Auf Abruf zurück – Kardinal Woelki will umsteuern
Mit offenen Armen wird Kardinal Rainer Maria Woelki an Aschermittwoch im Erzbistum Köln nicht empfangen. Vor dem Dom demonstrierten am Vormittag Reforminitiativen, an der Innenstadtkirche St. Agnes hängt ein Banner mit der Aufschrift "schmerzlich unwillkommen". In den Wochen zuvor war eine merkliche Distanzierungsbewegung in den Gremien deutlich geworden: von Pfarrgemeinden bis zu den bischöflichen Räten schien eine deutliche Front der Ablehnung zu stehen, auch bei ehemals Vertrauten. Interne Beratungen im erzbischöflichen Rat, in Austauschgremien von Priestern tauchten so schnell in den Medien auf, dass es bisweilen wirkte, als würden einstige Weggefährten in letzter Sekunde vor dem sicher geglaubten Ende öffentlich dokumentieren wollen, dass sie auf der vermeintlich richtigen Seite der Geschichte stehen.
Im "Kölner Stadt-Anzeiger", der in den vergangenen Monaten und Jahren die Geschehnisse kleinteilig, kritisch und stets von interessierter Seite mit Insiderinformationen versorgt begleitet hatte, konnte der Kardinal eine Aschermittwochsbotschaft des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz lesen. Dass sich der Limburger Bischof Georg Bätzing in einer lokalen Tageszeitung außerhalb seines Bistums prominent mit einem Gastbeitrag zu Wort meldet, ist ungewöhnlich genug. Das geistliche Wort des Bischofs spricht von "Umkehr, Buße und Erneuerung" und wendet sich nur wenig versteckt an seinen Kölner Amtsbruder: "Wenn wir loslassen, von uns absehen und anderem und anderen Aufmerksamkeit schenken, dann finden wir auch wieder zu uns selbst." Für bischöfliche Verhältnisse ist das deutlich. Noch deutlicher wurde der Luxemburger Kardinal Jean-Claude Hollerich, der als Papstvertrauter gilt und Woelki Anfang Februar zum Rücktritt geraten hatte.
Kein Wunder von Köln
Zur Befriedung hat die gut fünfmonatige geistliche Auszeit also nicht beigetragen – weder in Köln noch darüber hinaus. Ein Wunder sei ausgeblieben, sagte auch der scheidende Apostolische Administrator Rolf Steinhäuser am letzten Tag vor der Rückkehr des Erzbischofs in seiner Abschiedsbotschaft.
Bis zuletzt war es für möglich gehalten worden, dass die Auszeit für den Kardinal die Endzeit seiner Leitung der Erzdiözese bedeuten könnte; entsprechend aufmerksam wurde die interne Kommunikation mit den Mitarbeitenden beobachtet. Anscheinend gab es tatsächlich auch bis in die Interims-Spitze des Erzbistums Unklarheit. Im letzten Moment sagte Weihbischof Steinhäuser in der letzten Woche eine immer wieder verschobene Mitarbeiter-Dialog-Veranstaltung endgültig ab. "Ich wollte mit einer klaren Ansage über die Zeit ab Aschermittwoch bei Ihnen 'rüberkommen'", hieß es in dem internen Schreiben, und weiter: "Weil es diese Klarheit noch nicht gab, habe ich dieses Gespräch auf heute (den letztmöglichen Tag vor dem Karneval) verschoben." Der Apostolische Administrator selbst schien also bis zuletzt nicht völlig im Bilde gewesen zu sein; derweil wurde Woelki in Rom auf dem Weg zur päpstlichen Unterkunft Santa Marta gesichtet, zusammen mit dem Münsteraner Bischof Felix Genn, dem dienstältesten Bischof der Kölner Kirchenprovinz, der zugleich einziges deutsches Mitglied der vatikanischen Bischofskongregation ist. Was die beiden besprochen haben, ist nicht bekannt. War es das Rücktrittsgesuch, das der Kardinal nun der Öffentlichkeit präsentierte?
Am Dienstag dann wurden die Bistumsmitarbeiter vom Delegaten Markus Hofmann in einem weiteren internen Schreiben über das weitere Vorgehen informiert, deutlich verbindlicher als durch Steinhäuser in seiner öffentlichen Abschiedsbotschaft. Spätestens bei der detaillierten Regelung zur administrativen Abwicklung des Übergangs von Administrator zu Erzbischof, von Delegat zu Generalvikar bis hin zu Anweisungen zu Siegeln und Briefpapier dürfte den letzten Zweifelnden klar geworden sein: Er kommt wieder.
Rückkehr mit Rücktrittsgesuch
Mit Veröffentlichung der angekündigten Pressemitteilung und des Hirtenbriefs war dann auch klar, warum beides so vollkommen unter Verschluss gehalten wurde – Pressestelle wie Apostolischer Administrator versicherten bis zuletzt durchaus glaubhaft, dass sie zuvor selbst nichts vom Inhalt wussten. "Als Ausdruck dieser Haltung innerer Freiheit habe ich dem Heiligen Vater meinen Dienst und mein Amt als Erzbischof von Köln zur Verfügung gestellt, so dass auch er frei ist, zu entscheiden, was dem Wohl der Kirche von Köln am meisten dient", zieht Woelki darin die Konsequenz aus seiner geistlichen Auszeit.
Er kommt also wieder. Aber auf Abruf. Wieder einmal ist der Papst am Zug. Wie Franziskus entscheiden wird, ist dabei keineswegs ausgemacht. Die Rücktrittsgesuche der im Kölner Gutachten belasteten Bischöfe Schwaderlapp und Heße aus dem März des vergangenen Jahres hatte er nach langer Schwebe erst im Herbst abgelehnt – zumindest im Fall des heutigen Hamburger Erzbischofs Heße wohl auch gegen dessen eigentlichen Willen und Hoffnung. Das ohne besonderen Anlass lange vor Veröffentlichung des Münchener Gutachtens eingereichte Rücktrittsgesuch des Münchener Kardinal Reinhard Marx wurde im Frühsommer dagegen quasi postwendend abgelehnt – mit einem ausgesprochen wertschätzenden Brief des Papstes angesichts der Zerknirschung von Marx. Dass Franziskus Ende letzten Jahres ebenso postwendend den eher verklausuliert formulierten Rücktritt des Pariser Erzbischofs Michel Aupetit aufgrund von Gerüchten über Führungsquerelen und vor allem über eine angebliche Affäre angenommen hatte, zeigt, wie unberechenbar dieser Papst in Sachen Rücktritt ist.
Eine Auszeit löst keine Probleme
In seinem Hirtenbrief bemüht sich Woelki nun, dem während seiner Auszeit noch mehr angestauten Ärger zu begegnen. Eine Auszeit an sich löse ja keine Probleme, schreibt er. Von außen könne auch nur wenig auf den Weg gebracht werden. "Und schließlich kann Versöhnung nur in einem Miteinander gedacht, gewagt, konkret versucht werden – und nicht im Modus einer Auszeit voneinander", geht es weiter. Er habe die für ihn dringend nötige Zeit für sich genutzt, um sich den "Versäumnissen, den Fehlern und der Schuld in meinem Leben zu stellen und dabei auch Gelungenes und den Zuspruch zu sehen und wertzuschätzen – und aus beidem zu lernen". Besonders die ignatianischen Exerzitien hätten ihm dabei geholfen, klarer zu sehen und zu reflektieren.
Hirtenbrief von Kardinal Rainer Maria Woelki zu Aschermittwoch
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
am heutigen Aschermittwoch beginnt für uns alle die österliche Bußzeit dieses Kirchenjahres. Für mich ist es zugleich der Tag, an dem ich nach einer mehrmonatigen Auszeit in den aktiven Dienst als Erzbischof von Köln zurückkehre. Mir ist klar, dass sich für viele von Ihnen damit auch ganz unterschiedliche Gefühle verbinden: Verunsicherung, Unverständnis, Misstrauen bis hin zur Ablehnung meiner Person sowie einer gewissen Sorge im Hinblick darauf, wie es bei uns im Erzbistum weitergehen wird. Es tut mir leid, dass diese Zeit für viele Menschen in unserer Kirche eine so belastete Zeit ist. Und ich weiß und es schmerzt mich, dass auch ich für diese Situation Verantwortung trage. […]
Die zynische Interpretation des Schreibens wäre die, dass die Adressaten nur nominell die Gläubigen des Erzbistums sind, denen der Hirtenbrief in der Messe vorgetragen werden wird. Der eigentliche Adressat wäre dann der Papst, der selbst von der jesuitischen Spiritualität der Unterscheidung der Geister in den geistlichen Übungen des heiligen Ignatius geprägt ist. Die Übung in "Indifferenz", der vorurteilslosen Betrachtung und Unterscheidung, die Haltung, "nichts zu sehr zu wollen", wie Woelki selbst schreibt, habe ihn vorangebracht. Mit Blick auf das päpstliche Lob für die Zerknirschung von Marx und Heße könnte das eine vielversprechende Strategie sein, wenn auch keine sichere Bank: Berechenbar ist dieser Papst nicht, und zum konkreten Fall kommen für ihn auch grundsätzliche Überlegungen.
Zwar gibt es Präzedenzfälle einer Amtsenthebung aufgrund eines zerrütteten Vertrauensverhältnisses. Der Rücktritt des ehemaligen Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst war nicht aufgrund finanzieller Unregelmäßigkeiten angenommen worden, sondern weil es, so die Mitteilung des Heiligen Stuhls zum Amtsverzicht, "zu einer Situation gekommen ist, die eine fruchtbare Ausübung des bischöflichen Amtes" verhindert habe. Bischöfe sind aber grundsätzlich nicht an die Zustimmung des Kirchenvolks gebunden; derartige demokratische Legitimationsfiguren sind der Kirche fremd. Erst jüngst im Nachgang des Rücktritts von Aupetit schien der Papst selbst über seine Entscheidung erschrocken gewesen zu sein, als er davon sprach, dass der Pariser Erzbischof auf dem "Altar der Heuchelei" geopfert worden sei. Für einen Verbleib Woelkis könnte also sprechen, dass der Papst die hierarchische Struktur der Kirche nicht dadurch riskieren will, dass er Signale sendet, dass es zur "Abwahl" eines Bischofs durch das Volk nur genug Misstrauensbekundungen braucht. Das entspricht auch dem im Kontext kirchlicher Reformbemühungen geäußerten Standpunkt von Woelki selbst – um die hierarchische Verfassung der Kirche willen haben also sowohl der Papst wie der Erzbischof große Anreize, den Rücktritt nicht zur Annahme kommen zu lassen. Zugleich kann niemand ein Interesse haben, die restlichen zehn bis fünfzehn Jahre von Woelkis Amtszeit in einem völlig zerrütteten Bistum ansehen zu müssen.
Alte Fehler sollen nicht wiederholt werden
Der Hirtenbrief bemüht sich sichtlich, alte Fehler nicht zu wiederholen: Der Erzbischof wirbt um Vertrauen und ein gemeinsames Arbeiten an der Zukunft, er spricht von eigener Schuld und Verantwortung, er sagt vor allem oft "ich", er betont, die Betroffenenperspektive als richtungsweisend anzunehmen. Inhaltlich deutet er dabei auch ein Zugehen auf reformorientierte Positionen an, wo er zuvor vor allem als Antipode der Reformvorhaben des Synodalen Wegs aufgetreten war: In ihm sei "manches in Bewegung gekommen, was sich in der immer angespannteren kirchlichen Situation und zunehmenden, oft sehr persönlichen Anfeindungen meiner Person in unguter Weise in mir verhärtet hatte". Das betreffe "Zusammenhänge von Beteiligung und Leitung, Möglichkeiten der pastoralen Entwicklung sowie notwendige Reformen in der Kirche bis hin zu systemischen Veränderungen, welche die Realitäten von sexuellem, geistlichem und strukturellem Missbrauch auch mir aufgeben".
Fast schon flehentlich bittet der Erzbischof seine Gläubigen um "Offenheit", um "Geduld", darum "dass Sie mir, nein, uns noch eine Chance geben". Ungewohnt emotional wendet sich der Kardinal, der als reserviert gilt und aufgetreten ist, an seine Gläubigen. "Ich habe verstanden", schreibt er sinngemäß am Ende seines Hirtenbriefs: "Ja, ich weiß um den Missbrauch in seinen verschiedenen Dimensionen. Ich weiß um den ungenügenden Umgang damit, um Fehlverhalten von Verantwortlichen insgesamt und um Irritationen in der Kirche in Deutschland und der Weltkirche – bis hin zu einer reformbedürftigen Kommunikation und Verkündigung des Glaubens, die heute zu oft am Leben der Menschen vorbeigeht. Ich weiß, dass diese Zusammenhänge zum Kern dessen gehören, was aktuell viele Menschen in der Kirche bewegt und belastet, verzweifelt macht."
Der Hirtenbrief sendet klare Signale von Verständnis und Demut aus, die viele Woelki wohl so nicht zugetraut hätten. Ob das genügt, um umzusteuern, ist keineswegs sicher. Noch steht der Erzbischof zwar – gutachterlich geprüft und päpstlich anerkannt – ohne Pflichtverletzung hinsichtlich der Missbrauchsaufarbeitung da, und damit besser als die anderen Bischöfe in und aus Köln, die trotz Pflichtverletzungen im Amt belassen wurden. In fünf Monaten Auszeit hat sich aber viel Wut aufgestaut. Die allseits gelobte Interims-Amtsführung durch Weihbischof Steinhäuser hat weniger befriedet, als die Möglichkeit von Alternativen, gerade auch personellen, aufgezeigt. Und dann steht doch noch rechtliches Ungemach ins Haus: Erste Strafanzeigen gegen die Bistumsleitung wegen ihres Verhaltens im Fall des (noch nicht rechtskräftig) wegen Missbrauchs verurteilten Pfarrers Ue. sind gestellt. Die Prüfung und Bewertung möglicher Verstöße gegen kirchenrechtliche Vorgaben zur Finanzverwaltung steht noch aus. Erzbischof Woelki ist zurück. Frieden und Versöhnung im Erzbistum Köln sind aber noch lange nicht in Sicht.