Von der teuflischen Versuchung, das Menschsein abzulegen
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Impuls von Schwester Anne Kurz
In diesem Jahr hat die Fastenzeit am 24. Februar begonnen. Seitdem ist Krieg in Europa und findet ein Kampf in unseren Herzen statt. Wir müssen zusehen und können doch nicht unbeteiligt bleiben. Jeder und jede wird zum Schauplatz stärkster Emotionen. In meiner Fantasie umfasse ich in einem Kiewer Mietshaus die Kalaschnikow. Während ich mir das vorstelle, spüre ich die gesammelte Anspannung und Konzentration, das Verschmelzen mit der Waffe. Im nächsten Augenblick weiß ich, dass ich jede Nacht um die russischen Männer weinen würde, die ich erschossen hätte. Meine Gedanken wandern zu den Menschen in den Metro-Stationen in Angst und Sorge, zu den Kindern. Vielleicht ist das schwerer auszuhalten, als militärisch zu kämpfen. In mir beginnt es zu beten: Heilige Maria, Mutter Gottes, steig herab die Metro-Schächte, sei bei den Menschen.
Die Szene des heutigen Evangeliums handelt von diesem Kampf. Nach vierzig Tagen in der Wüste verdichtet sich die Situation: Der Versucher und Jesus stehen sich gegenüber. Dämonische Macht und göttliche Heilskraft treffen aufeinander. Es entscheidet und es lichtet sich, auf wessen Schulter die Herrschaft gelegt wurde (Jes 9,5).
Der Versucher verfolgt sein Ziel, Jesus das entscheidende Gut zu rauben, das ihn triumphieren lassen würde. Erfolglos muss er am Ende von hinnen schleichen. Um was geht es? So unglaublich es klingen mag: Was er zerstören will, ist das Menschsein Jesu. Dreimal setzt er an, Jesus dahin zu locken, die Vorteile seines "Gott-Seins" zu nutzen: "Wenn Du Gottes Sohn bist, hast Du es nicht nötig, hungrig, arm und verletzlich zu sein." Die Schwäche des Menschseins – für uns oft als Last erfahren – ist das Gut, das Jesus nicht preisgibt. "Das Nein Jesu zum Versucher aber ist ein Ja zu unserer Armut", schreibt der Theologe J.B. Metz. Das Menschsein ist der Ankerplatz des Heils. Jesus ist einer von uns. So hat er uns vor der Verdammung der Unmenschlichkeit bewahrt, so uns gerettet und geheiligt.
Dieses Motiv wird uns Ostern wieder begegnen. Als Jesus sterbend am Kreuz hängt, rufen Menschen: "Er soll sich selbst retten, wenn er der Erwählte Gottes ist!" Jesus aber stirbt. Ganz Mensch. Ganz Gott. Bei der Tauferneuerung Ostern werden auch wir gefragt werden: Widersagt ihr dem Satan und seinen Verlockungen?
Es ist Krieg und in unseren Herzen kämpft es. Blinder Hass macht uns unmenschlich. Solange wir Menschen bleiben, Hunger nach Frieden erleiden, die Güter teilen und verletzlich sind, solange sind wir nicht vom Weg des Heils abgekommen. Die Schwäche des Gottessohnes tragen wir am eignen Leib, aber auch seine siegreiche österliche Heilskraft.
Evangelium nach Lukas (Lk 4,1–13)
In jener Zeit kehrte Jesus, erfüllt vom Heiligen Geist, vom Jordan zurück. Er wurde vom Geist in der Wüste umhergeführt, vierzig Tage lang, und er wurde vom Teufel versucht.
In jenen Tagen aß er nichts; als sie aber vorüber waren, hungerte ihn. Da sagte der Teufel zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl diesem Stein, zu Brot zu werden. Jesus antwortete ihm: Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
Da führte ihn der Teufel hinauf und zeigte ihm in einem Augenblick alle Reiche des Erdkreises. Und er sagte zu ihm: All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen
und ich gebe sie, wem ich will. Wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest, wird dir alles gehören. Jesus antwortete ihm: Es steht geschrieben: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.
Darauf führte ihn der Teufel nach Jerusalem, stellte ihn oben auf den Tempel und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so stürz dich von hier hinab; denn es steht geschrieben: Seinen Engeln befiehlt er deinetwegen, dich zu behüten; und: Sie werden dich auf ihren Händen tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt. Da antwortete ihm Jesus: Es ist gesagt: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.
Nach diesen Versuchungen ließ der Teufel bis zur bestimmten Zeit von ihm ab.