Erzbischof Koch: "Die Pflege alter Menschen zuhause stärker fördern"
Die Pflege alter Menschen in der Familie muss nach Auffassung des Berliner Erzbischofs Heiner Koch stärker gefördert werden. Wirtschaft und Gesellschaft seien vielfach nicht darauf vorbereitet, sagte der "Familienbischof" der Deutschen Bischofskonferenz im Interview. Anlass ist der jährliche Familiensonntag, den die katholische Kirche in diesem Jahr bundesweit am 26. Dezember feiert.
Frage: Herr Erzbischof, der Familiensonntag steht in diesem Jahr unter dem Motto "Alter, Pflege und Sterben in der Familie". Was hat den Ausschlag gegeben, gerade dieses Thema zu wählen?
Koch: Zur Familie gehören nicht nur Eltern und Kinder, sondern auch Großeltern oder sogar Urgroßeltern, auch wenn sie vielleicht andernorts leben. Sie prägen die Familie mit, sind manchmal eine große Hilfe, auch, wenn sie Lebenswissen und Glaubenserfahrungen weitergeben. Das ist heute oft zu wenig bewusst.
Frage: Inwieweit spielte bei der Entscheidung zu diesem Motto eine Rolle, dass das Coronavirus vor allem für alte und pflegebedürftige Menschen lebensgefährlich ist?
Koch: Seit dem vergangenen Jahr ist durch die Pandemie die Sorge um die alten Menschen zusätzlich in den Mittelpunkt gerückt, weil sie zu den besonders gefährdeten Gruppen gehören. Wir sind es ihnen schuldig, vor allem auf sie zu achten. Ein weiterer Anlass für die Wahl dieses Themas für den Familiensonntag ist der Mangel an Pflegekräften, der die Betreuung in der Familie noch wichtiger macht.
Frage: Werden alte Menschen in unserer Gesellschaft genug geschätzt? In der Corona-Debatte gab es Äußerungen, dass deren Leben und Gesundheit zu sehr zum Maßstab für Schutzmaßnahmen im öffentlichen Leben werde.
Koch: Ich weiß, dass alte Menschen in ihrer Familie hierzulande meist sehr geschätzt werden. Aber ich erlebe in unseren Gemeinden für Menschen mit anderer als deutscher Muttersprache, dass dies in Familien etwa aus Italien oder Kroatien noch viel mehr der Fall ist, wieviel Respekt und Würdigung man dem Alter dort entgegenbringt. Das beeindruckt mich, wenn etwa beim Thema Sterbehilfe die Frage anklingt, wie viele alte und kranke Menschen, wieviel Leid sich unsere Gesellschaft "noch leisten kann" oder will.
Frage: Pflege und Sterben alter Menschen findet immer weniger in der Familie statt, obwohl alten Menschen dies oft wichtig ist. Was können Politik und Gesellschaft tun, damit diese Wünsche öfter erfüllt werden?
Koch: Vielfach sind Wirtschaft und Gesellschaft darauf nicht vorbereitet und haben das nicht als Ziel. Es fängt an bei der Größe der Wohnungen, auch ist die nötige berufliche Flexibilität und Mobilität von pflegenden Angehörigen nicht vorgesehen. Ein Bewusstsein dafür wollen wir auch mit dem Familiensonntag fördern, es wächst bereits, das wollen wir verstärken, auch da, wo Kirche selbst als Arbeitgeber Rahmenbedingungen verbessern kann.
Frage: Wie bewerten Sie die Aussagen zur Pflege alter Menschen im Koalitionsvertrag der Bundesregierung?
Koch: Gefreut hat mich zu lesen, dass berufstätigen Angehörigen verbindlich ermöglicht werden soll, ihre Eltern zu pflegen, und dass Ausgleichszahlungen und berufliche Freistellungen für Pflegende geregelt werden sollen. Zu begrüßen ist auch die Absicht, die Eigenbeiträge für die Unterbringung in einem Pflegeheim zu verringern.
Frage: Was kann die Kirche für pflegebedürftige Menschen tun?
Koch: Die Kirche ist selbst Arbeitgeber und kann dort günstige Rahmenbedingungen schaffen. Wir werden auch weiterhin über unsere Caritas ein hochwertiges Angebot an Pflegeleistungen in Alten- und Pflegeheimen und ambulanten Diensten sicherstellen, aber auch im Bereich Hospize und Palliativ-Stationen. Denn es geht dabei nicht nur um medizinische und andere Versorgungsleistungen, alle diese Einrichtungen sind auch Erfahrungsorte für menschliche Zuwendung.
Wir engagieren uns auch in der Ausbildung von Pflegekräften – in Berlin mit der neu gegründeten Hildegard-Akademie. Außerdem sollen unsere Kirchengemeinden selbst Generationen übergreifende Gemeinschaften sein. Vorbildlich finde ich Besuchsdienste, die regelmäßig – nicht nur an Geburtstagen – zu einsamen alten Menschen kommen. Das ist ein wertvolles Ehrenamt und ohne aufwändige Ausbildung leistbar.