Gegen Kritik verteidigt: Französische Studie zeige Missbrauchskultur
Theologen der Universität Straßburg widersprechen der Kritik an der französischen Missbrauchsstudie durch Mitglieder der Katholischen Akademie Frankreichs. In einem Gastbeitrag für die Zeitung "Le Monde" wiesen der systematische Theologe und Universitätspräsident Michel Deneken, und die Moraltheologen Marie-Jo Thiel und Marc Feix Ende vergangener Woche den Vorwurf von acht Mitgliedern der Akademie, darunter ihr Präsident, zurück, die unabhängige Missbrauchsstudie habe "die Institution Kirche zu Fall bringen" wollen. Die Stellungnahme der Akademie-Mitglieder, die auch innerhalb der Mitgliedschaft der 2008 gegründeten wissenschaftlichen Einrichtung kontrovers diskutiert wurde und zu Austritten geführt hatte, entspringe einer "klerikalen Selbstbezogenheit" und werde dem Leid der Opfer nicht gerecht.
Die Straßburger Theologen betonen, dass die Mitglieder der unabhängigen Kommission die Betroffenen sexualisierter Gewalt angehört hatten. In deren Aussagen seien auch systemische Ursachen für den Missbrauch deutlich geworden, die von der Gruppe der Akademie verworfen wurden. So sei das asymmetrische Machtverhältnis zwischen Klerikern und Laien, insbesondere Frauen, deutlich geworden, und die theologische und geistliche Verbrämung von Taten durch Täter oder Kleriker, die sie deckten. "Man wird sich auch der Rolle bewusst, die eine Moraltheologie spielt, die in Fragen der Sexualethik stammelt, sowie einer pervertierten Auffassung von Sünde, die Missbrauchstäter sogar dazu gebracht hat, die Schuld umzukehren und ihren Opfern sakramentale Vergebung anzubieten", betonen die Autoren des Le-Monde-Artikels.
Systemischer Ansatz hilfreich für Überwindung der Krise
Der systemische Ansatz der Kommission sei angemessen, da er einen guten Schlüssel zum Verständnis von Institutionen biete. "Er ermöglicht es, eine Vielzahl von begünstigenden Ursachen miteinander zu verbinden, von denen keine allein ausreichend ist, die aber, wenn sie sich summieren und gegenseitig potenzieren, ihre Auswirkungen vervielfachen", so die Gruppe um den Straßburger Universitätspräsidenten. Die Missbrauchskrise könne nicht auf einen oder zwei Faktoren zurückgeführt werden, sondern auf eine "Missbrauchskultur", die sich auf "Geheimhaltung und Schweigen, das Eindringen in das Gewissen und eine ausschließliche Fixierung auf das sechste Gebot stütze".
Die Kritiker hatten zudem die Zahlen der Studie bezweifelt, die aufgrund von Stichproben das Dunkelfeld errechnet hatte und so auf bis zu 330.000 Missbrauchsbetroffene kommt. Anstatt über knapp 2.800 Zeugenaussagen zu sprechen, die in die Studie eingeflossen seien, werde nur noch über eine nicht belegte Hochrechnung gesprochen, so die Kritik. Die Straßburger Theologen halten dem entgegen, dass über die Hochrechnung eine Größenordnung erkannt und eine Vergleichbarkeit mit anderen Ländern hergestellt werden könne. Eine Kritik an den ermittelten Zahlen eigne sich zudem nicht, um das Problem zu relativieren: "Eine Quantität reicht nie aus, um eine Situation ethisch zu qualifizieren."
Kritiker sehen theologische Mängel
Mit der unabhängigen Missbrauchsstudie habe die Kirche in Frankreich nun eine Grundlage, um "einen distanzierten, mutigen und klaren Blick auf die für ihre Glaubwürdigkeit im Sinne des Evangeliums unerlässlichen Veränderungen zu richten", so die Straßburger Theologen weiter. Die Akademie-Kritik beklagte dagegen, dass sich die Studie lediglich auf die Evangelien Bezug nehme und den Katechismus und die Morallehre der Kirche außer acht lasse; ihr liege eine "unvollkommene Ekklesiologie, eine schwache Exegese und eine überholte Moraltheologie" zugrunde.
Der Abschlussbericht der unabhängigen Untersuchungskommission zu Missbrauch in der Kirche (Ciase) hatte Anfang Oktober über Frankreich hinaus für Entsetzen und eine erneute Intensivierung der Debatte über Missbrauch in der Kirche geführt, Papst Franziskus sprach von "Scham" und "Schande". Der Bericht geht von bis zu 330.000 Betroffenen, sexueller Übergriffe durch Priester, Diakone und Ordensleute seit 1950 aus, davon bis zu 216.000 minderjährige Betroffene. Die Dunkelfeldstudie beruht auf "Hochrechnungen auf sexualwissenschaftlicher Basis". (fxn)