Krieg: Wie Kirchenkunst in der Ukraine und Deutschland geschützt wird
Auf Twitter macht ein Bild die Runde, auf dem fünf Männer einen überlebensgroßen Korpus in einen Bunker bringen. Das Kreuz hatte man zuletzt im Zweiten Weltkrieg wegbringen müssen. Das Bild bewegt die Twittergemeinde. Derweil werden in ukrainischen Museen goldene Ikonostasen auseinandergeschraubt und in Kisten verstaut. Neben dem Leid Flüchtender und Bilder zerstörter Städte sind solche Nachrichten eine weitere Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine. Wo immer möglich, werden Kulturschätze vor Bomben in Sicherheit gebracht. Während erste Kirchen brennen, verteilen Soldaten Feuerlöscher an Geistliche und versuchen, prachtvolle Ikonen zu retten. Auf Straßen und Plätzen im ganzen Land werden Heiligenfiguren in Luftpolsterfolie gepackt oder gleich ganz eingemauert. So versucht man sie bestmöglich vor Splittern und Schäden zu schützen. Angesichts einer drohenden sich ausbreitenden militärischen Krise in Europa stellt sich auch in Deutschland die Frage: Sind die kulturhistorisch relevanten Kirchenbauten ausreichend geschützt?
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Dass im Krieg auch Kirchen, Museen und Bibliotheken getroffen werden, ist kein Zufall: "Viel zu oft wird übersehen, wie bedeutsam die identitätsstiftende Funktion von Kunst und Kultur für Menschen ist", sagt Alexander Gatzsche, er ist studierter Restaurator und Reserveoffizier der Bundeswehr. Bei der UNESCO-Partnerorganisation Blue Shield konzentriert er sich im deutschen Nationalkomitee auf Belange des Militärischen Kulturgutschutz. Kultur und ihre Güter bedeuten Identität, sagt er. "Kirchtürme machen Stadt- und Dorfsilhouetten unverwechselbar, Gemälde und Figuren erzählen von der Geschichte, der Tradition und dem Selbstverständnis einer Region und ihrer Menschen." Kulturgüter werden zum Ziel von Angriffen, wenn die Identität des Gegners verletzt und im schlimmsten Fall zerstört werden soll.
Botschaft warnt: Kiewer Kathedrale in Gefahr
Kirchen und andere religiöse Orte spielen dabei eine entscheidende Rolle. Bereits seit 2014 werden im Osten der Ukraine bewusst Kirchen angegriffen, mahnten internationale Kulturschutzorganisationen an. Kurz nach Kriegsbeginn warnte dann auch die ukrainische Botschaft am Heiligen Stuhl vor einem Angriff auf die Kiewer Sophienkathedrale. Das Anfang des 11. Jahrhunderts begonnene Gotteshaus ist eines der herausragendsten Beispiele der europäisch-christlichen Kultur und steht auf der Welterbeliste der UNESCO.
Im Völkerrecht wird dem Kulturgutschutz in Konflikt-, Katastrophen- und Notfallsituationen besondere Bedeutung beigemessen. Grundlage ist die Haager Konvention von 1954. Sie will Kulturgut vor Zerstörung, Beschädigung oder Plünderung schützten. Warum das wichtig ist, macht schon die Präambel der Konvention deutlich. Sie betont, "dass jede Schädigung von Kulturgut, gleichgültig welchem Volke es gehört, eine Schädigung des kulturellen Erbes der ganzen Menschheit bedeutet, weil jedes Volk seinen Beitrag zur Kultur der Welt leistet".
Daher verbietet die Konvention beispielsweise Angriffe auf historische Denkmäler, künstlerische und religiöse Einrichtungen oder die Nutzung solcher Objekte für militärische Zwecke. "Für Kirchen bedeutet das: es darf weder von einem Kirchturm geschossen werden, noch darf er in Beschuss genommen werden", erklärt Alexander Gatzsche. „Ausnahmen davon gibt es nur unter strengsten Bedingungen die ebenfalls im Völkerrecht verankert sind.“
Besonders gesichert: Luthers Bannandrohungsbulle, Kölner Dombaupläne und Vatikan
In der Haager Konvention werden nicht alle Kulturgüter in gleicher Weise geschützt, es gibt verschiedene Stufen. In der höchsten finden sich Orte, die im Internationalen Register für Kulturgut unter “Sonderschutz” verzeichnet sind. In Deutschland gibt nur einen solchen Fall: Im Barbarastollen lagern Kopien wichtiger deutscher Archivalien, darunter beispielsweise Sicherungskopien der Bannandrohungsbulle "Exsurge Domine" von Papst Leo X. gegen Martin Luther, der Baupläne des Kölner Doms oder der Originalfassung des Deutschen Grundgesetzes.
Sonderschutz genießt auch der gesamte Vatikan – damit ist er der einzige Staat der Welt, der komplett unter Sonderschutz steht. "Rechtlich bedeutet das den größtmöglichen Schutz im Kriegsfall", erklärt Gatzsche. Völkerrechtlich seien diese Orte besonders geschützt. Angriff oder gar Zerstörung solcher Bereiche können als Kriegsverbrechen geahndet werden.
Die Haager Konvention spielt aber nicht nur im Kriegsfall eine Rolle. Sie verpflichtet auch in Friedenszeiten zu Schutz vor allen erdenklichen Gefahren und mahnt zur Instandhaltung. "In Friedenszeiten wollen wir von Blue Shield Deutschland Aufklären, Sichern und vor allem die unerlässliche Kennzeichnungspflicht wichtiger Kulturgüter in Deutschland vorantreiben", sagt Gatzsche. Wenn er von Kennzeichnungspflicht spricht, meint er die blau-weißen Schilder, die auch an vielen Kirchen in Deutschland angebracht sind. Sie sind das Emblem der Haager Konvention und kennzeichnen geschütztes Kulturgut. Diese Markierung mit dem blau-weißen Schild helfe auch in Katastrophenfällen wie im Sommer 2021 im Ahrtal bei Sicherung und Bergung von Kulturgütern. So habe sich besonders Schützenswertes schneller identifizieren und bergen lassen.
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Als besonders schützenswert gelten beispielsweise auch UNESCO-Weltkulturerbestätten in Deutschland. Sie zählen mit anderen bedeutsamen Kulturgütern und Kulturgut bewahrenden Einrichtungen wie Kirchen, Bibliotheken und Museen zur kritischen Infrastruktur. "Welterbestätten wie der Aachener Dom haben eine wichtige Funktion für die Identität der Menschen. Daher sind sie natürlich auch besonders gefährdet", sagt der Aachner Dombaumeister Helmut Maintz. Ohne Vergangenheit könne es keine Zukunft geben, erklärt er und begründet, warum zur Katastrophenhilfe selbstverständlich auch die Rettung von Kulturgütern gehöre. In Friedenszeiten seien Feuer wie der Brand der Kathedrale Notre-Dame in Paris die größte Gefahr – und das, obwohl es viele Sicherheitsvorkehrungen und Brandschutzübungen gäbe. "Wenn es hier brennt, gibt es verschiedene Szenarien." Das reiche vom Abschirmen einzelner Bereiche mit Decken oder Schutzwänden bis hin zum Ausräumen des Aachener Doms "mit schwerem Gerät" bei Einsturzgefahr der Chorhalle.
Auch für den Kriegsfall habe man in Aachen Pläne. Diese stammen jedoch aus der Zeit des Kalten Krieges und liegen seit mehr als 30 Jahren in einer Schublade. Kunstgegenstände kämen dann in einen Bunker, Unbewegliches wie der Karlsthron würde entweder mit Holz ummantelt oder gleich eingemauert und mit Sand aufgefüllt.
"Man kann innerhalb von wenigen Tagen nicht nachholen was man über Jahre versäumt hat."
Das Szenario "Krieg" war bis vor einigen Tagen in Deutschland eine rein hypothetische Größe. Dennoch müsse man diesen Fall im Blick behalten, sagt Alexander Gatzsche: “Auf eine Naturkatastrophe oder einen Brand kann man leider meist nur reagieren, aber für den Kriegsfall kann man vorbereitet sein." Wenn an den Kathedralkirchen für Brände geübt werde, könne man auch andere Szenarien erproben und einüben. In anderen europäischen Ländern sei das schon üblich. Deutschland hinke da etwas hinter. Daher appelliert Gatzsche an Verantwortungsträger, auch für den als unwahrscheinlich erachteten Kriegsfall Sicherheitsleitfäden zu erstellen oder sie zu reaktivieren. "Mit einem Krieg ist hoffentlich nicht zu rechnen – aber nicht darauf vorbereitet zu sein, wäre fatal. Jahrzehntealte Pläne helfen da nur wenig und man kann innerhalb von wenigen Tagen nicht nachholen was man über Jahre versäumt hat.", mahnt Gatzsche.
Wenn Kunst evakuiert werde, muss priorisiert werden, was in welcher Reihenfolge zu retten ist, sagt Carola Marie Schmidt, die das Bamberger Dommuseum leitet. Das Augenmerk liege in einem solchen Fall auf dem religiösen und historischen Wert. Das Metall des Bamberger Domkreuzes sei beispielsweise robuster als der Stoff der Kaisergewänder, so ergebe sich schon aus den Materialien eine Rangfolge.
Materialwert spielt nicht die wichtigste Rolle
"In so einem Fall geht es wieder um Identifikation", sagt der Vorsitzende der Europäischen Vereinigung der Dombaumeister, Münsterbaumeister und Hüttenmeister, Wolfgang Zehetner. Auch ein kunsthistorisch unbedeutenderes Kunstwerk könne einem anderen Werk vorgezogen werden. Der Materialwert spiele da nicht die wichtigste Rolle: "Leinwand und ein bisschen Öl gibt’s ja für ein paar Euro", lacht er. Das mache aber noch kein Kunstwerk. Vielmehr komme es auf die Bedeutung des Kunstwerks für die Identität einer Stadt oder sogar einer Nation an. In Köln beträfe das zum Beispiel den berühmten Dreikönigsschrein und in Aachen Heiligtümer und Karlsschrein. Daher sei es unerlässlich, im Vorfeld genau festzulegen was, wann unter welchen Umständen aus einer Kirche herauszuholen oder zu sichern ist. Dafür brauche es den Rat Sachverständiger: "So etwas sollte und kann man nicht spontan entscheiden". Ebenso müsse auf Materialen Rücksicht genommen werden. "Mit einer Steinfigur muss und kann ich anders verfahren als mit einem Holzaltar."
Insgesamt sieht Zehetner die europäischen Kathedralen gut aufgestellt. Auch er betont: "Feuer ist die größte Gefahr." Dass sich aber eine ähnliche Katastrophe wie in Notre-Dame Paris wiederhole, hält er für ausgeschlossen. Der Erhaltungszustand der Kathedralen sei gut und in ihre Sicherheit werde auch investiert: "Da ist heute schon viel Hightech verbaut." Vieles habe sich in Sachen Brandschutz und Löschanlagen getan. Eiserne Vorhänge, spezielle Löschsysteme und andere technische Lösungen fänden sich heute in den Kathedralen.
Die großen Kathedralen scheinen, für unterschiedliche Bedrohungsszenarien und Gefahrenfälle Pläne zu haben. Wie genau diese Pläne aussehen, möchte man aber nirgends erzählen. Schließlich seien solche Pläne sicherheitsrelevant, heißt es. Das zeigt: Kunstexperten und Verantwortliche der katholischen Kathedralen eint die Überzeugung und Hoffnung, dass Evakuierungspläne am besten in der Schublade aufgehoben sind. In Gedanken sind die europäischen Dombaumeister gerade auch eher bei ihren Mitgliedern in der Ukraine. An ihre Kolleginnen der Kiewer Sophienkathedrale schrieben sie unmittelbar nach Kriegsbeginn: "Wenn Sie eine Möglichkeit sehen, dass wir Sie und die Kathedrale in dieser schweren Situation unterstützen können, zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren."