Warum ein früherer Personenschützer heute Schutzengel macht

Herberge für die Heilige Familie: Zu Besuch beim Bonner Krippenbauer

Veröffentlicht am 21.12.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Er hat schon als Personenschützer, Fotograf und bei der Bank gearbeitet – heute baut Wolfang Mans hauptberuflich Krippen. In seiner Bonner Werkstatt erzählt er, wie er zu dem ungewöhnlichen Handwerk gekommen ist und gibt einen Einblick, warum es wohl einer der schönsten Berufe der Welt ist.

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"Der Heiligen Familie eine Herberge zu geben – wenigstens im Kleinen –, das bleibt etwas Besonderes", sagt Wolfgang Mans. Der großgewachsene 65-Jährige steht inmitten seiner Kunstwerke und strahlt. So sehr, dass es auch hinter seiner bunt gestreiften Maske nicht zu übersehen ist. Seit rund 15 Jahren ist er hauptberuflich Krippenbauer. Wenn er die Materialien für einen neuen Stall aussucht und einen Plan entwirft, wie Maria, Josef und das Jesuskind darin Platz finden können, ist das für ihn mehr als ein Beruf. Es ist ein Ausdruck seines tiefen Glaubens, den er sich bewahrt hat, auch wenn er mit den "Statuten der Kirche" nicht mehr viel anfangen kann, wie er sagt. Um zu erfahren, wie Mans nach einer wechselvollen Biographie zum Krippenbau kam, will ich den geselligen Rheinländer persönlich treffen.

Auf den großen Weihnachtsmärkten der Umgebung sucht man seine Werke jedoch vergeblich. "Mit den Preisen aus der Serienproduktion kann und will ich nicht mithalten", erklärt Mans. Außerdem gehe es dort viel zu hektisch zu und ein Großteil der Leute sei nur auf den schnellen Konsum aus. Wenn überhaupt, stellt Mans seine Krippen auf kleineren Handwerksmärkten wie dem auf Schloss Bensberg in Bergisch Gladbach aus, aber der musste auch in diesem Jahr pandemiebedingt abgesagt werden. Wer die weihnachtlichen Herbergen bestaunen will, muss den Krippenbauer schon bei sich zuhause in Bonn besuchen.

Krippenbauer Wolfgang Mans in seiner Werkstatt
Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Nach einem Urlaub in Bayern entdeckte Wolfgang Mans seine Begeisterung fürs Krippenbauen. Später hat er sein Hobby zum Beruf gemacht.

Mein Weg führt mich deshalb auf den Venusberg am Rande der ehemaligen Bundeshauptstadt. Zwischen den beschaulichen Ein- und Zweifamilienhäusern deutet nur ein hölzerner Schaukasten drauf hin, dass sich hier Außergewöhnliches zuträgt. Der Kasten hat selbst ein krippentypisches Giebeldach und hinter der Glasscheibe sind kleine Weihnachtsszenen und Engelsfiguren zu sehen. Dass das nur ein bescheidener Vorgeschmack ist, erfahre ich, nachdem mir Ute Mans die Haustür geöffnet und mich die schmale Treppe zum Obergeschoss hinaufgewiesen hat. Dort finde ich ihren Mann in seinem Ausstellungsraum. Der ist kein LED-blinkender Showroom, sondern ein ehemaliges Wohnzimmer mit Dachschräge und Fichtenholzesstisch – und eröffnet trotzdem eine kleine Wunderwelt.

"Das sind alles Unikate"

Auf den bis unter die Decke reichenden Regalböden reiht sich eine Krippe an die nächste, keine davon ist wie die andere. Hier sieht man einen klassischen Stall mit Holzverschlag und Heuboden, dort eine Naturherberge, die kunstvoll aus geschwungenen Wurzeln und ein paar Mooskissen zusammengesetzt ist. "Das sind alles Unikate", erzählt Mans stolz. Zwar gebe es bestimmte Krippentypen, die er immer wieder baue – wie die Allgäuer Krippe mit den verputzten Wänden oder die Fränkische mit ihrem filigranen Fachwerk –, aber selbst da achte er auf kleine Variationen. Auch moderne Kreationen gehören in sein Repertoire: Bei einer abstrakten Krippe umarmen sich die rund geformten Holzfiguren gegenseitig und bilden einen schützenden Kreis um das Jesuskind.

Zu jedem Einzelstück kann der Krippenbauer eine Geschichte erzählen, weiß noch genau wo das Material herkommt oder wie das Design entstanden ist. Wenn er mit seiner Frau im Allgäu oder in Tirol im Urlaub ist, hat er immer eine Klappsäge dabei. Fällt ihm beim Wandern eine besondere Holzformation auf, hat er sofort eine konkrete Verwendung für das Stück vor Augen und trägt es im Gepäck mit nach Hause. "Inzwischen weiß meine Frau: Der halbe Kofferraum ist für meine Wurzeln und Äste reserviert", sagt Mans und lacht. Durch seinen ungebremsten Ideenreichtum kommt es auch mal zu ausgefalleneren Unterkünften für das hochheilige Paar. So hat Mans bereits eine Krippe in einer Weinkiste untergebracht und eine andere der Gestalt des Fußballstadions von Borussia Dortmund nachempfunden – die Frucht eines geselligen Abends.

Eine Krippe aus modernen Holzfiguren
Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Auch moderne Krippen gehören zum Sortiment von Wolfgang Mans: Die Figuren aus Eschenholz werden zunächst gedrechselt und erhalten dann mit einem Handschleifgerät ihre endgültige Form.

So vielseitig wie die Ausstellung seiner Werke ist auch Mans Lebensweg. "Als Sechsjähriger habe ich zwar mit meinem Opa mal einen Hühnerstall zusammengeklopft, aber eine Vorbereitung für den Krippenbauer war das wohl nicht", erzählt er. Seine Berufe hat Mans mehrfach gewechselt und dabei immer nach Bachgefühl entschieden. So sei er nach der Schule durch ein Werbeplakat beim Bundesgrenzschutz gelandet. Vier Jahre war er dort im Dienst und arbeitete zeitweise sogar als Personenschützer für die damalige Bundestagspräsidentin Annemarie Renger. Mit Mitte 20 schulte Mans zum Fototechniker um und fotografierte für AGFA unter anderem Safaris in Kenia und die Unterwasserwelt der Malediven. Als das Unternehmen nach dem Mauerfall nach Ostdeutschland übersiedelte, wechselte der heimatverbundene Rheinländer erneut den Beruf und fand bei der Bank einen krisensicheren Job.

"Das krieg ich doch selber hin"

Zum Krippenbau kam Mans schließlich durch einen Urlaub in Bayern. Seine Frau hatte sich dort in eine handgemachte Krippe verliebt. "Und wie Männer eben sind, habe ich gleich gesagt: Ach, das krieg ich doch selber hin", berichtet er lachend. An der Umsetzung seines Versprechens fand er damals großes Gefallen – und seine Freunde und Verwandten am Ergebnis: Immer mehr von ihnen wollten nun ebenfalls eine handgemachte Krippe, sodass Mans nach einigen Jahren beschloss, dem Bankgeschäft den Rücken zu kehren und sein neues Hobby zum Beruf zu machen. "Die Entscheidung, ganz auf den Krippenbau umzusteigen, war eine kontrollierte Offensive", sagt er. Kontrolliert sei der Neuanfang gewesen, weil Mans auf finanzielle Rücklagen zurückgreifen konnte, offensiv, weil nicht absehbar war, ob der Plan aufgehen würde. Heute lebt Mans ausschließlich vom Krippenbau und kann sich keinen schöneren Beruf vorstellen.

Ein Mann arbeitet an einer Drechselbank
Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Beim Drechseln der Zirbelkiefer tritt ein kräftiger Harzgeruch aus. Weil der ätherische Duft beruhigende Wirkung hat, wurden Zirbelspäne früher beispielsweise im Schlafzimmer ausgelegt.

Damit ich die Begeisterung für sein Handwerk besser verstehen kann, führt mich der Krippenbauer in seine Werkstatt. Es sind nur wenige Schritte durch das erste Schneegestöber des Winters bis zum Hintereingang der Doppelgarage. Hier hat sich Mans sein Reich eingerichtet, nachdem der Bastelkeller bald zu klein für all das Holz, die Maschinen und das Werkzeug geworden war. Schon beim Betreten der Werkstatt überwältigt mich ein angenehmer Geruch von Harz und trockenem Holz. Der niedrige Raum ist komplett vollgestellt mit verschiedenen Säge-, Bohr- und Schleifmaschinen. An der Fensterseite befindet sich eine lange Werkbank, darauf Zangen, Schraubenzieher und Hämmer in allen Formen und Größen. Weiter hinten lagern in einem Regal dicke Bretter und Wurzelhölzer. Überall liegen angefangene Werkstücke herum, an den Wänden und den Deckenbalken hängen zahllose Postkarten, Fotos und kleine Erinnerungsstücke. Alles ist mit einer feinen Schicht Holzstaub überzogen.

"Wenn ich ein Stück Kiefer oder Birne auf der Drechselbank habe, ist der Duft unbeschreiblich", sagt Mans und bindet sich seine Lederschürze um. Ob ich selbst schon einmal gedrechselt hätte, fragt er mich, während er ein Holzstück in die Drehachse einspannt. Habe ich nicht – aber ehe ich mich versehe, halte ich einen langstieligen Drechselstahl in der Hand und Mans schiebt mich ermutigend in Richtung der Maschine. Als ich das Werkzeug vorsichtig in das schnell rotierende Holzstück eintauche, ruckelt es heftig in meinen Händen. Unter lautem Schrubben fliegen die Späne in alle Richtungen. Und tatsächlich: Augenblicklich verbreitet sich ein ätherischer Kieferngeruch und steigt tief in die Nase, trotz Schutzmaske. "Man ist so unmittelbar mit diesem großartigen Naturstoff in Kontakt, das ist bei der Holzarbeit einmalig", schwärmt mein Mentor – und ich kann nur zustimmen.

"Bringt mir am besten den heiligen Josef mit"

Unter dem Jahr produziert Mans Fensterschmuck, Osterfiguren, Schutzengelchen und Holzspielzeug. Auch die gedrechselten Obstschalen sowie kleine Schatullen und Brotdosen aus duftendem Zirbelholz sind sehr beliebt. Mit dem Krippenbau beginnt der Autodidakt dann ab dem Spätsommer. Rund 50 Arbeitsstunden stecken in jeder Krippe. Wie viele er schon verkauft hat, kann Mans nicht genau sagen, aber auf 20 bis 30 Stück pro Jahr komme er sicher. Seine Werke sind längst auf der ganzen Welt zuhause – wenn es auf die Weihnachtszeit zugeht, stellt sich Mans gerne vor, wo sie überall für Freude sorgen.

Wolfgang Mans arbeitet an einer Krippe
Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Die klassische Stallkrippe erfreut sich ungebrochener Beliebtheit. Eine "echte Mans" erkennt man an dem kleinen Baumpilz, den der Krippenbauer an seinen Häuschen anbringt – hier direkt unter dem Dachgiebel.

"Bringt mir am besten den heiligen Josef mit", trägt er Kunden auf, die bei ihm eine Krippe bestellen. Das seien oft jüngere Leute, die gerade eine eigene Familie gründen. "Viele haben von den Großeltern alte Krippenfiguren geerbt, aber der dazugehörige Stall ist verloren gegangen oder kaputt", erklärt Mans. Gemeinsam mit den Besitzern überlegt er dann, welcher Stil und welche Materialien zu den Erbstücken passen. Da die Figur des Josefs meistens die größte ist, richtet er an ihr den Maßstab der Krippe aus. Anschließend lässt der Krippenbauer seiner Kreativität freien Lauf.

Auf dem Holzdach der Werkstatt trippelt leise der Schneeregen, dazu das gleichmäßige Sirren der Drechselbank oder der Dekupiersäge: eine fast meditative Klangkulisse. Bereits nach der kurzen Zeit, die ich in Mans Arbeitswelt eintauchen konnte, glaube ich zu verstehen, warum ihn sein Beruf so begeistert. Der Umgang mit den Maschinen erfordert höchste Aufmerksamkeit und erfüllt einen gleichzeitig mit einer tiefen Ruhe. Die Holzspäne, die sich überall in großen Haufen sammeln, dämpfen nicht nur die Schritte, sondern schlucken scheinbar auch Hektik und Zeitdruck. Und schließlich ist da noch der geistliche Aspekt, der dem Krippenbauer so wichtig ist: Während in vielen Kindergärten und Kirchen dieser Tage wieder die Herbergssuche aufgeführt wird, finden Maria und Josef bei Wolfgang Mans ganzjährig ein Zuhause – und alle, die seine Werke betrachten, vielleicht ein Gefühl von Geborgenheit in einer oft so ungastlichen Welt.

Von Moritz Findeisen