Münchner Gutachten: Das sagen internationale Medien zu Benedikt XVI.
Die Rolle von Benedikt XVI./Joseph Ratzinger in den Münchner Missbrauchsskandalen sind am Freitag auch international ein Thema gewesen. Katholisch.de gibt einen Überblick über internatonale Pressestimmen:
Das "Wallstreet Journal" geht ausführlich auf die Veröffentlichung des Münchner Gutachtens ein. "Die Anschuldigungen drohen einen Schatten auf die Bilanz des ehemaligen Papstes zu werfen, der vor seiner Wahl mehr als zwei Jahrzehnte lang die kirchliche Disziplinierung von klerikalen Missbrauchstätern überwachte", schreibt das Blatt. Seine mutmaßlichen Fehler in München verstärkten das Bild "eines übermäßig unengagierten Managers, dessen Amtszeit inmitten von Korruptionsvorwürfen und Inkompetenz unter Vatikanbeamten endete". Fürsprecher Benedikts XVI. argumentierten laut der Zeitung hingegen, er habe ein größeres Bewusstsein für das Missbrauchsproblem gezeigt, als er München verließ, "um der Anti-Missbrauchs-Zar des Vatikan zu werden". Ratzinger habe auch Johannes Paul II. überzeugt, "das Kirchenrecht zur Disziplinierung von Missbrauchstätern zu verschärfen".
Aus Sicht der französischen Zeitung "Liberation" erlaubt der Bericht den Deutschen, "den Mangel an Empathie (und Menschlichkeit?) 'ihres' Papstes zu sehen". Obwohl die Autoren des Gutachtens den Ausdruck "Lüge" vermieden hätten, zeige doch eine Analyse des Textes deutlich, dass "Benedikt XVI. tatsächlich versucht hat, die Ermittler zu belügen", urteilt das linksgerichtete Blatt. "Der Bericht über den Missbrauch im Erzbistum München ähnelt letztlich allen anderen: Verantwortliche, die die Täter von sexuellem Missbrauch lieber decken und schützen, statt den Opfern zu helfen."
Die niederländische Zeitung "De Volkskrant" hält fest: "Kindesmissbrauch zieht sich wie ein roter Faden durch Benedikts Karriere. Als Papst wurde ihm immer wieder vorgeworfen, zu halbherzig gegen die vielen Täter in seiner Institution vorgegangen zu sein. Während der Missbrauchsskandal unter seiner Herrschaft zur schlimmsten Krise der katholischen Kirche seit der Reformation werden sollte, kam Benedikt nicht viel weiter, als seiner Wut und tiefen Scham darüber Ausdruck zu verleihen." In der Zwischenzeit, so das Blatt weiter, "blieben Bestrafungen weitgehend aus, Täter wurden abgeschoben und Opfer zum Schweigen aufgefordert". Auch jetzt weise Benedikt XVI., der "seit seiner Abdankung 2013 in einem ockergelben Kloster auf einem Hügel im Vatikan lebt, jede Verantwortung von sich".
„Päpste und ehemalige Päpste müssen damit leben, dass sie an strengsten moralischen Maßstäben gemessen werden.“
Der "Irish Examiner" nennt es "schockierend, aber kaum überraschend", dass die Untersuchung ergab, dass Ratzinger versäumt habe, vier Geistliche zu stoppen, die des sexuellen Kindesmissbrauchs in München beschuldigt wurden. Wenn Franziskus das kirchliche Strafrecht bei Missbrauch verschärft habe "und Bischöfe demnach Maßnahmen ergreifen müssen, wenn Anzeige erstattet wird, würde es "die Opfer entehren", wenn Benedikt XVI. den Titel Papst emeritus behalten dürfte.
Der "Tagesanzeiger" aus Zürich kommentiert: "Päpste und ehemalige Päpste müssen damit leben, dass sie an strengsten moralischen Maßstäben gemessen werden; immerhin sehen sie sich als Vertreter Jesu Christi auf Erden. Das gilt auch für den Umgang mit eigenen Fehlern." Gerade Benedikt XVI. könnte sich dabei Größe leisten, meint das Blatt; er habe das Amt längst hinter sich. "Doch die Gelegenheit, Demut zu zeigen, hat der frühere Papst versäumt." In seiner Stellungnahme zum Gutachten klinge er "wie der Chef eines Autokonzerns, der von der jüngsten Abgasaffäre nichts gewusst haben will". Ein Ex-Papst, der sich "mutmaßlich mit einer Unwahrheit seiner Verantwortung entziehen" wolle, sei für die "seit Jahren von Skandalen gebeutelte Kirche ein neuer Tiefpunkt", so der Kommentator. "Denkt man daran, wie Christus im Evangelium die Kinder wertschätzt und beschützt, so wird klar, wie weit sich die Kirche von ihren Werten entfernt hat." Sie sei "zu einem Apparat erstarrt, der sich lange unter dem Verlust jeder Empathie nur noch dem Selbsterhalt widmete."
Die "Neue Zürcher Zeitung" kommentiert, vorbildlich habe sich keiner der Oberhirten verhalten, "auch nicht der amtierende Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx". Auch Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., lege das Gutachten unangemessenes Verhalten und eine konkrete Falschaussage zur Last. Der Kommentator verweist auf einen Satz aus der 82 Seiten umfassenden Stellungnahme Benedikts: Dieser sei "froh, dass sich bis zum heutigen Tag ein tiefgreifender Gesinnungswandel im Hinblick auf die Aufmerksamkeit, Einordnung und den Umgang mit sexuellem Missbrauch ergeben hat". (KNA)