Sozialpsychologe Welzer: Teufel muss säkularisiert werden
Der Sozialpsychologe Harald Welzer sieht die Aufklärung auf halbem Weg steckengeblieben. Gott sei für tot erklärt worden, der Teufel aber nicht, sagte der Wissenschaftler in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" (Wochenende). So komme es, dass der Unfall, die Katastrophe, das Misslingen immer als Abweichung von der Normalität gesehen werde, nicht aber als Teil von ihr. So werde ein Terroranschlag oder ein Erdbeben immer als "eine Art negatives Wunder" gesehen und als "tragisch" oder "unvorstellbar" überhöht.
"Es muss dann auch immer ein Schuldiger gefunden werden, der das zu verantworten hatte", sagte Welzer. Dabei könne immer etwas passieren. Wer mit unglücklichen Vorkommnissen rechne, könne besser mit ihnen umgehen. Die Kultur der Gegenwart sei von einem höchst erfolgreichen "Konzept der Unendlichkeit" getrieben, vom unerschütterlichen Glauben daran, "dass alles immer so weitergeht".
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Im Umgang mit "Endlichkeitsproblemen" sei es indes nicht ideal, keine Vorstellung von Endlichkeit zu haben, sagte der Sozialwissenschaftler. Die Themen des 21. Jahrhunderts wie Artensterben und Klimawandel seien jedoch alles Endlichkeitsprobleme. "Wenn die Insekten weg sind, sind sie weg. Und wir auch. Ganz einfach."
Der 63-Jährige erlitt im April 2020 einen schweren Herzinfarkt, den er nur knapp überlebte. Er sagte, seither sehe er vieles entspannter, mache weniger und habe auch weniger Schuldgefühle. In seinem neuen Buch "Nachruf auf mich selbst" regt Welzer dazu an, das eigene Leben vom Ende her zu denken und eine Kultur des Aufhörens zu etablieren.
Der SZ sagte der Autor, das Schreiben dieses Buches habe seine Angst vor dem Tod gelindert, "weil ich über den Tod und das Sterben nicht mehr so hinweglebe". Deswegen finde er es aber natürlich immer noch nicht toll, "dass wir alle sterben müssen". (KNA)