Religionspädagoge Biesinger als Professor verabschiedet

Renommierter Theologe, Terminchaot

Veröffentlicht am 05.06.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Ein Mann spricht in eine Kamera.
Bild: © KNA
Wissenschaft

Tübingen ‐ Der Tübinger Religionspädagoge Albert Biesinger (65) wird am Freitag mit einem Festakt aus dem Dienst der Universität verabschiedet. In den vergangenen Jahrzehnten untersuchte er in vielen ökumenischen und interdisziplinären Projekten, wie in Familien, Kitas, Grundschulen und Berufsschulen religiöse Erziehung geschieht.

  • Teilen:

Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass der Schlüssel religiöser Sozialisation die Familie ist. Er lernte nach eigenen Worten bei Aufenthalten in Peru und Chile, dass Erstkommunion-Vorbereitung am nachhaltigsten ist, wenn die Eltern eingebunden werden. Die dortigen Konzepte nennt Biesinger "eine Gabe Lateinamerikas für die Weltkirche". Den gegen ihn erhobenen Vorwurf, er überfordere die Eltern, weist Biesinger zurück: Es gelte, Eltern und Familienstrukturen so zu nehmen, wie sie sind. "Wir dürfen Eltern auch religiös etwas zutrauen."

Player wird geladen ...
Video: © Julia Semeras i. A. des Kath. Medienverbandes

Titel: Das große Buch der Elternschule Hrsg. v. Albert Biesinger und Andrea Wohnhaas Verlag: Schwabenverlag Preis: 24,90 Eur

Erschüttert über Antijudaismus und Antisemitismus

Angefangen hatte Biesingers wissenschaftliche Karriere in Tübingen. Dort studierte er Theologie, später Erziehungswissenschaften. Im Rahmen eines Projekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über die Darstellung des jüdisch-christliches Verhältnisses im Religionsunterricht habilitierte er und war dabei "über Antijudaismus und Antisemitismus erschüttert". Weil er ein kirchliches Lehrbuch aus dem Bistum Essen analysierte, drohte die Berufung auf einen Lehrstuhl zunächst zu scheitern. Dem späteren Kardinal Karl Lehmann , so erzählt es Biesinger, gelang es, auf Ebene der Deutschen Bischofskonferenz Widerstände des verstorbenen Essener Kardinals Franz Hengsbach zu überwinden, der eine Berufung an die Ruhr-Universität verhindern wollte. "Ohne Karl Lehmann", sagt Biesinger, "wäre ich nie Professor geworden".

Macht Biesinger mehr kaputt als 50 Jahre Kommunismus?

Salzburg war 1982 die erste Uni, die ihn berief. Ein Jahr später ließ sich der verheiratete Vater von vier Kindern dort zum Diakon weihen. 1991 wechselte der Mitherausgeber der " Theologischen Quartalsschrift " nach Tübingen. Dort engagierte er sich beim Internationalen Diakonatszentrum (IDZ), einer weltweit einzigartigen Einrichtung. Biesinger kümmerte sich um die Entwicklung von Ausbildungskonzepten für Diakone und arbeitete dabei auch mit dem Lateinamerikanischen Bischofsrat CELAM zusammen.

Schon seit den Salzburger Jahren verfasste Biesinger Schulbücher. Und machte dabei meist, aber nicht immer gute Erfahrungen. Als er nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1990 gebeten wurde, ein Religionsbuch für Litauen zu entwerfen, tat er das. Erzkonservative Kreise ließen ein Buch, das in Österreich schon in Einsatz war, im Vatikan überprüfen. Eine römische Behörde kam zur Erkenntnis, dass das, was 50 Jahre Kommunismus an Glaube und Moral im Baltikum nicht hätten zerstören können, Biesingers Buch in einem Jahr bei Kindern kaputt machen würde. Damals war es Joseph Ratzinger, der weiterhalf. Das Buch wurde schließlich doch für Litauen gedruckt.

Metzgerlehrlinge und angehende Friseurinnen

Der Freund des Befreiungstheologen Gustavo Gutierrez ging auch selbst in die Berufsschule, unterrichtete Metzgerlehrlinge und angehende Friseurinnen. Er will jungen Menschen helfen, auch unter den Anforderungen des Berufs ihre Religiosität weiterentwickeln zu können. Biesinger schätzt nach eigenem Bekunden angstfreie Kommunikation und hat "Freude an kleinen Konflikten". Er redet mit allen und jedem, egal ob Politiker, Kirchenobere, Kollegen, "gerne auch mit Atheisten und Agnostikern". Am liebsten aber mit einfachen Leuten.

Im Ruhestand will Biesinger die Ergebnisse seiner Forschungen bei Fortbildungen "in die Breite kommunizieren" und mehr Zeit für seine Ehefrau, Kinder und Enkelkinder haben. Er bezeichnet sich als "begeisterten Staubsauger". Der "reinste Genuss", denn bei dieser Arbeit sehe man direkt Ergebnisse. Dass der Sprössling einer Kleinbauern-Familie jetzt wie bei Loriots Klassiker "Papa ante portas" die Haushaltsleitung übernehmen will, muss seine Frau, eine gelernte Kinderkrankenschwester laut Ehemann nicht befürchten. Angst vor Langeweile hat er auch nicht, eher die Sorge, all seine Verpflichtungen zu erfüllen. Schließlich sieht er sich als "Terminchaot - aber mit einer logistisch begabten Frau".

Von Michael Jacquemain (KNA)