Essen retten, bis die Polizei kommt: Warum Pater Alt eine Anzeige will
Wer Müllcontainer von Supermärkten öffnet und essbare Lebensmittel aus diesen entwendet, macht sich strafbar. Genau das hat der Nürnberg Jesuit Jörg Alt jetzt aber trotzdem getan: In der Nürnberger Innenstadt hat er die durch das sogenannte "Containern" geretteten Lebensmittel kostenlos verteilt, bis er angezeigt wurde. Wie er mit dieser Aktion zivilen Ungehorsams auf ein tieferliegendes Problem hinweisen will, erklärt er im Interview.
Frage: Pater Alt, Sie haben sich am Dienstag in die Nürnberger Innenstadt gestellt und dort vor einem Supermarkt Lebensmittel verteilt, die Sie zuvor "containert" haben. Warum haben Sie diese provokante Aktion durchgeführt?
Alt: Es geht darum, diesen Sachverhalt zu entkriminalisieren, dass eben "Containern" nach § 242 StGB gerade in Bayern als Diebstahl behandelt wird. Ich wollte öffentlich darauf hinweisen, dass hier ein Problem liegt. Im Rahmen des "Aufstands der letzten Generation", in dem diese Aktion stattgefunden hat, wollen wir aber auch darauf hinweisen, dass dies nur eine symbolische Aktion ist, die auf ein viel größeres Problem hinweist, nämlich auf die Art und Weise, wie wir Agrarpolitik betreiben und wie Lebensmittelüberproduktion, -verschwendung und -vernichtung miteinander zusammenhängen. Wir haben ein System, das dem Profit dient, aber nicht dem menschlichen Bedarf angemessen ist.
Frage: Warum haben Sie sich dafür entschieden, auf diese Weise auf diese Probleme hinzuweisen?
Alt: Ziviler Ungehorsam ist eine symbolische und öffentliche Aktion. Dabei wird eine rechtliche Einzelnorm gebrochen, um auf übergeordnete rechtliche Normen zu verweisen. In diesem Fall habe ich gegen § 242 StGB verstoßen, also einen Diebstahl begangen, in Verweis und Bezug auf Artikel 14,2 des Grundgesetzes, wo die Sozialpflichtigkeit des Eigentums geregelt ist. Eigentum soll demnach dem Gemeinwohl dienen und nicht dem Privatnutzen.
Frage: Sie wollten also auf diesen Widerspruch hinweisen?
Alt: Ich wollte darauf aufmerksam machen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Entscheid zur bayerischen Rechtsprechung genau diesen Weg aufgewiesen hat: Gerichte können nicht anders entscheiden, solange der Gesetzgeber diesen Sachverhalt nicht entkriminalisiert hat. Aber die bisherigen C-Regierungen haben sich dieses Problems nicht angenommen und meine Hoffnung ist, dass die neue Regierung, die ja das Problem der Lebensmittelverschwendung im Koalitionsvertrag auf Seite 45 aufgeführt hat, schneller und sachangemessener aktiv wird.
Frage: Haben Sie schon von rechtlichen Konsequenzen gehört, die Ihnen jetzt ins Haus stehen?
Alt: Ich habe eine Anzeige bekommen, die Staatsanwaltschaft hat den Fall im Moment auf dem Schreibtisch und sie überlegt wohl, wie sie damit umgeht. Das Dilemma ist ja: Wenn sie mich nach der in Bayern angelegten Strenge verurteilen, schaffen sie einen Märtyrer in dieser sehr populären Sache. Wenn sie mich aber rechtlich nicht angehen, wird ja dadurch belegt, wie unsäglich Rechtslage und Rechtsprechung ist. In beiden Fällen ist aber mein Ziel erreicht: Wir wollen auf einen Sachverhalt aufmerksam machen, der skandalös ist und dringend einer Regelung bedarf. Wichtig ist mir dabei aber, dass es nicht nur um dieses Lebensmittel-"Containern" geht, sondern in erster Linie um eine Agrarwende, die den zukünftigen Herausforderungen, die auf uns zukommen angemessen ist.
Frage: Was würde denn passieren, wenn die Strenge des Gesetzes angewendet und Sie verurteilt werden würden?
Alt: Soweit muss es erstmal kommen. Ich möchte jedenfalls ein öffentliches Gerichtsverfahren.
Frage: Sie rechnen also damit, dass Sie im Zweifel auch verurteilt werden könnten?
Alt: Das ist jetzt alles Spekulation. Aber wenn zum Beispiel ein Strafbefehl kommen sollte, der mir anbietet, für Sozialstunden oder ein kleineres Ordnungsgeld die ganze Sache vergessen zu lassen, würde ich dagegen Einspruch erheben.
Frage: Beim "Containern" betritt man Privatgelände, man klettert über Zäune und knackt Müllcontainer auf. All das haben Sie selbst gemacht. Wie fühlt man sich dabei?
Alt: Nochmals: Ich mache das Ganze ja im Rahmen des "Aufstands der letzten Generation" von Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Der Name bezieht sich auf eine Rede des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, der gesagt hat: "Wir sind nicht die letzte Generation, die den Klimawandel erleben wird, aber wir sind die letzte Generation, die etwas gegen den Klimawandel tun kann." Mir geht es wirklich darum, dass etwas mehr Schwung in die öffentliche Debatte kommt, etwas mehr Bewusstsein wächst, in was für eine Katastrophe wir gerade hineinrauschen und wie unzulänglich die politische Antwort darauf ist. Die Klimapakete der Bundesregierung sind bis jetzt absolut unzureichend und es geht wirklich darum, dass wir uns ganz schnell auf die Hinterbeine stellen, um in den nächsten vier bis sechs Jahren entscheidende Weichen zu stellen. Die Agrarpolitik ist ein ganz wesentlicher Punkt dabei, denn hier geht es um Essen für Milliarden von Menschen. Eine aktuelle Studie besagt, dass wir – früher als bislang angenommen – schon in zehn bis zwanzig Jahren mit massiven Nahrungs- und Versorgungsengpässen rechnen müssen, die hunderte Millionen Menschen betreffen. Der Mensch ist so gepolt, dass er immer nur auf die Herausforderungen schaut, die direkt vor ihm stehen, und das ist im Moment die Corona-Pandemie. Aber Klimawandel und Artensterben kommen trotzdem unaufhaltsam auf uns zu – und das schneller, als wir lange dachten.
Frage: Was sind denn konkrete Maßnahmen, die Sie von der Politik fordern?
Alt: Das hat der "Bürgerrat Klima" alles in seinen 19 Forderungen zu diesem Thema dargelegt. Ich kann die Lektüre dieses Dokumentes nur jedem empfehlen – gerade den Verantwortlichen in Regierung und Politik. Wenn diese 19 Forderungen umgesetzt würden, wären wir einen riesengroßen Schritt weiter.
Frage: Sie nennen Ihre "Container"-Aktion selbst einen Akt zivilen Ungehorsams. In kirchlichem Kontext denke ich dabei oft ans Kirchenasyl. Sie haben sich selbst für den Jesuitenflüchtlingsdienst engagiert und selbst Menschen Kirchenasyl gewährt. Sehen Sie das auf einer Ebene miteinander?
Alt: Das liegt natürlich auf einer Ebene, weil ein Kirchenasyl ja auch darauf aufmerksam macht, dass Flüchtlinge kein Problem sind, sondern die Folge von Problemen. Und wenn man versucht, Flüchtlinge zu kriminalisieren, aber gleichzeitig in öffentlichen Gebäuden Kreuze aufhängt, dann stimmt was nicht in unserem Land.
Frage: Planen Sie weitere Aktionen dieser Art, bis es eine Entscheidung zu Ihrer Anzeige gibt?
Alt: Nein. Ich habe am Dienstag ja erhalten, was ich wollte: Ich habe eine Anzeige, die Anzeige ist bei der Staatsanwaltschaft, ich hoffe auf ein öffentliches Verfahren. Also diese Spur ist jetzt erstmal ausgewalzt. Es gibt noch genügend andere Sachen zu tun.
Hinweis: Am Donnerstagnachmittag gab Pater Alt bekannt, dass die Anklage auf "besonders schweren Diebstahl" laute. Er habe eine Vorladung zur Vernehmung erhalten, heißt es in einer Stellungnahme, die katholisch.de vorliegt. Auf Nachfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) teilte die Staatsanwaltschaft Nürnberg ebenfalls am Donnerstag mit, dass polizeiliche Ermittlungen nach einer Selbstanzeige Alts Grundlage für das Verfahren seien. Laut Alt bezahle seine Mutter eine Rechtsanwältin für den Beginn des Verfahrens. Für das Verfahren selbst und eine eventuelle Strafe wolle er kein Geld des Ordens einsetzen und habe stattdessen ein Aktionskonto für Spenden eingerichtet. Wenn eine von ihm angestrebte Gesetzesreform den Bundestag passiert habe, werde er "alle Auflagen und Strafen" akzeptieren, so Alt. "Und bis das geschehen ist, klage ich mich durch so viele Instanzen wie möglich – dank des Entscheids des BVerfG ist die Justiz eigentlich mein stärkster Verbündeter."