Orthodoxer Militärkaplan: An der Front gibt es keine Atheisten
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Der Krieg in der Ukraine ist schon seit 2014 im Gange. Russland annerktierte die Krim, in den Provinzen Donezk und Luhansk im Osten des Landes riefen von Russland unterstütze Seperatisten sogenannte "Volksrepubliken" aus. Durch den Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am Donnerstag hat der Konflikt eine dramatische Zuspitzung erhalten. Petro Bokanov kennt von seinen Einsätzen als Militärkaplan in der Ostukraine die existenziellen Nöte der Soldaten. Im Interview spricht er auch über die Sorgen der Ukrainer in Deutschland, die nun um ihre Angehörigen bangen.
Frage: Sie waren mehrmals als orthodoxer Militärseelsorger an der Front in der Ostukraine. Was haben Sie da erlebt?
Bokanov: Krieg ist Krieg, und das spürt man. In den großen Städten im Kriegsgebiet versucht man sich abzulenken und ein normales Leben zu führen. Man muss weiterleben. Es ist sehr schwierig unter andauernder Spannung zu leben. Zum Teil hatten sich die Menschen an den Zustand gewöhnt, aber man weiß natürlich wo man lebt, und dass jeder Zeit etwas passieren kann. Diese Spannung ist überall, man spürt die Gefahr. Die Zivilbevölkerung spürt das ganz stark.
Frage: Wie sieht denn der Alltag außerhalb der Städte aus?
Bokanov: An der Frontlinie gibt es natürlich andauernd Gefechte. In den kleineren Dörfern auf dem Land lebt fast niemand mehr. Nach acht Jahren Krieg ist das alles zerstört. Wenn man dort hinkommt, fühlt man sich wie im Katastrophenfilm. Es ist alles zerstört und menschenleer. Hin und wieder gibt es noch ein paar alte Leute, die ihre Heimat nicht verlassen wollen oder können.
Stellen Sie sich vor, dass es Kinder gibt, die dort noch nie eine Welt ohne Krieg erlebt haben. Mit acht Jahren sind die schon in der Schule.
Frage: Welche Gespräche haben Sie dort als Seelsorger geführt?
Bokanov: Das sind die Gedanken und Gespräche, die bei jedem Krieg kommen. Der Mensch ist nicht für den Krieg geschaffen. Es ist immer schwer damit klar zu kommen. Die Leute haben Familien, das ist immer eine große Sorge. Die Soldaten sind von den Familien getrennt. Man sagt bei uns: "An der Front gibt es keine Atheisten". Jeder macht sich Gedanken um sein Leben, um den größeren Sinn. Ich habe solche Gespräche auch mit Menschen geführt, die sich nicht als religiös bezeichnen oder einer Kirche angehören.
Frage: Ist denn so ein Fronteinsatz für Sie als Militärseelsorger gefährlich?
Bokanov: Wir als Militärkapläne sind durch die Genfer Konvention geschützt. Genau wie das medizinische Personal sind wir keine Kombattanten. Wir tragen keine Waffen und dürfen uns auch nicht an Militäroperationen beteiligen.
Aber natürlich spüren auch wir die Gefahr. Wir müssen ja auch die Menschen an der Front seelsorglich betreuen. Wir sind auch dorthin gegangen, wo keine befestigten Straßen mehr existiert haben. Natürlich war das gefährlich, aber die Soldaten haben uns gut beschützt. Wenn es brenzlig wurde, haben sie versucht uns von den Kämpfen abseits zu halten.
Frage: Was geht Ihnen in diesen Zeiten denn als Seelsorger, als Geistlicher durch den Kopf?
Bokanov: Das ist ein sehr schwieriges Gefühl, zu beschreiben. Ich habe gesagt, dass der Mensch nicht für den Krieg geschaffen ist. Was würden Sie tun, wenn jemand in Ihre Wohnung einbricht? Man muss sich ja verteidigen. Das war auch immer in der Kirchengeschichte so, das lesen wir auch in der Bibel. Sein Land zu verteidigen, ist wichtig, auch für Christen. Ich hoffe, dass unser Herr uns die Sünden, die in diesem Krieg begangen werden, vergibt. Alles andere wäre irgendwie falsch. Aber ich glaube an Gott, vertraue auf seine Barmherzigkeit und weiß, dass unser Gott dort ist, wo die Wahrheit ist, und ich bin überzeugt, dass in diesem Krieg die Wahrheit auf unserer Seite steht. Also steht auch Gott uns bei.
Frage: Sie betreuen zwei Gemeinden in Deutschland, in Frankfurt und Mannheim. Natürlich haben die Gemeindemitglieder dort auch Familien in der Ukraine. Wie gehen Sie als Auslandsgemeinde mit der Lage um?
Bokanov: Die haben riesige Sorgen, besonders in den letzten Tagen. Sie haben Angehörige, Familie, Bekannte in der Ukraine, auch in den Frontgebieten, auch in den besetzten Gebieten. Da gibt es große Sogen. Aber wir halten zusammen und helfen den Menschen in unserer Heimat. Wir wissen, dass jetzt schwierige Zeiten kommen und sammeln auch für humanitäre Hilfe. Wir sammeln für Waisenhäuser, Altenheime und Krankenhäuser. Wir unterstützen auch ein Militärkrankenhaus hier in Deutschland, wo ukrainische Soldaten behandelt werden. Ich bin dort Sanitätskaplan. Schon seit 2015 kümmere ich mich um Patienten im Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz. Deswegen sehe ich auch hier in Deutschland, was solch ein Krieg bedeuten kann.