Wie der Synodale Weg ein Umdenken in der Sexualmoral bewirken könnte
Lehramtliche Neubewertung von Homosexualität, Einführung von Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare, Änderung des Arbeitsrechts, damit queere Menschen im Kirchendienst keine Kündigung mehr fürchten müssen: Die Forderungen der Initiative "#OutInChurch" und die Vorschläge des Forums IV des Synodalen Wegs lauten größtenteils gleich. Was die 125 haupt- und ehrenamtlich in der Kirche engagierten queeren Menschen in sieben kurzen Forderungen ausdrücken, haben die Mitglieder des Synodalforums "Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft" bereits zuvor in mehrere Handlungstexte gepackt. Insgesamt vier Papiere werden am kommenden Samstag in der Synodalversammlung in erster Lesung besprochen – und könnten somit bald weitreichende Änderungen auf den Weg bringen.
Obwohl es sich also um durchaus bekannte Reformvorschläge handelt, fällt bei den Handlungstexten des vierten Synodalforums auf, dass jeweils nur zwischen 21 und 23 Forenmitglieder an der Abstimmung über den Wortlaut innerhalb der Arbeitsgruppe beteiligt waren. Die Texte wurden im Forum zwar mit großer Mehrheit von jeweils mehr als 80 Prozent angenommen, doch es bleibt die Frage, warum regelmäßig ein etwa Drittel der insgesamt 31 Forumsmitglieder bei den Abstimmungen gefehlt hat. Eine Erklärung dafür könnte die schwierige Terminfindung sein, heißt es aus Kreisen des Forums. Oft würden die Termine für die (digitalen) Treffen von den beiden Vorsitzenden, Birgit Mock und Bischof Helmut Dieser, festgesetzt, ohne darauf zu achten, ob alle Eingeladenen wirklich Zeit hätten, kritisiert ein Mitglied des Forums, das anonym bleiben möchte.
Die Diskussionsatmosphäre im Synodalforum insgesamt sei jedoch wertschätzend und offen: Jeder könne seine Meinung frei äußern, allen werde zugehört und um eine Annäherung der unterschiedlichen Positionen zur kirchlichen Sexuallehre gerungen. Bei einigen Forenmitgliedern, deren Haltung beim Thema Homosexualität von der derzeitigen kirchlichen Lehre geprägt ist, soll sogar ein "Umdenken" einsetzen. Dass das nicht für alle gilt, schlägt sich auch in den Gegenstimmen zu den Entwürfen der Handlungstexte nieder, die zwar eine klare Minderheitenmeinung darstellen, aber dennoch vorhanden sind.
Am Samstagvormittag werden die Mitglieder nun über den Handlungstext "Lehramtliche Neubewertung von Homosexualität" beraten. Darin spricht sich das Forum dafür aus, sich an den Papst zu wenden, damit bei diesem Thema auf weltkirchlicher Ebene eine Verständigung zustande gebracht werden kann. Die Synodalen sollen Franziskus vorschlagen, eine lehramtliche Präzisierung vorzunehmen, die betont, dass die individuelle sexuelle Orientierung untrennbar zu einer jeden Person gehört: "Sie ist nicht selbst ausgesucht und sie ist nicht veränderbar", heißt es im Handlungstext. Alle Gläubigen und die Kirche seien dazu verpflichtet, "aktiv gegen jede Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität vorzugehen". Soweit stimmen die Vorschläge des Synodalforums weitgehend mit den aktuellen Aussagen des Katechismus überein. Doch das Papier geht einen Schritt weiter: Homosexualität soll künftig ethisch nicht anders als jede andere sexuelle Orientierung von der Kirche behandelt werden.
Gleichgeschlechtliche Sexualität sei keine Sünde, die von Gott trenne, und "nicht als in sich schlecht zu beurteilen". Deshalb sprechen sich die Autoren des Textes für eine Änderung des Katechismus aus, wie etwa die Streichung der Homosexualität aus der Liste der "Hauptsünden gegen die Keuschheit". Auch soll schwulen Männern nicht mehr der Weg zum Priesteramt verwehrt bleiben und die Kirche wird aufgefordert, sich strikt gegen sogenannte Konversionstherapien für Homosexuelle zu positionieren. Begründet werden die geforderten Änderungen vor allem mit einem erweiterten Blick auf das Thema Fruchtbarkeit. So hatte Franziskus etwa in seinem Nachsynodalen Schreiben "Amoris laetitia" (2016) vertreten, dass dieser Begriff nicht nur biologisch, sondern als Beitrag zum Aufbau einer gerechten Gesellschaft zu verstehen sei. Auch aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse werden angeführt, nach denen Homosexualität keine Krankheiten oder Störungen sind, sondern eine anthropologische Normalität.
Loyalitätsobliegenheiten sollen angepasst werden
Inhaltlich schließen daran die Texte an, mit denen das Parlament des kirchlichen Reformprozesses sich am Nachmittag beschäftigt und die Konsequenzen aus einer Anpassung der kirchlichen Lehre zur Homosexualität fordern: eine Segnung für homosexuelle Paare und eine Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts. Beide richten sich an die Bischöfe bzw. die Bischofskonferenz. So sollen die deutschen Oberhirten in ihren Diözesen Segensfeiern als Eigenliturgien einführen. Ausdrücklich wird auf die Vorarbeiten und Erfahrungen verwiesen, die bei diesem Thema schon im vergangenen Jahr bei der deutschlandweiten Aktion "Segen für alle" und darüber hinaus gesammelt wurden. Es soll ein entsprechendes liturgisches Handbuch eingeführt werden, das auch pastorale Aspekte der Begleitung von Paaren aufnimmt, die keine kirchliche Ehe schließen können. Es geht also nicht nur um einen Segen für homosexuelle Paare, sondern auch etwa für wiederverheiratete Geschiedene. Nach fünf Jahren soll das Manuale auf den Prüfstand gestellt und eventuell weiterentwickelt werden.
Die Forderungen nach einer Änderung des Arbeitsrechts beziehen sich auf die Loyalitätsobliegenheiten, zu denen die Kirche ihre Mitarbeiter verpflichtet – was in Grundsatz auch der Handlungstext anerkennt. Künftig soll es jedoch nicht mehr möglich sein, dass "Entscheidungen für eine gesetzlich geregelte oder nicht verbotene Partnerschaftsform" zu einer Kündigung führen: "Der persönliche Familienstand darf keine Relevanz für die Anstellung oder Weiterbeschäftigung im kirchlichen Dienst haben." Außerdem sei die Bewahrung des kirchlichen Profils einer Einrichtung die vorrangige Aufgabe des Trägers und nicht des Mitarbeiters. Deshalb fordert der Handlungstext die Bischofskonferenz auf, die Grundordnung des kirchlichen Dienstes entsprechend zu verändern. Gleiches soll auch für die Erteilung der Missio Canonica und des Nihil Obstat gelten.
Aufhorchen lässt die Idee, bei den sogenannten "schwerwiegenden persönlichen sittlichen Verfehlungen" den Punkt Machtmissbrauch zu ergänzen. Begründet werden die Forderungen eben auch damit, dass die Grundordnung als Machtmissbrauch kirchlicher Verantwortlicher gegenüber Angestellten benutzt werden kann und wird. "Viele mitunter hoch identifizierte und qualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erlebten und erleben die Kirche als unbarmherzig und lieblos ihnen gegenüber", so das Urteil der Verfasser über die gegenwärtige Situation.
In einem vierten Handlungstext, der am Samstagvormittag in der Synodalversammlung diskutiert wird, sprechen sich die Forumsmitglieder fernab vom Thema Homosexualität für eine Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre zu Ehe und Sexualität aus. Um "Verengungen" in diesem Bereich zu beheben, soll man sich erneut an den Papst wenden, um auf eine Änderung der kirchlichen Lehre hinzuarbeiten. So soll betont werden, dass die Ehe nicht nur der Zeugung von Nachkommen diene, sondern auch eine "soziale wie geistliche Dimension" umfasse. Die konkrete Ausgestaltung der Sexualität wie auch die Wahl der Methoden der Empfängnisverhütung stehe in Verantwortung der Eheleute und nicht der Kirche. Damit solle die "einseitige Fixierung der Kirche auf Genitalität" beendet werden. Dieses Papier hat nur eine Nein-Stimme gegenüber 20 Ja-Stimmen erhalten und ist damit der Handlungstext mit der höchsten Zustimmungsquote des vierten Synodalforums.
Insgesamt betrachtet beschäftigen sich die vier Handlungstexte des Synodalforums mit Themen, die für die meisten Katholiken in Deutschland zur gesellschaftlichen Normalität gehören dürften, aber in der Weltkirche heftig umstritten sind. Allein durch die Aktion "#OutInChurch" haben viele der Reformvorschläge eine aktuelle Relevanz. In welcher Form diese am Ende des Synodalen Wegs beschlossen werden könnten, werden die kommenden Synodalversammlungen zeigen. Sicher ist: Die Forderungen zahlreicher Katholiken in Deutschland haben einigen Nachdruck bekommen.