Fleischlos leben! Die Kirche sollte sich für mehr Tierwohl einsetzen
Kennen Sie den Köln-Tatort? Am Ende, wenn der Fall gelöst ist, stehen die Kommissare Schenk und Ballauf an einer Imbissbude am Rhein und essen Currywurst. Die haben sie sich verdient. Die Ordnung ist wiederhergestellt; die Zuschauer*innen können zufrieden sein. Für dieses kollektive Wohlgefühl, dafür steht die Wurst. Sie schmeckt feurig, macht satt, wärmt den Bauch; sie ist billig, praktisch, gut. Wenn denn nur nicht ein Tier dafür hätte leiden und sterben müssen … Wer mit diesem spaßverderberischen Argument kommt, wird gerne abgespeist mit dem Hinweis "Na, komm, Fleisch gegessen hat man doch schon immer!". Das ist wohl wahr. Aber die Tatsache, dass etwas über lange Zeit praktiziert wird, macht das Praktizierte noch lange nicht richtig.
Ein ebenso drastisches wie schmerzliches Beispiel für fortgesetztes Falsches ist das Verhältnis der Kirche zur Sklaverei. Fangen wir mit diesem Beispiel an, dann brauchen wir den Blick nicht weit schweifen zu lassen, bevor wir bei den so genannten Nutztieren landen. Hier ist zwar nicht von Sklaventum die Rede, aber die Strukturen, denen diese Tiere ausgeliefert sind, weisen genau dessen Merkmale auf. In einem dritten Schritt können wir uns dann eine Runde Spekulation (oder Hoffnung) gönnen: Was wäre, wenn wir auch im Verhältnis zu Tieren mit dem Falschen aufräumten? Wenn wir Tiere mit anderen Augen sähen? Wenn wir sie als Vollmitglieder unserer Schöpfungsgemeinschaft anerkennten, die genau wie Menschen das Recht haben zu leben? Was würde das für unsere Küche, unsere Kinder und unsere Kirche bedeuten?
Entstehung des Christentums eng mit Sklavenfrage verbunden
Christentum und Sklaverei? Ad hoc denkt man dazu vielleicht an das Sklavenhaus Ägypten oder an die römische Besatzungsmacht, also an Sklaverei von außen. Tatsächlich aber ist das Christentum selbst aus einer sklavenhaltenden Gesellschaft hervorgegangen und schöpft aus der Sklaverei. So ist einiges Vokabular bei dem wir uns heute nichts Arges denken, durchaus wörtlich zu verstehen: Wir Christ*innen sind durch Christus erlöst. Die Erlösung/redemptio ist der Loskauf. In diesem Sinne mahnt Paulus die Gemeinde von Korinth: "Ihr gehört nicht euch selbst, denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden" (1 Kor 6,19-20). Den Galatern erklärt er, dass sie Sklaven falscher Götter waren, bis Gott seinen Sohn sandte, "damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen" (Gal 4,5). Die Unbefangenheit im Wortgebrauch zeigt, dass Sklavenhaltung sowohl für Paulus als auch für die adressierten Gemeinden eine ganz normale Lebensweise war.
Das Gleiche gilt für Jesus. Er spricht mit Sklav*innen und über sie, so etwa in seinen Gleichnissen. (In der EÜ ist das nicht immer zu erkennen, da von Knechten und Mägden oder von Dienern die Rede ist.) Doch er unterlässt es, gegen ihren Status zu rebellieren. Paulus setzt diese Linie fort. Die Freiheit der Christenmenschen ist eine innere Freiheit. Ansonsten gilt: Ein jeder nach seinem Stande. "[J]eder soll vor Gott in dem Stand bleiben, in dem ihn der Ruf Gottes getroffen hat" (1 Kor 7,24). Das heißt konkret: Sklav*innen sollen Sklav*innen bleiben.
Dass die (freien) Menschen zu jener Zeit die Sklaverei so hinnahmen, hatte neben praktischen Gründen auch eine philosophische Rechtfertigung. Manche Menschen, so hatte Aristoteles argumentiert, seien von Natur aus dazu bestimmt, Sklaven zu sein. Grund dafür sei ihr Mangel an Vernunft. Die besäßen sie nicht von sich aus, sondern könnten sie höchstens von anderen annehmen. So gesehen konnten vernunftlose Sklav*innen schon geradezu dankbar sein, dass vernunftbegabte Sklavenhaltende über sie verfügten. Für christlich denkende Menschen allerdings hatte die Begründung des Aristoteles einen Haken: Sie passte nicht ganz mit der Vorstellung von der Gottebenbildlichkeit des Menschen zusammen. Die Lösung kam – wie in so vielen kirchlichen Zweifelsfällen – von Augustinus. Er machte als letzten Grund der Sklaverei die Sünde aus. Der Beweis dafür: Ein Mensch bösen Willens, selbst wenn er nicht als Sklave einem anderen Menschen gehöre, sei trotzdem Sklave, nämlich Sklave seiner eigenen Begierde. So hat die Sklaverei den Charakter einer Strafe für die Sünde. Damit trägt sie dazu bei, dass die natürliche Ordnung, die durch die Sünde gestört ist, wiederhergestellt wird. Das macht die Sklaverei zu einem Instrument der Ordnung.
In derselben Abhandlung des Augustinus (Gottesstaat, Buch 19, Kap. 15) gibt es eine Stelle, die in den folgenden Jahrhunderten die afrikanische Bevölkerung teuer zu stehen kommen sollte. Augustinus verweist auf Noach, den Gerechten, der als Erster das Wort "Sklave" in den Mund genommen habe. Er habe damit die Verfehlung seines Sohnes Ham bestraft: Dessen Sohn Kanaan sollte seinen Brüdern Sklave sein (Gen 9). Damit war sie in der Welt: die Verknüpfung von Ham, der als Urvater aller schwarzer Menschen galt, und der Sklaverei. Mehr brauchten die Europäer nicht, um ihre Ausbeutung von Menschen als Sklav*innen auch in ihrem Glauben zu rechtfertigen.
Die Kirche duldete die Sklaverei, beteiligte sich an ihr, nutzte sie. Sklav*innen waren ein Wirtschaftsfaktor. Deshalb blieb Kritik lange Zeit begrenzt – auf einzelne Personen, Gruppen oder Aspekte. Erst 1888 war Schluss. Papst Leo XIII. verurteilte die Sklaverei. Wohlgemerkt: Zu dem Zeitpunkt hatte Brasilien als letztes katholisches Land die Sklaverei abgeschafft, es war kein wirtschaftlicher Schaden mehr zu befürchten. Heute fällt es uns schwer zu verstehen, wie die Kirche die Tradition der Sklaverei so lange mitmachen konnte, da doch das Unrecht so offensichtlich ist. Für die Kirche von heute ist es ganz klar: Sie will und duldet keine menschliche Sklaverei. Das sagt sie laut und deutlich und immer wieder. Diese Tradition ist vom Tisch.
Kirche äußert sich zu zaghaft zur Ausnutzung von Tieren
Versklavte Tiere – das ist kein gängiges Wortpaar, aber trotzdem eine treffende Beschreibung. Denn der Umgang mit den so genannten Nutztieren weist etliche Parallelen auf zum Umgang mit Sklav*innen. Beide dürfen nicht über sich selbst verfügen, sondern werden von anderen für deren Zwecke benutzt. Ein Schwein darf sich nicht als Schwein ausleben, sondern muss – ihm völlig artfremd – sein Leben in einer Mastanlage verbringen. Beide zählen allein als wirtschaftlicher Wert, ein Eigenwert wird ihnen nicht zuerkannt. Ein männliches Küken, dessen Aufzucht sich nicht rechnet, wird in den Schredder geschmissen, ein schwächliches Ferkel an die Wand geklatscht. Beide haben ein hohes Maß an physischer und psychischer Gewalt und Grausamkeit zu ertragen. Beide sind ausgeschlossen von Grundrechten. "Die Würde ist unantastbar" – das galt nicht für Sklav*innen, und es gilt nicht für Tiere.
Und was sagen wir alle, die wir Kirche sind? Erstaunlich wenig. Zwar erheben sich einzelne Stimmen (Gott sei Dank immer mehr!), aber die große mächtige Organisation schweigt. Sie hält an der Überzeugung fest, dass das Wohl der Menschen an der ersten Stelle zu stehen habe, da er das Ebenbild Gottes sei. Der Rest sei ihm untertan. So leben wir unbedarft weiter, als gäbe es kein Tierleid. Bei Pfarrfesten werden Würste aufgefahren, bei Wallfahrten Gulaschkanonen und bei Weihnachtstafeln Gänsebraten. Um uns herum derweil seufzt die Erde: mit Dürren und Überschwemmungen, mit Wirbelstürmen und Extremtemperaturen. Menschen wie Tiere verlieren ihre Lebensräume. Menschen fliehen; Tierarten sterben aus. Und wir? Wir halten an unserem traditionellen Lebensstil fest, inklusive Fleischessen nach Lust und Laune. Dabei sind die Fakten uns allen zugänglich: Wir zerstören die Erde, und wir verursachen Leid. Wäre es da nicht an der Zeit, auch die Versklavung der Tiere zu beenden?
Was wäre, wenn wir das täten? Die Tiere kämen raus aus dem Verborgenen und wären mitten unter uns. Damit wäre die Erde wieder ein gemeinsames Haus, nicht ein Menschenhaus mit einem Untergeschoss des Grauens. Wir würden Tieren begegnen und sie in ihrer Eigenheit wahrnehmen. In ihrem Gegenüber könnten wir das Tierliche in uns selbst erkennen. Das könnte uns milder stimmen mit uns selbst und mit anderen. Es könnte uns helfen, wegzukommen von dem Gedanken, dass wir Hochleistungsmenschen sein müssen. Wir könnten ein Stück weit Frieden finden in der Zufriedenheit der Tiere. Stichwort Frieden: Unser Verhältnis zur Gewalt wäre ein anderes, eins mit einer niedrigeren Toleranzschwelle. Wir wären nämlich nicht länger abgestumpft durch die mannigfache Gewalt an Tieren; wir wären als Gesellschaft weniger verroht.
Veränderungen im Kleinen – Kirche könnte glaubhafter werden
Große Veränderungen fangen oft im Kleinen an, in diesem Fall in der Küche. Die wäre fleischfrei, bunter und gesünder. Kein Fleisch zu essen wäre das Normale; es doch zu tun wäre jedes Mal von Neuem eine bewusste Entscheidung. Es wäre also genau andersherum als heute: Erklären müssten sich die Fleischesser*innen, nicht die Veggies. In einer solchen Normalität würden dann auch Kinder anders heranwachsen: mit einem Sinn für die gleichen Rechte anderer, mit Einfühlungsvermögen und mit Achtung vor jeglichem Leben. Und sie bekämen die Ehrlichkeit, die sie verdienen: Statt in die Gewohnheit des Fleischessens hineinerzogen zu werden, würden sie zu gegebener Zeit, wenn sie die Zusammenhänge verstehen, selbst entscheiden, ob sie Tiere essen wollen oder nicht. Und so manches Kind würde sich sagen: "Tiere sind meine Freunde. Meine Freunde ess ich nicht."
Was hätte die Kirche davon, wenn sie diesen Weg einschlüge? Sehr viel. Erstens würde sie sich der Vernunft fügen und damit glaubhaft werden. Denn kein vernünftiger Mensch kann wahrhaft glauben, dass das derzeit an Tieren ausgeübte Unrecht rechtens ist. Zweitens würde sie ausbrechen aus ihrem dauernden Um-sich-selbst-herum-Kreisen und in die Wirklichkeit der Welt zurückkehren. Dort ist ihr eigentlicher Wirkungskreis. Drittens könnte sie mit ihrer klaren Absage an Gewaltverhältnisse ihr Gespür für Gewalt in den eigenen Reihen verfeinern. Vielleicht würde sie es dann schaffen, geschehenen Missbrauch aufzuarbeiten und fortan Missbrauch zu vermeiden. Viertens könnte die Kirche so gegen ihre zunehmende gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit angehen. Sie würde sich mit den Ärmsten gemein machen und eine spirituelle Quelle sein für die Suchenden. Fünftens – und das ist womöglich das Wichtigste – würde sie den Geist der Erneuerung einlassen und gestärkt durch diesen Geist alles, was Atem hat, mitnehmen auf seinem Weg durch die Zeit.
Die Autorinnen
Ruth Kaiser und Monika Hoffmann sind Mitglieder im "Christlichen Arbeitskreis Tiere und wir" (Tiwis). Zur weiterführenden Lektüre empfehlen sie den Aufsatz des Dogmatikers Thomas Ruster von der TU Dortmund "Die menschliche Sklaverei wurde abgeschafft, die tierische geht weiter. Das Dispositiv der Sklaverei im Christentum", erschienen in dem Buch "Religiöse Gewalt an Tieren: Interdisziplinäre Diagnosen zum Verhältnis von Religion, Speziesismus und Gewalt" (transkript-Verlag, Bielefeld 2021).