Interview mit dem neuen Leipziger Thomasorganisten

"Wird Ihnen Bach irgendwann auf die Nerven gehen, Herr Lang?"

Veröffentlicht am 30.01.2022 um 12:00 Uhr – Lesedauer: 

Leipzig ‐ Seit 1528 gibt es das Amt des Leipziger Thomasorganisten. Anfang des Jahres hat der 32-jährige Johannes Lang den prestigeträchtigen Posten in der vor allem durch Johann Sebastian Bach bekannten Kirche übernommen. Im katholisch.de-Interview spricht Lang über seine neue Aufgabe und die Überfigur Bach.

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Es ist eines der traditionsreichsten Ämter der deutschen Kirchenmusiklandschaft: das Amt des Thomasorganisten in der bekannten Leipziger Thomaskirche. Am 6. Januar hat Johannes Lang den Posten in dem vor allem mit Johann Sebastian Bach verbundenen Gotteshaus übernommen. Im Interview mit katholisch.de spricht der 32-jährige Organist über den Reiz seines neuen Amtes, die damit verbundenen musikalischen Herausforderungen und den übergroßen Schatten Bachs.

Frage: Herr Lang, seit dem 6. Januar haben Sie das Amt des Leipziger Thomasorganisten inne. Wie ist es Ihnen in Ihren ersten Tagen an der Thomaskirche ergangen?

Lang: Ich muss zugeben, dass ich dieses großartige Amt schon mit einem leichten Herzflattern angetreten bin. Umso mehr freue ich mich, dass die ersten Tage insgesamt sehr gut verlaufen sind. Ich bin ganz begeistert von den zwei tollen Orgeln in der Kirche, der großartigen Festlichkeit der Gottesdienste und der Vielfalt der Motetten, die in der Regel freitags und samstags stattfinden. Wenn meine bisherigen Erfahrungen auch nur ansatzweise ein Gradmesser für die weitere Arbeit hier sind, bin ich für die Zukunft sehr zuversichtlich.

Frage: Gab es seit Ihrem Amtsantritt bereits etwas, das Sie überrascht hat oder das Sie neu gelernt haben?

Lang: Beinahe jeden Tag (lacht). Vor allem bin ich natürlich noch dabei, die Orgeln richtig kennenzulernen. Ich kenne beide Instrumente zwar schon von früheren Gelegenheiten – trotzdem ist das natürlich noch ein großes Lernfeld. Ähnliches gilt für die Art der Gemeindebegleitung. Wie reagieren die Orgeln? Wie kräftig singt die Gemeinde? Wie begleitet man den Gesang richtig? Wie viel kann man beim Spielen wagen? Da lerne ich derzeit noch mit jedem Gottesdienst dazu.

Frage: Das Amt des Thomasorganisten existiert bereits seit dem 16. Jahrhundert und ist damit eines der traditionsreichsten Ämter in der deutschen Kirchenmusiklandschaft. Wie gehen Sie mit dieser großen Tradition um? Das kann ja auch eine Bürde sein ...

Lang: Als Bürde sehe ich diese Tradition nicht, eher als Bereicherung und Chance. Hier haben im Laufe der Jahrhunderte viele tolle Organisten gewirkt, die die Orgellandschaft auch mit eigenen Kompositionen nachhaltig geprägt haben. Sich davon inspirieren zu lassen – das finde ich ganz wunderbar! Klar ist aber auch: Das Amt des Thomasorganisten ist ein Amt, in dem man sich nochmal mehr als anderswo keine Blöße geben darf. Leipzig ist ein musikalischer Nabel der Welt, und man kann davon ausgehen, dass immer irgendein hochkarätiger Musiker unten in der Kirche sitzt und zuhört. Man sollte als Thomasorganist also immer gut vorbereitet sein (lacht).

„Bach ist in der Thomaskirche natürlich omnipräsent – allein schon durch sein Grab im Chorraum. Wenn ich abends allein in der Kirche übe, spüre ich schon eine gewisse Ehrfurcht, gar keine Frage.“

—  Zitat: Thomasorganist Johannes Lang

Frage: Wenn von der Thomaskirche die Rede ist, denken wohl die meisten Menschen unweigerlich an Johann Sebastian Bach. Sie sind zwar nicht Thomaskantor – das Amt, das Bach als Leiter des Thomanerchors geprägt hat wie kein anderer – , sondern Thomasorganist. Wie groß ist trotzdem auch für Sie der Schatten Bachs?

Lang: Bach ist in der Thomaskirche natürlich omnipräsent – allein schon durch sein Grab im Chorraum. Wenn ich abends allein in der Kirche übe, spüre ich schon eine gewisse Ehrfurcht, gar keine Frage. Gleichwohl empfinde ich auch Bachs Schaffen für mich und meine Arbeit als große Bereicherung. Ich habe mich eigentlich immer und in allen Lebenslagen von Bach und seiner Musik inspirieren lassen. Und das, so mein Eindruck, geht in der Thomaskirche besonders gut.

Frage: Sie arbeiten jetzt im Epizentrum der Bach-Verehrung. Ich kann mir vorstellen, dass das mit der Zeit auch etwas anstrengend sein kann. Haben Sie Angst, dass Bach und seine Musik Ihnen irgendwann auf die Nerven gehen werden?

Lang: Oh nein, überhaupt nicht! Bach ist mir zum Glück noch nie auf die Nerven gegangen. Im Gegenteil: Seit frühester Kindheit ist er für mich der bedeutendste Komponist überhaupt. Von daher bin ich sehr glücklich, jetzt als Organist an der Thomaskirche arbeiten zu können. Hinzu kommt, dass ich von Bachs Schaffen noch längst nicht alles kenne. Umso mehr freue ich mich auf die Auseinandersetzung mit ihm und das weitere Entdecken seines umfangreichen Werks in den kommenden Jahren.

Frage: Haben Sie unter dem Ihnen bekannten Werk Bachs einen Favoriten, den Sie besonders gerne spielen?

Lang: Das ist eine sehr schwierige Frage, denn wenn ich Ihnen jetzt eine genaue Antwort gebe, werden manche Bach-Kenner sicher sagen, dass ich überhaupt keinen Geschmack habe. Deswegen will ich mich lieber nicht so weit aus dem Fenster lehnen (lacht). Aber vielleicht so viel: Zuletzt war ich sehr beeindruckt von zwei Kantaten, die ich transkribiert habe. Das eine war zu meiner Amtseinführung der Eingangschor aus der Kantate "Sie werden aus Saba alle kommen"; das hat auf der Orgel ganz wunderbar geklungen. Und das andere war am vorvergangenen Wochenende die Kantate "Herr Christ, der einge Gottessohn", die auf der Orgel gespielt sehr an ein anderes Orgelwerk Bachs – den Satz "Kommst du nun, Jesu, vom Himmel herunter" aus den Schübler-Chorälen – erinnert. Ich hoffe, dass ich in den kommenden Jahren noch viele ähnlich wunderbare Entdeckungen in Bachs Werk machen werde, von denen ich heute noch gar nichts weiß.

Bild: ©stefandietze/Fotolia.com

Seit Anfang Januar die Wirkungsstätte von Organist Johannes Lang: Die berühmte Thomaskirche in der Leipziger Innenstadt.

Frage: Sie sind einer der besten Organisten Ihrer Generation. Ist das Amt des Thomasorganisten für Sie trotzdem eine handwerkliche Herausforderung?

Lang: Auf jeden Fall! Das liegt allein schon an der Orgel-Situation in der Thomaskirche. Wir haben hier zwei Instrumente, die jeweils eine eigene Persönlichkeit und ganz unterschiedliche Tastenabstände haben. Gerade wenn man die Orgeln im Gottesdienst wechselt, muss man sich blitzschnell auf das jeweilige Instrument einstellen. Und die andere große Herausforderung ist natürlich die Zusammenarbeit mit dem Thomanerchor. Der Chor singt Kantaten, Oratorien und Passionen auf allerhöchstem Niveau, entsprechend herausfordernd ist die Orgelbegleitung. Insofern ist es auch gut, dass es an der Thomaskirche zwei Kirchenmusiker gibt – den Thomaskantor, der für die Chorleitung zuständig ist, und den Thomasorganisten, der sich um die Begleitung kümmert. Für einen Kirchenmusiker allein wäre so ein großes Pensum gar nicht zu schaffen.

Frage: Sie haben es schon angesprochen: Als Thomasorganist haben Sie viele regelmäßige Aufgaben zu erfüllen – allen voran die musikalische Begleitung der Gottesdienste und Motetten in der Thomaskirche. Wie sehr sind Sie in diesem Korsett gefangen? Und wie viel Zeit bleibt Ihnen, eigene musikalische Duftmarken zu setzen?

Lang: Da sprechen Sie einen ganz wichtigen Punkt an, denn das ist in der Tat genau die Herausforderung in diesem Amt. Allein an normalen Wochenenden begleitet man als Organist die Freitagsmotette, die Samstagsmotette und am Sonntag den Hauptgottesdienst am Vormittag und einen Abendgottesdienst – das ist schon ein straffes Programm. Hinzu kommen natürlich noch die Hochzeiten im Kirchenjahr wie Ostern, Pfingsten oder Weihnachten. Neben diesen "Pflichtaufgaben" eigene musikalische Akzente zu setzen, verlangt schon eine gewisse Flexibilität und gute Planung. Ich denke aber, dass man das schaffen kann. Eine gute Möglichkeit ist sicher das jährliche Bach-Orgel-Festival, das künftig unter meiner künstlerischen Leitung steht und wo ich somit die Möglichkeit habe, über das Programm und die Künstler, die eingeladen werden, eigene Akzente zu setzen. Insofern bin ich durchaus guter Hoffnung, "Pflicht" und "Kür" als Thomasorganist gut verbinden zu können.

Frage: Ihre beiden unmittelbaren Vorgänger als Thomasorganisten – Hannes Kästner und Ullrich Böhme – waren jeweils mehr als 30 Jahre im Amt. Können Sie sich vorstellen, ähnlich lange auf dem Posten zu bleiben?

Lang: Ja, durchaus. Das Amt des Thomasorganisten ist mal das "erste Organistenamt in Deutschland" genannt worden. Mit Blick auf die Reputation der Stelle kann nach der Thomaskirche also nicht mehr so viel anderes kommen.

Von Steffen Zimmermann

Zur Person

Johannes Lang (*1989) ist seit Januar 2022 Thomasorganist an der Leipziger Thomaskirche. Nach dem Abitur studierte er Kirchenmusik und Historische Tasteninstrumente/Cembalo an der Musikhochschule Freiburg. Nach seinen Bachelorabschlüssen mit Auszeichnung und den Masterabschlüssen mit Bestnoten in beiden Fächern schloss er sein Studium mit dem Konzertexamen im Fach Orgel im Oktober 2016 ebenfalls mit Auszeichnung ab. Lang hat als Organist, Cembalist und Pianist bereits zahlreiche Preise gewonnen, darunter den Leipziger Bachwettbewerb 2012. Nach Kantorentätigkeiten in Freiburg und Lörrach sowie der Tätigkeit als Lehrassistent für Orgel an der Musikhochschule Freiburg war Lang zuletzt fünf Jahre Kantor an der Friedenskirche Potsdam-Sanssouci und von 2019 an Lehrbeauftragter für Künstlerisches Orgelspiel, Liturgisches Orgelspiel/Orgelimprovisation und Cembalo am Institut für Kirchenmusik der Universität der Künste Berlin.