Katholiken und Protestanten koalierten in Kritik an Moderne

Experte: Neurechte Christen vereinnahmen veraltete Theologie

Veröffentlicht am 25.01.2022 um 15:45 Uhr – Lesedauer: 

Münster ‐ Klassisches Ehe- und Familienverständnis, Islamophobie, aber auch Ablehnung des Zweiten Vatikanums und Befürwortung der "Alten Messe": Theologe Arnulf von Scheliha warnt vor neurechten Christen – und ihren theologischen Vorbildern.

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Der evangelische Theologe Arnulf von Scheliha warnt vor neurechten Christen. Die Gruppe greife auf veraltete theologische Positionen etwa von NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer zurück, um ihre politischen Haltungen zu rechtfertigen, erklärte der Sozialethiker vom Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Universität Münster am Dienstag. "Solchen Vereinnahmungen müssen wir auch am Gedenktag für NS-Opfer am 27. Januar widersprechen."

Neurechte Christen berufen sich laut Scheliha vor allem auf Theologen wie Emanuel Hirsch (1888-1972) und Paul Althaus (1888-1966), die sich für ein autoritäres Regime ausgesprochen und dem Nationalsozialismus den Boden mitbereitet hätten. Auch der junge Bonhoeffer (1906-1945) sei nicht von der Vorstellung frei gewesen, es gebe eine feste Schöpfungsordnung. "Rechte Christen eignen sich diese Vorstellungen heute an, reißen sie aus dem damaligen Denkzusammenhang und empfehlen sie für die Gegenwart", erklärte Scheliha. "Dazu gehören neben dem klassischen Ehe- und Familienverständnis die ständische Gliederung der Gesellschaft und die Einteilung der Menschen in unterschiedliche Völker, fest verteilt über den Erdball." Dies alles sei von Gott gefügt und damit unveränderlich.

Den Islam verstehe die Gruppe als Feind des christlichen Abendlandes, so Scheliha. Gleichzeitig gebe es eine Art Traditionsneid gegenüber Muslimen, deren Religion scheinbar klare Vorgaben etwa zur Rollenverteilung von Mann und Frau mache.

Koalition von katholischen und evangelischen Neurechten

Auch Aussagen des Reformators Martin Luther (1483-1546) verstünden neurechte Christen einseitig. Historische Zusammenhänge und die zwischenzeitliche Lerngeschichte der Theologie würden ausgeblendet. Mit bewährten wissenschaftlichen Methoden müsse dies aufgedeckt werden, forderte Scheliha. Die Theologie müsse sich der Auseinandersetzung stellen. "Es gibt keine allgemeingültige Instanz, die darüber entscheidet, was als christlich zu bewerten ist und was nicht."

Der Wissenschaftler beobachtet zudem eine Koalition von katholischen und evangelischen Neurechten, die sich aus Kritik an der Moderne und Islamophobie speise. Rechte Katholiken lehnten etwa das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) ab und befürworteten die "Alte Messe". Die evangelischen Christen stützten sich auf die konservative Seite Luthers, so Scheliha.

Dem Sozialethiker zufolge ist die Neue Rechte eine Variante des europäischen Rechtspopulismus und in Deutschland seit der verstärkten Zuwanderung von Geflüchteten im Jahr 2015 erkennbar. "Sie bildet die Brücke zwischen Konservatismus und gewaltbereitem Rechtsextremismus", warnte Scheliha. Religiöse Gruppen seien eine Strömung innerhalb der Neuen Rechten. (tmg/KNA/epd)