Genn äußert sich selbstkritisch zu eigener Rolle bei Aufarbeitung
Der Münstersche Bischof Felix Genn hat sich selbstkritisch zu seiner Rolle bei der Missbrauchsaufarbeitung in seiner Diözese geäußert. Mit Blick auf Aussagen von Betroffenen, die sich von ihm nicht gesehen fühlen und ein fehlendes Gespräch mit der Bistumsleitung beklagen, sagte Genn am Mittwoch in einem Interview mit kirche-und-leben.de: "Ich höre das und nehme es als Aufforderung, mich selbst immer wieder kritisch zu hinterfragen: Tust du das Richtige? Tust du genug?" Er wolle mit denjenigen, die sich im Umfeld des Betroffenentreffens kritisch geäußert hätten, unbedingt ins Gespräch kommen und werde auf sie zugehen. "Entscheidend ist, dass die Betroffenen das möchten. Mir persönlich sind solche Gespräche ein Anliegen. Ich habe auch schon viele solcher Gespräche geführt", so der Bischof.
Zugleich akzeptiere er, wenn es Betroffene gebe, die sagten, dass sie mit ihm als Verantwortung tragendem Vertreter eines Systems, in dem ihnen schwerstes Leid zugefügt worden sei, nicht sprechen wollten. "Gerade auch von daher war es mir wichtig, im Bistum Münster eine von Weisungen unabhängige Interventionsstelle einzurichten", betonte Genn. Die Interventionsstelle informiere ihn regelmäßig über ihre Arbeit und den Weg einer anderen, von der Institution unabhängigen Betroffenenvernetzung, den man im Bistum Münster bewusst gehe.
"Was ist mit unserer Moral? Was ist mit unserer Haltung?"
Auf den Vorwurf von Betroffenen, er scheue sich davor, Vertuscher klar zu benennen und Konsequenzen zu ziehen, verwies der Bischof auf die Historikerkommission der Universität Münster, die die Missbrauchsfälle in der Diözese derzeit untersucht. Die Kommission arbeite "in völliger Unabhängigkeit" und habe freien Zugang zu allen Akten, die sie einsehen wolle. "Sie wird wohl im Juni ihren Bericht vorlegen. Erst dann werde auch ich die Ergebnisse der Untersuchung erfahren", so Genn. In einem Zwischenbericht hätten die Wissenschaftler aber bereits auf Vieles hingewiesen, wie etwa die systemischen Ursachen sexuellen Missbrauchs. "Diese Ursachen sind im Bistum Münster keine anderen als im Erzbistum München und Freising oder in anderen Bistümern. Als Bischof von Münster ist es meine Verantwortung, diese Ursachen zu bekämpfen und konkrete Konsequenzen zu ziehen. Damit habe ich und damit haben wir im Übrigen schon begonnen", sagte der Bischof.
Genn betonte, dass die Ankündigung von Konsequenzen im Umgang mit Missbrauchsfällen keinen Wert habe, wenn diese nicht auch gezogen würden. Er erklärte in diesem Zusammenhang, dass es ihm nicht nur um "erwiesene Fehler" oder "Pflichtverletzungen" gehe, von denen in den Gutachten mit Blick auf einzelne Verantwortungsträger meist gesprochen werde. "Die damit verbundene juristische Bewertung ist notwendig, aber unzureichend. Sollten wir an uns selbst – gerade als Christen – nicht viel strengere Maßstäbe anlegen? Was ist mit unserer Moral? Was ist mit unserer Haltung?", fragte der Bischof. Aus der Beantwortung dieser Fragen hätten bereits zwei deutsche Erzbischöfe dem Papst ihre Rücktritte angeboten. Sie hätten sich damit ihrer institutionellen, aber auch ihrer persönlich-moralischen Verantwortung gestellt: "Ich verstehe, dass es insbesondere für Betroffene dann unverständlich und schmerzhaft ist, wenn solche Rücktrittsangebote abgelehnt werden."
Genn gab weiter zu, dass bei der Frage der Entschädigungen von Betroffenen viel Zeit verloren gegangen sei. "Es ist für die Betroffenen erneut verletzend, enttäuschend und ärgerlich, dass das so lange dauert", sagte der Bischof. Dies sei keine Kritik an den Mitarbeitern der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen, sondern eine Selbstkritik: "Wir hätten als Bischöfe vielleicht ein einfacheres Verfahren wählen müssen oder die Kommission von Beginn an personell deutlich besser ausstatten müssen. Das haben wir inzwischen getan. Von daher hoffe ich, dass die Kommission den 'Antragsstau' möglichst rasch abarbeiten wird." Es sei aber nicht das Ziel der Bischöfe, eine Verzögerungstaktik zu fahren. "Aber ich verstehe, dass man uns auch das nicht glaubt", so Genn.
Der Bischof reagierte auch auf die Kritik von Betroffenen, dass er sich nach der Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens nicht zu Benedikt XVI. geäußert habe. Er habe zunächst abwarten wollen, dass sich der emeritierte Papst selbst zu den Vorwürfen äußert; dies habe er inzwischen getan: "Aus seiner Stellungnahme vom 8. Februar spricht nun wirklich er selbst und nicht seine Berater. Ich nehme ihm sein Schuldbekenntnis ab. Das ist für mich sehr authentisch." Ein weiterer Grund für seine Zurückhaltung sei die innerhalb der in der Bischofskonferenz getroffene Vereinbarung, dass nicht jeder Bischof immer zu jedem Thema Stellung nehme. "Dies bedeutet nicht, dass mir ein Thema egal ist oder dass ich nicht mitgehe, denke und fühle. Dass mein Wort vermisst wurde, habe ich vernommen", so der Bischof.
Bischof: Verstehe die Kritik an Predigt von Weihbischof Zekorn
Für ihn sei angesichts der kritischen Reaktionen von Betroffenen erneut deutlich geworden, dass man auf Seiten der Kirche wirklich zuerst an die Betroffenen denken müsse – "und da beginne ich nicht bei Papst Benedikt, sondern bei Felix Genn". Man solle jede Aussage vermeiden, die als das Abschieben von Verantwortung verstanden werden könne, "sondern uns zu unserer persönlichen wie institutionellen Verantwortung bekennen. Nicht die anderen hatten oder haben Verantwortung, sondern ich hatte und habe Verantwortung und bereue Fehler, die ich in dieser verantwortlichen Position gemacht habe", sagte der Bischof.
Genn äußerte zudem Verständnis für Kritik an einer Predigt von seinem Weihbischof Stefan Zekorn. Dieser hatte aus Sicht von Betroffenen am 2. Februar im Dom durch historische Einordnungen, Vergleiche und die Bezugnahme auf wissenschaftliche Erkenntnisse früherer Zeiten Schuld und Verantwortung früherer Bischöfe und Personalverantwortlicher relativiert. Genn betonte, dass er die Kritik der Betroffenen an der Predigt verstehe und mit dem Weihbischof bereits darüber gesprochen habe. Er habe gemäß dem Wunsch der Betroffenen veranlasst, dass die Berichterstattung über die Predigt von den digitalen Plattformen des Bistums entfernt werde. Auch der Weihbischof selbst habe dies auf seiner persönlichen Facebook-Seite bereits getan. (stz)