Mit Pfadfinderverband über Missbrauchsaufarbeitung und Rollenbilder gesprochen

Afj-Leiterin Mohr: KPE-Anerkennung nicht Gegenpart zu DPSG oder BDKJ

Veröffentlicht am 22.02.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Düsseldorf ‐ An der Anerkennung der Katholischen Pfadfinderschaft Europas durch die Bischofskonferenz gab es Kritik – wegen Missbrauchsfällen, aber auch wegen vermeintlich überholter Rollenbilder. Im katholisch.de-Interview erklärt die Leiterin der zuständigen DBK-Arbeitsstelle die Hintergründe der Entscheidung.

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Bianka Mohr leitet die Arbeitsstelle für Jugendseelsorge (afj) der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) in Düsseldorf. Bereits seit vielen Jahren ist sie im Gespräch mit der Bundesleitung der Katholischen Pfadfinderschaft Europas (KPE). Die Sozialpädagogin erklärt im Interview, wie sie die Pfadfinder wahrnimmt, welche kritischen Themen beim Prozess der Anerkennung angesprochen wurden und warum sie glaubt, dass sich der Verband in den vergangenen Jahrzehnten erheblich weiterentwickelt hat.

Frage: Frau Mohr, die KPE wurde im Dezember des vergangenen Jahres von der DBK als privater kanonischer Verein anerkannt. Warum ist es zu diesem Schritt gekommen?

Mohr: Die KPE hatte den Wunsch geäußert, in einigen Bistümern an Veranstaltungen der Jugendpastoral teilzunehmen, wie etwa an diözesanen Jugendtagen. Deshalb gab es Gespräche mit einigen Diözesen darüber, ob eine Anerkennung der KPE sinnvoll sei. Dabei stellte sich heraus, dass die Schaffung einer kirchlichen Rechtspersönlichkeit, also die Anerkennung als privater kanonischer Verein der beste Weg ist. Anschließend folgte der Prozess, der zur offiziellen Anerkennung führte.

Frage: War die KPE vorher bereits als diözesaner Verein anerkannt?

Mohr: Es gab unterschiedliche Situationen: In einigen Bistümern war sie anerkannt, in anderen nicht. In einigen Diözesen gab es sogar Hinweise darauf, dass man die KPE ganz bewusst nicht anerkannt hatte. Und wieder andere Bistümer hatten sich nie mit dieser Frage beschäftigt. Mit der offiziellen Anerkennung ist die Frage für die Kirche in Deutschland jetzt geklärt. Es gibt zudem verschiedene Formen der Anerkennung, etwa als Träger der Jugendhilfe oder wie jetzt – und das betrifft die rechtliche Klärung – als privater katholischer Verein.

Frage: Der Hauptsitz der KPE wurde im Zuge der Anerkennung durch die DBK von Mainz nach Augsburg verlegt. Was steckt dahinter?

Mohr: Das sogenannte Belegenheitsbistum ist immer das, in dem ein Verein seinen Sitz hat. Für die KPE war das bislang das Bistum Mainz, weil sie dort gegründet wurde. In den Gesprächen, die den zweijährigen Prozess der Anerkennung begleiteten, kam die Frage auf, ob die KPE ihren Sitz von Mainz wegverlegen sollte, weil es dort momentan nur wenige Kontakte zur Jugendpastoral und zum Bistum gibt. Im Bistum Augsburg bestehen hingegen viele lebendige Kontakte zur Jugendpastoral und auch die Anzahl der KPE-Gruppen ist dort viel höher als im Bistum Mainz. Die KPE hat gesehen, dass es Vorteile bringt, wenn sie in einem Bistum ihren Sitz hat, in dem sie sehr aktiv ist. Bischof Meier hat sich – unter anderem nach Beratungen mit mir – mit der KPE-Bundesleitung getroffen und letztlich der Verlegung zugestimmt.

Frage: Welche Vorteile hat die KPE durch die Anerkennung als kirchlicher Verein?

Mohr: Die Anerkennung führte zur Schaffung einer kirchlichen Rechtspersönlichkeit, was bedeutet, dass die Satzung der KPE überprüft und genehmigt wurde. In diesem Prozess kam es auch zur Änderung einiger Punkte in der Satzung, weil dies die Rechtsabteilung des VDD gefordert hatte. Ein anerkannter privater kirchlicher Verein ist Träger von Rechten und Pflichten. Der Verein handelt außerdem jetzt in eigenem Namen und es sind nicht mehr nur die einzelnen Mitglieder die handelnden Personen. Außerdem wurde bestätigt, dass die Satzung mit kirchlichem Recht übereinstimmt und es gibt nun ein Aufsichtsrecht durch das Belegenheitsbistum Augsburg. Für den Verband bedeutet die Anerkennung eine Sicherheit, wenn er etwa große Finanzgeschäfte tätigen sollte oder auch, wenn es darum geht, bestimmte Regelungen der Bistümer oder der Bischofskonferenz anzuerkennen. Anders als zu hören war, geht es nicht um Geld oder andere Zuwendungen an die KPE; es gibt keine weiteren inhaltlichen Verquickungen als die bereits bestehenden. Es ging einzig und allein um einen rechtlichen Schritt.

Bianka Mohr von der afj
Bild: ©afj/DBK

Bianka Mohr leitet die Arbeitsstelle für Jugendseelsorge (afj) der Deutschen Bischofskonferenz in Düsseldorf.

Frage: Im Bistum Augsburg hört man, dass Weihbischof Wörner die Anerkennung der KPE stark vorangetrieben hat. Stimmt das?

Mohr: Man muss zwischen zwei Prozessen unterscheiden: Zum einen gibt es schon seit 2013 Gespräche zwischen der KPE und der afj auf Bitten der Jugendkommission der Deutschen Bischofskonferenz unter dem damaligen Vorsitzenden Bischof Wiesemann. Hintergrund war der Wunsch, miteinander in Kontakt zu treten, sich kennenzulernen und genau zu schauen, was und wie die KPE arbeitet. In diese Gespräche wurden rasch die beiden Pfadfinderverbände DPSG und PSG eingebunden. Es gab ein Gespräch im Jahr und ansonsten Mail- sowie Telefonkontakt zu aktuellen Fragen. Zum anderen gab es den Anerkennungsprozess als privater kanonischer Verein. Weihbischof Wörner, der auch Mitglied der Jugendkommission ist, hat den Gesprächsprozess, der seit vielen Jahren läuft, interessiert verfolgt. Als es um die Frage des Wechsels des Belegenheitsbistums ging, hat sich auch Bischof Meier eingeschaltet. Die beiden Prozesse sind unabhängig voneinander gelaufen, aber wir haben in der Jugendkommission auch über die Frage der Anerkennung gesprochen, weil die afj den Auftrag hat, regelmäßig zu berichten, wie die Zusammenarbeit mit der KPE läuft.

Frage: Worum geht es inhaltlich in den Gesprächen mit der KPE?

Mohr: Zu Anfang ging es um das grundsätzliche Kennenlernen der Arbeit, der Haltungen sowie der Art und Weise, wie die KPE das Pfadfinder-Sein lebt. Aber es geht bis heute auch um Themen, wie Geschlechtergerechtigkeit und Rollenbilder. Vor einigen Jahren stand auch der Punkt Prävention auf der Tagesordnung, als es in den Verbänden allgemein um die Rahmenordnung zur Prävention der Deutschen Bischofskonferenz ging. Inzwischen hat die KPE die Präventionsordnung der Deutschen Bischofskonferenz übernommen. Deshalb haben wir mit der KPE auch über sexuelle Gewalt und geistlichen Missbrauch gesprochen. Wir haben lange darüber gesprochen, wie junge Menschen bei ihrer Persönlichkeitsbildung begleitet werden. Und im vergangenen Jahr war auch der Prozess der Anerkennung als privater kanonischer Verein ein Thema. Im Grunde ist es eine gegenseitige Vorstellung der aktuellen Planungen für das Jahr und wir sprechen zusätzlich über ein spezielles Thema, das man sich genauer angeschaut hat. Darüber gab es einen Austausch und Rückmeldungen.

„Die KPE von heute lässt sich nicht mehr mit der KPE aus den 80er-Jahren vergleichen.“

—  Zitat: Bianka Mohr

Frage: Waren das ausschließlich Gespräche oder waren Sie auch bei einer Gruppenstunde oder im Zeltlager der KPE dabei?

Mohr: Nein, es gab keine Ortstermine oder so etwas. Wir sind eine Arbeitsstelle der Deutschen Bischofskonferenz, also auf Bundesebene zuständig, und sprechen immer mit der Bundesleitung eines Verbands. So war und ist es auch bei den Gesprächen mit der KPE. Im Rahmen der Anerkennung gab es ein von Bischof Meier initiiertes Gespräch zwischen den Diözesanebenen der jeweiligen Verbände im Bistum Augsburg, also vom Jugenddachverband BDKJ, von den Pfadfinderverbänden DPSG und PSG sowie der KPE, wobei von Seiten der KPE die Bundesleitung teilgenommen hat.

Frage: Wie geht man in der KPE mit den Missbrauchsvorwürfen um, die auch von einem Mitglied des Betroffenenbeirates der DBK erhoben werden?

Mohr: Ich erlebe die Bundesleitung der KPE mit einem klaren Bewusstsein für die kritische Vergangenheit ihres Verbandes und mit einem großen Willen zu Veränderungen. Das aktuelle Leitungsteam der KPE, das sich in den vergangenen Jahren teilweise neu zusammengesetzt hat, aber auch aus Menschen besteht, mit denen ich schon seit vielen Jahren spreche, hat in den vergangenen Jahren die wichtigsten Papiere des Verbandes aktualisiert. Also die Satzung, die inhaltlichen Konzepte und die Ausbildungspapiere überarbeitet und auch ihre Jugendarbeit entsprechend umgestaltet. Die Themen Prävention, sexualisierte Gewalt und geistlicher Missbrauch waren in diesem Prozess wichtig, aber eben auch, weil das in den vergangenen Jahren in jedem Jugendverband ein Thema war und noch heute ist. Natürlich wusste die Bundesleitung über die Anfragen, die man an die Arbeit der KPE hat. Sie haben in unseren Gesprächen stets Feedback zu ihrer Weiterentwicklung und den erneuerten Papieren eingefordert und die Rückmeldungen in ihre Prozesse einfließen lassen. Deshalb sind wir zu der Einschätzung gekommen, dass eine deutliche Weiterentwicklung des Verbands zu sehen ist. Die KPE von heute lässt sich nicht mehr mit der KPE aus den 80er-Jahren vergleichen.

Was die Missbrauchsfälle angeht: Spätestens seit zehn Jahren ist klar, dass es in der gesamten katholischen Kirche Missbrauch gab, der eben auch nicht vor den Verbänden Halt gemacht hat. Die Jugendverbände befassen sich im Moment alle mit der Frage, wie sie die Aufarbeitung gestalten – das ist natürlich auch bei der KPE so. Ich selbst wusste bis vor wenigen Wochen nicht, welche Personen Missbrauchserfahrungen in der KPE gemacht haben. Die Aufarbeitung läuft über die Interventionsstellen der Bistümer und die unabhängigen Beauftragten, was rechtlich sinnvoll ist. Daher arbeiten wir als afj nicht bei der Aufarbeitung von Missbrauch mit. Wie überall wird zu erwarten sein, dass noch mehr Vorwürfe auf die KPE zukommen. Ich habe mit der KPE besprochen, wie dann verfahren wird und woher sie Unterstützung bekommen können.

Ein Zeltlager der Katholischen Pfadfinderschaft Europas aus der Vogelperspektive
Bild: ©Bistum Augsburg/Markus Christoph

Ein Zeltlager der Katholischen Pfadfinderschaft Europas aus der Vogelperspektive.

Frage: Verstehen Sie die heftige Kritik, die nach Bekanntwerden der Anerkennung geäußert wurde?

Mohr: Ich kann gut verstehen, dass Menschen, die in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit oder bei der KPE gemacht haben, sich über die Anerkennung durch die Deutsche Bischofskonferenz wundern oder auch ärgern. Ich kann auch nachvollziehen, dass sich von Missbrauch Betroffene in besonderer Weise darüber empören. Die Information über die Anerkennung fiel zudem in die Zeit der Veröffentlichung des Münchener Missbrauchsgutachtens und der Synodalversammlung. Das ist tatsächlich ein dummer Zufall gewesen. Sowohl die Aufarbeitung bei der KPE als auch die Anerkennung des Verbands sind seit Jahren von unterschiedlichen Ebenen bearbeitet und gut geprüft worden. Daher war es weder eine Provokation noch böse Absicht, dass das zeitlich zusammengefallen ist. Aber ich muss dazu sagen: Der Jugendkommission und uns als afj ging es um die Einschätzung der aktuellen Arbeit und Ausrichtung der KPE. Da spielen viele Faktoren eine Rolle und nicht allein die Tatsache, dass es auch in der KPE Missbrauchsfälle gegeben hat. Wir sind schon letztes Jahr zu einer positiven Entscheidung in Bezug auf die Anerkennung gekommen, die durch einen Umlaufbeschluss der Bischöfe beschlossen wurde. Auf der Internetseite der KPE gibt es Informationen zum Schutzkonzept, sodass sich jeder nun selbst ein Bild vom Verband und seiner aktuellen Situation machen kann.

Frage: Ging es den Bischöfen mit der Anerkennung der KPE auch darum, die gesamte Bandbreite der Kirche zu zeigen – also, dass es in der Kirche neben den "progressiven" Pfadfinderverbänden DPSG und PSG auch die "klassisch katholischen" Pfadfinder der KPE gibt?

Mohr: Grundsätzlich legen wir in der Jugendpastoral großen Wert auf Vielfalt in alle Richtungen. Wir sprechen von der Diversität jugendlicher Lebenswirklichkeiten und es ist wünschenswert, dass es für die unterschiedlichen Jugendlichen unterschiedliche Angebote gibt. Das steht so sehr deutlich in den neuen Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz zur Jugendpastoral. Aber es ist in keinster Weise so, dass die Bischöfe oder die afj gesagt haben, wir brauchen einen Gegenpart zur DPSG oder zum BDKJ. Die KPE hat von sich aus Gespräche und die kirchliche Anerkennung gesucht. Daraufhin hat das Verfahren begonnen und man hat alle Fragen geklärt, die es zu klären gibt.

Frage: Im Rahmen der dritten Synodalversammlung wurde bekannt, dass es eine "engmaschige Begleitung" der KPE seitens der DBK geben wird und auch Gespräche mit Betroffenen geführt werden sollen. Wie wird diese Begleitung ablaufen?

Mohr: Wir haben weiterhin jedes Jahr mindestens ein Gespräch zwischen KPE, DPSG, PSG, BDKJ und afj, das von uns organisiert wird – und darüber hinaus Mail- und Telefonkontakt. Wir können also weiterhin auf aktuelle Fragen und auch auf das Thema Aufarbeitung und Prävention eingehen. Ich weiß, dass es bei der Synodalversammlung schon Gespräche vor Ort gab, auch zwischen dem Jugendbischof und dem Betroffenenbeirat bei der Deutschen Bischofskonferenz.

Von Roland Müller