine, um ein Familieneinkommen zu erwirtschaften – und dann wird die Idylle zum hygienischen Fiasko. Das ist wie bei den Menschen: Wenn irgendwo zwei, drei Familien allein leben, gehen sie hinters Haus, um ihre Notdurft zu verrichten, das ist kein Problem. Schon in einem Dorf, erst recht in einer Stadt wie München oder Berlin braucht es eine Infrastruktur, um Hygiene zu gewährleisten – sonst kollabiert alles. Und genauso ist es in der Tierhaltung. Das Schwein auf dem Stroh wirkt idyllisch. Aber warum schlafen wir Menschen nicht mehr auf Stroh, sondern auf guten Matratzen? Stroh zieht Feuchtigkeit, bietet ideale Voraussetzungen für Pilze, für Hefen, für Milben und so weiter. Das ist unhygienisch. Aber bei Tieren sieht man darin immer noch das Heil. Das bringen wir Praktiker nicht zusammen.
Frage: Ist Massentierhaltung und Tierwohl vereinbar?
Donhauser: Ich habe einen Ferkelaufzuchtstall mit 1.200 Ferkeln. Da geht bei Ihnen wahrscheinlich gleich die Warnlampe an: Um Gottes Willen, Massentierhaltung! Aber das ist nicht ein riesiger Raum mit 1.200 dicht an dicht gedrängten Ferkeln. Der Stall ist nach Altersgruppen in sechs Räume unterteilt; je nach Alter haben die Tiere andere Bedürfnisse. Jeder Raum hat acht Buchten – also nur 25 Tiere in einer Bucht, die so hoch ist, dass die Tiere nicht darüber springen können. Die kriegen nur ihre 24 Artgenossen mit – für die Tiere macht es von daher keinen Unterschied, ob sie bei mir im Stall oder bei einem Landwirt sind, der insgesamt nur 25 Ferkel hat. Was ich den Ferkeln aber bieten kann, was der kleine Landwirt nicht kann: Wir haben eine klimatisierte Luftführung, die Gase, die mit Kot und Urin abgesetzt werden, das Ammoniak, kommen gar nicht in die Nähe der Tiere. Der Kot fällt nach unten weg, die Tiere kommen nie in Kontakt mit ihren Ausscheidungen. Wir haben unterschiedliche Bereiche, um den unterschiedlichen Bedürfnissen der Tiere gerecht zu werden, die Temperatur wird über eine Zuluftkühlung geregelt. Das sind wesentlich angenehmere Bedingungen für Schweine als in einem Ökobetrieb mit Außenklima und auf Stroh, wo die Tiere im Sommer völlig überhitzen und verzweifeln.
Frage: Das sind aber wahrscheinlich nicht die Bedingungen, unter denen das billigste Stück Fleisch im Discounter produziert wird.
Donhauser: Es kommt auf die Herkunft an. Nur in Deutschland gibt es diese extrem strengen Richtlinien. Solange Discounter nicht verpflichtet sind, die Herkunft lückenlos zu dokumentieren, kaufen sie irgendwo billig im Ausland ein, wo solche Standards nicht erfüllt werden. Verbraucher sollten ganz genau auf die Herkunft achten. Wir sprechen da von "Fünf D": in Deutschland geboren, in Deutschland aufgezogen, in Deutschland gemästet, in Deutschland geschlachtet, in Deutschland zerlegt. Damit ist lückenlos nachgewiesen, dass diese hohen Anforderungen auch wirklich umgesetzt werden.
Frage: Neben dem Tierwohl ist ein Argument für eine fleischarme Ernährung der Klimaschutz. Können Sie das nachvollziehen?
Donhauser: Während unserer Zeit als ökologischer Betrieb haben wir festgestellt, dass durch die extensiven Haltungsformen die Tiere 20 bis 25 Prozent länger leben mussten, um die Schlachtreife zu erreichen – also auch 20 bis 25 Prozent mehr Zeit klimaschädliche Gase durch Verdauung produzieren und mehr Futter und Wasser brauchen, um den gleichen Ertrag zu bekommen. Bei Milchvieh ist es genauso, wo eine Hochleistungskuh zwölf Tonnen Milch im Jahr erzeugt, eine Ökokuh nur vier. Deshalb hat die UN-Welternährungsorganisation FAO schon vor Jahren die bevorzugten Gebiete in der Welt aufgefordert, die Tierhaltung zu intensivieren, weil das klimaschonender ist, als wenn eine extensiv gehaltene Kuh nur ein paar Liter erzeugt. Wir können jetzt darüber streiten, ob man überhaupt Fleisch und tierische Produkte essen sollte. Das ist aber müßig. Wir werden nicht daran vorbeikommen, dass es Menschen gibt, die das weiterhin wollen. Es stellt sich nur die Frage, wie wir das am besten für das Klima machen können. Und das ist nicht der Ökolandbau.
Frage: Man könnte die Menge an produziertem Fleisch reduzieren.
Donhauser: Tierhaltung kann man nicht einfach durch Nutzpflanzenzucht ersetzen. Zwei Drittel des Bodens auf der Erdoberfläche ist nicht für den menschlichen Verzehr direkt nutzbar, um Pflanzen als Nahrungsmittel für Menschen anzubauen. Diese Flächen sind nur nutzbar über den Umweg über die Tiermägen. Wir brauchen tierische Produkte, um gerade angesichts einer steigenden Weltbevölkerung diese Flächen für die Ernährung von Menschen nutzbar zu machen.
Frage: Ist das in Deutschland auch der Fall?
Donhauser: Auf alle Fälle. Zum Beispiel im Bayerischen Wald oder im Allgäu gibt es viele Flächen, die nur über Wiederkäuer nutzbar gemacht werden können. Bei Schweinen kommt noch dazu, dass sie als Allesfresser viel verwerten, was sonst weggeworfen werden müsste: Zuckerschnitzel, die bei der Zuckerherstellung aus Rüben abfallen, Apfeltrester vom Apfelsaft, Leinsamenschrot und Sojaextraktionsschrot aus der Ölproduktion. Soja hat keinen guten Ruf. Es ist das größte Missverständnis überhaupt, dass wegen Tierhaltern der Regenwald abgeholzt wird. Das stimmt nicht. Das Produkt, um das es bei Sojaplantagen geht, ist das Öl. Und was bei der Pressung übrig bleibt, wird verfüttert.
Frage: Statistiken zufolge wird aber ein Großteil der Sojaernte verfüttert.
Donhauser: Was die Mengen angeht. Wenn man aber den Preis für Sojaöl und Futtermittel aus Soja vergleicht, wird klar, warum Soja angebaut wird. Der Preis des Sojas nur für die Fütterung wäre viel zu hoch, wenn sich nicht das extrahierte Öl lohnen würde. Für uns Landwirte wäre es absolut uninteressant, Soja aus Südamerika zu importieren. Nur weil das für die Ölmühlen so interessant ist, können wir hier die Reste verfüttern.
Frage: Sie sind nicht nur Landwirt, sondern auch Diakon. Gehen Sie als engagierter Christ anders an die Landwirtschaft heran als andere Bauern?
Donhauser: Das kann ich nur schwer beantworten. Ich treffe ehrlich gesagt nicht viele Landwirte, die nicht auch Christen sind. Nur weil ich Diakon bin, bin ich kein anderer Landwirt. Als Diakon begegne ich aber vielen verzweifelten Landwirten, die sehr unter Zukunftsängsten leiden und darunter, wie sie in den Medien dargestellt werden – das geht bis hin zu Selbstmordgedanken. Denen versuche ich als Diakon beizustehen – und zwar als einer, der sie versteht, der selbst erlebt, wie schwer es ist, den eigenen Kindern sagen zu müssen, dass der Betrieb, der seit Generationen in der Familie ist, keine Zukunft hat.
Frage: Hatten Sie schon Kontakt mit den Theologen, die sich gegen Tierhaltung und Fleischkonsum ausgesprochen haben? Wie reagieren die auf Ihre Schilderungen aus der Praxis?
Donhauser: Bisher habe ich von denen nur gelesen, ich hatte keinen direkten Kontakt.
Frage: Und wenn sie diese Theologen einen Monat zu sich auf den Hof einladen würden, um mitzuleben und mitzuarbeiten. Was denken Sie: Was würden die hinterher dazugelernt haben?
Donhauser: Dass sie die Wertschätzung, die Landwirte ihren Tieren gegenüber haben, völlig unterschätzt hatten. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wenn bei uns Ferkel auf die Welt kommen, dann ist mein ältester Sohn rund um die Uhr im Stall und hilft, wo es nur geht, dass die Ferkel gut auf die Welt kommen und ihnen nichts passiert. Es gibt zwar einige Vorsichtsmaßnahmen, damit sich die Sauen nicht auf die Ferkel legen und sie nicht erdrücken, wie Ferkelschutzkörbe. Aber manchmal passiert doch etwas. Da habe ich es schon erlebt, dass mein Sohn ein Ferkel unter einer Sau vorzieht, das keine Lebenszeichen mehr hatte – und mit Mund-zu-Mund-Beatmung und Herzdruckmassage hat er es wieder ins Leben zurückgeholt. Das können sich Menschen, die nicht mit der Landwirtschaft aufgewachsen sind, gar nicht vorstellen, wie wir uns um die Tiere kümmern. Gleichzeitig ist aber immer klar, dass das Nutztiere sind, die von Anfang an dazu bestimmt sind, irgendwann geschlachtet zu werden. Das ist für viele Menschen unverständlich – da würde es bestimmt helfen, einen Monat den Hof mitzuerleben. Dann denke ich, würde auch ein akademischer Theologe anders auf Viehzucht schauen.
Frage: Auch Papst Franziskus hat sich intensiv mit Umweltfragen befasst und die erste Umwelt-Enzyklika geschrieben. Wie haben Sie Laudato si gelesen? Finden Sie da ihre Themen und anliegen wieder?
Donhauser: Absolut, da finde ich mich gut wieder. Der Fokus des Papstes ist es, darüber nachzudenken, wie wir mit der Natur leben und was das für Konsequenzen für die Menschen hat – auch die Menschen, die weit weg leben und die wir vielleicht nie sehen. Das war für mich der Hauptgrund, mich von der ökologischen Landwirtschaft zu verabschieden: Ich konnte es nicht moralisch verantworten, aus ideologischen Gründen die Ressourcen nicht zu nutzen, die wir haben. Es gibt wenige Gebiete auf der Welt mit so guten Bedingungen für Landwirtschaft wie bei uns. Mit unseren Niederschlägen, unseren Temperaturen, unseren Böden können wir in Deutschland gute Erträge erwirtschaften. Da kann ich es nicht verantworten, aus ideologischen Gründen zu sagen, dass ich auf den Ertrag verzichte und mit extensiver Landwirtschaft nur noch ein Drittel erwirtschafte. Seit fünf Jahren unterschreiten wir in Deutschland den Selbstversorgungsgrad. Das heißt: Wir müssen Lebensmittel von den Weltmärkten importieren. Wir haben nach wie vor genug Geld, um uns am Weltmarkt zu bedienen. Aber zu welchem Preis? Was wir für gutes Geld kaufen, können die ärmsten der Armen sich nicht leisten, und so lange wir im Westen gut zahlen, werden die Machthaber in Unrechtsregimen weltweit lieber Nahrung nach Europa verkaufen, als die eigene Bevölkerung zu versorgen. Mit jeder Extensivierung verschärfen wir die Situation! Ich denke, das ist ganz auf der Linie von Laudato si: Hier Verantwortung zu übernehmen mit dem, was wir haben und können, und nicht aus ideologischen Gründen Nein zur Landwirtschaft bei uns zu sagen, wo Gott uns doch dafür so gute Bedingungen in Deutschland geschaffen hat.