Interview mit Pater Jürgen Knobel

Stille zum Hören auf Gott: Warum ein Eremit die Einsamkeit sucht

Veröffentlicht am 02.01.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
#jetzthoffnungschenken

Lindow (Mark) ‐ Pater Jürgen Knobel ist einsam – hat sich das aber selbst ausgesucht. Als Eremit ist Einsamkeit für ihn ein hochanspruchsvoller und kontemplativer Weg der Selbst- und Gottsuche. Im katholisch.de-Interview spricht er darüber, wie er es schafft, auch die schwierigen Seiten der Einsamkeit auszuhalten.

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Seit 2014 gibt es im brandenburgischen Lindow die Klause St. Bernhard – und seit ihrer Errichtung lebt Pater Jürgen Knobel dort als Diözesaneremit. Im Interview erklärt er, warum er sich für diesen Weg entschieden hat, was er aus dem Leben in Abgeschiedenheit zieht und was er Menschen rät, die Einsamkeit verspüren.

Frage: Pater Knobel, ich stelle mir das Leben als Eremit ziemlich einsam vor. Wie einsam sind Sie denn?

Knobel: Aus meiner Sicht bin ich relativ einsam. Einsamkeit ist allerdings ein komplizierter Begriff, der im geistlichen Sinn zwei Seiten umfasst. Zum einen geht es dabei um den physischen Rückzug aus der Welt und das Reduzieren von Kontakten und Interaktionen, was in unserer heutigen Welt im radikalen Sinn gar nicht mehr so möglich ist. Die andere Seite ist die Sehnsucht nach dem Inneren, nach der eigenen seelischen Tiefe. Das ist das Wichtige daran: Eine Stille zu erreichen, in ein ganz tiefes Hören auf Gott zu gelangen und die tiefere Dimension seiner Seele zu erfahren. Das macht ein Eremit zu seinem Lebensprogramm. Aber kein christlicher Eremit schmort heute ausschließlich im eigenen Saft, Eremiten hatten immer schon Austausch. Auch in meiner Klause gibt es ein Gesprächszimmer für Gäste, die Rat suchen. Eremiten sind die geborenen geistlichen Lehrer in Lebensfragen, weil sie sich so intensiv mit der Seele auseinandergesetzt haben.

Frage: Es gibt eine aktuelle Studie der EU-Kommission, der zufolge das Einsamkeitsgefühl vieler Menschen durch die Corona-Pandemie extrem angestiegen ist und sich verstärkt hat. Beobachten Sie das bei sich auch, dass sich seit Beginn der Corona-Pandemie etwas verändert hat?

Knobel: Ja, es hat sich etwas verändert – bei mir eigentlich sogar im positiven Sinne. Ich erleide ja keine Einsamkeit, sondern bin eher wie ein Fisch im Wasser. Alle Eremitinnen und Eremiten, die ich kenne, gehen spielend leicht damit um – auch wenn sich natürlich niemand diese Pandemie gewünscht hat. In unserer Gesellschaft wird Leben oft als Aktion, fast Aktionismus definiert. Als Eremit lebe ich das, was viele Menschen fürchten. Einsamkeit ist für mich aber ein hochanspruchsvoller kontemplativer Weg der Selbst- und Gottsuche.

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Frage: Was hat sich durch die Pandemie auch konkret in Ihrer Arbeit verändert?

Knobel: Durch die Corona-Pandemie hat die Zahl der Gottesdienstbesucher in meiner kleinen Kirche hier abgenommen, und Gruppenbesuche habe ich quasi total eingestellt. Zugenommen haben dafür die Gespräche. Es waren noch nie so viele Leute hier, die um ein Gespräch gebeten haben, weil die Menschen in unserer Gesellschaft zum ersten Mal eine harte Grenze erfahren und auch so konkret mit dem Tod konfrontiert waren.

Frage: Wie schaffen Sie es denn selbst, die Momente der Einsamkeit auszuhalten?

Knobel: Für mich ist es so, dass ich es umso mehr genieße, je ruhiger und stiller die Zeit ist. Die Momente, in denen ich es nicht mehr ausgehalten habe oder in denen mir das Dach auf den Kopf gefallen ist, gab es höchstens in der Anfangszeit. Kirchlich anerkannte Eremiten müssen eine lange Vorbereitungszeit und Schulungen bei anderen Eremiten vorweisen, um zu zeigen, dass sie für diese Lebensform erprobt sind. Der Tagesablauf ist total durchstrukturiert, mit Tagesgebet und festgelegten Meditationszeiten. Es ist wie ein Mönchsleben allein. Das fordert mehr, als wenn man in einer Gemeinschaft lebt, die einen trägt.

Frage: Sie haben sich ja freiwillig dafür entschieden, als Diözesaneremit zu leben. Warum suchen Sie gerade diese Abgeschiedenheit?

Knobel: Das Leben als Eremit ist eine Berufung. Jesus selbst wird im Evangelium vom Heiligen Geist in die Wüste geführt. Dort hat er mit den Dämonen gekämpft, erst dann kamen die guten Mächte. Seit rund 10.000 Jahren gibt es in allen Religionen Formen der spirituellen Abkehr von der Welt. In dieser Stille und dem Rückzug passiert etwas Elementares und Spirituelles, das man nicht richtig beschreiben kann. In meinem Leben gab es schon von Kindheit an einen Zug zu dieser Form des Lebens. Ich war Künstler und Restaurator. Restaurieren ist eigentlich eine kontemplative Tätigkeit und auch als Maler sitzt man manchmal stundenlang im Atelier und wartet auf eine Eingebung. Vom hörenden Künstler bis hin zum Eremiten ist es kein weiter Weg mehr – und so bereitet Gott durch seine Vorsehung auch solche Wege vor. Mit 30 Jahren habe ich dann meinen Beruf und alles andere hinter mir gelassen und bin ins Noviziat bei den Franziskanern gegangen. Dort habe ich aber gespürt, dass diese Art des Gemeinschaftslebens nicht meine Form ist, sondern ich mich nach einem viel kontemplativeren Leben sehne. 16 Jahre lang hatte ich einen eremitischen Lehrer, der mich begleitet hat, weil es ein langer Weg ist und die Lebensform am Ende doch sehr extrem ist. Man verzichtet auf vieles, was für die meisten Menschen Lebensfreude ausmacht.

„Diese durch Corona erzwungene Langsamkeit in der Gesellschaft kann vielleicht ein Zeichen dafür sein, dass wir als Gesellschaft überhaupt überlegen sollten, wie wir leben wollen.“

—  Zitat: Pater Jürgen Knobel

Frage: Welche positiven Aspekte können Sie denn aus Ihrem Leben ziehen? Was gibt Ihnen das zurück?

Knobel: Es gibt mir einen wachsenden und klaren Blick auf mich selbst und die Welt. Bildlich gesprochen ist das so, als wenn sich an einem Herbsttag der Nebelschleier lichtet und man zum ersten Mal die Natur und die Landschaft erkennt. Man merkt, dass man die Dinge eigentlich noch nie so sehen konnte, wie sie wirklich sind. So ist es auch mit dem Blick auf sich selbst: Nach den Jahren des Lebens in der Klause, in denen es auch darum geht, die eigenen Affekte, Schatten und negativen Seiten zu bezwingen und zu reinigen. Dadurch gewinnt man eine größere Klarheit im Leben und man sieht plötzlich die Dinge in einer neuen Schönheit. Es ist ein Leben aus der innersten Quelle.

Frage: Sie haben bereits erwähnt, dass zu Ihnen häufig Menschen kommen und Rat suchen. Haben Sie auch Tipps für Menschen, die im Moment eine Einsamkeit verspüren, mit der sie nicht umgehen können?

Knobel: Als Eremit habe ich meine Einsamkeit natürlich selbst gewählt und sie ist nicht von außen erzwungen. Aber die größte Herausforderung ist zunächst einmal, die Situation anzunehmen. Am Anfang ist das vielleicht mit Traurigkeit oder Aggression verbunden, aber das führt nicht weiter. Man kann diese Zeit nutzen, um bewusst auf sich zu schauen und zu hören, etwas Neues an sich zu entdecken. Natürlich sollte man Kontakte halten, wo das möglich ist, per Telefon oder über das Internet. Ganz einfache Tipps sind, dass man sich draußen bewegt, dass man die Natur entdeckt, dass man zu einem guten Buch greift. Diese durch Corona erzwungene Langsamkeit in der Gesellschaft kann vielleicht ein Zeichen dafür sein, dass wir als Gesellschaft überhaupt überlegen sollten, wie wir leben wollen.

Von Christoph Brüwer

Aktion #jetzthoffnungschenken

Die Zahlen sind erschreckend: Jede vierte Person in Deutschland fühlt sich einsam. Und es sind nicht nur ältere Menschen betroffen. Einsamkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Problem – unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft. Dabei reichen oft nur kleine Gesten wie ein Lächeln, ein freundliches Wort, ein offenes Ohr oder etwas Zeit, um seinem Gegenüber Hoffnung zu schenken. Mit der Aktion #jetzthoffnungschenken will das Katholische Medienhaus in Bonn gemeinsam mit zahlreichen katholischen Bistümern, Hilfswerken, Verbänden und Orden im Advent 2021 einen Beitrag gegen Einsamkeit leisten. Erfahren Sie mehr auf jetzthoffnungschenken.de.