Mara Klein: Bischöfe sollten Experten sprechen lassen
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"Theologie ist meine Leidenschaft und meine Berufung", sagt Mara Klein. Trotzdem sei die katholische Kirche für queere Menschen wie Klein kein sicherer Ort. Um daran etwas zu ändern, engagiert sich Klein neben dem Studium in Halle im Synodalen Weg. Im Interview erzählt er*sie über Gespräche mit Bischöfen, emotionale Debatten und den Blick aufs Priesterseminar.
Frage: Mein Verständnis von Kirche sein und Gemeinschaft von Christen und Christinnen sein, ist vor allem das Menschliche oder der menschliche Umgang miteinander. Das trifft auf schreckliches Leid durch sexualisierte Gewalt, was nur ein Punkt ist – auch durch Ausgrenzung oder wenn die geschlechtliche Zuordnung und Zuschreibung nicht zusammenpassen. Was im kirchlichen Lehramtsverständnis bzw. konservativen Schöpfungsverständnis nicht vorkommt, ist, dass es mehr als das binäre Verständnis gibt – also mehr als Mann und Frau. Dabei bist du doch das beste Beispiel dafür, dass es diese Vielfalt in der Kirche gibt, dass sie also vorhanden ist.
Klein: Ich würde natürlich immer sagen ja. Ich weiß nicht, ob ich das beste Beispiel bin, aber ich bin ein Beispiel dafür. #outinchurch ist ein Beispiel dafür oder versucht, das zu zeigen, dass es so ist. Es ist letztlich eine Frage dieses Menschenbildes – und das ist sehr eng im Konservativ-Katholischen. Das betrifft dann nicht nur trans, nicht-binäre und inter Menschen, es betrifft auch heterosexuelle Menschen, das betrifft auch Cis-Menschen letztlich, die darunter leiden. Wir haben in der katholischen Kirche eine sehr kleine bevorzugte Gruppe und ein sehr enges Menschenbild angesichts der Vielfalt, die es tatsächlich gibt. Und Menschen diese Existenz abzusprechen oder diese Existenz totzuschweigen, ist für mich ein Gewaltakt, den die Kirche weiterhin vollführt, wenn sie darum weiß, aber trotzdem schweigt. Und ich glaube, nach mir kann zumindest die Deutsche Bischofskonferenz nicht mehr so tun, als ob sie es nicht weiß.
Frage: Diese Vorbildfunktion hast du spätestens seit Beginn der Synodalversammlungen. Du stehst für die Personen zum Beispiel auch im Reformprozess, die sonst in der Kirche nicht gesehen werden oder würden. Aber du bist längst nicht allein. Das sieht man ja an der Aktion unter dem Hashtag #outinchurch. Allein in dem Rahmen setzen sich 125 Personen für eine angstfreie Kirche und Veränderungen bei der kirchlichen Sexualmoral ein. Wie viel Unterstützung hast du? Wie viel Vernetzung gibt es?
Klein: #outinchurch ist ja nicht die erste, aber mit Sicherheit die größte queere Vernetzung, die wir jetzt in der katholischen Kirche haben. Es gibt noch andere, auch ältere Verbände bzw. Netzwerkstrukturen wie das LSBTI-Komitee zum Beispiel. Aber #outinchurch ist mit das größte und vielleicht auch diverseste. Nicht nur von Identitäten her und Sexualitäten her, die vertreten sind, sondern auch vom Alter her. Ich denke, Unterstützung ist auch im Synodalen Weg da. Ich bin ja nicht die einzige queere Person auf dem Synodalen Weg. Das muss man auch immer wieder mal dazu sagen. Es gibt eine andere trans Person auf der Synodalversammlung. Es gibt mehrere geoutet homosexuelle Personen auf der Synodalversammlung. Es gibt mit Sicherheit eine sehr große Dunkelziffer ungeouteter queerer Menschen auf der Synodalversammlung. Und es gibt sehr viele Allies (= Verbündete), also sehr viele Menschen, die uns unterstützen.
Tatsächlich ist es ja so, dass die Argumentation, die hinter einer Diskriminierung von der queeren "Minderheit" stehen, dass diese Argumente auch genutzt werden, um zum Beispiel Frauen in der katholischen Kirche zu diskriminieren. Da ist also auch eine große Solidarität da, zumindest von meiner Seite, aber auch von sehr vielen anderen, weil diese Fragen zusammengehen. Diese Fragen betreffen insgesamt das Potenzial von Machtmissbrauch in der katholischen Kirche. Diskriminierung ist bereits eine Form von Machtmissbrauch, eine Form von struktureller Gewalt. Und Menschen, die diskriminiert werden in der Kirche – und das ist eine Mehrheit –, sind vulnerabel und viel anfälliger für Missbrauch jeglicher Form.
Frage: Du hast jetzt kürzlich eine Petition und ein Manifest von #outinchurch an die Bischöfe übergeben. Konntest du vorher mit der Reaktion rechnen oder wie haben sie reagiert? Hat es dich überrascht?
Klein: Nein, es hat mich nicht überrascht. Ich bin manchmal, wenn ich auf mein Leben gucke, ein bisschen überrascht: Wie ist das passiert, dass es für mich so fast alltäglich ist, mit Bischöfen abzuhängen und über die Rechte queerer Menschen in der katholischen Kirche zu reden? Darüber war ich auch, als ich das übergeben habe, wieder erneut überrascht.
Aber insgesamt haben mich die Bischöfe nicht überrascht. Wir haben uns ja unterhalten von bischöflicher Seite mit Bischof Bätzing, Bischof Kohlgraf und Weihbischof Schepers. Das war nichts, womit ich vorher nicht gerechnet hatte. Wobei Bischof Bätzing zugegeben hat, dass eine Sprachfähigkeit insbesondere zu geschlechtlicher Vielfalt nicht da ist in der katholischen Kirche – das hat mich vielleicht ein klein wenig überrascht. Noch mehr überrascht hätte es mich aber, wenn er gesagt hatte: Deswegen bilden wir uns fort, oder: Deswegen holen wir Leute rein, die tatsächlich Ahnung davon haben und lassen uns helfen. Der Schritt ist noch nicht da. Vielleicht kommt der. Ich habe jedenfalls betont, dass mich das freuen würde oder dass es sehr, sehr nötig ist. Es geht ja nicht darum, mir einen Gefallen zu tun. Es geht darum, die Kirche zu einem sichereren Ort für Menschen zu machen.
Frage: Du hast schon gesagt, die Kirche ist bei dem Thema der Geschlechterzuschreibung und queerer Menschen nicht sprachfähig. Könnte sie es aber werden – höre ich da so raus?
Klein: Auf jeden Fall. Und es ist nicht so, als ob alle Bereiche der Kirche da nicht sprachfähig zu sind. Ich bin Teil der Kirche und ich bin dazu sprachfähig. Es gibt einige Theolog:innen, es gibt viele Menschen, die für die Kirche arbeiten, die dazu sprachfähig wären. Sie müssen nur gehört werden, sie müssen nur hinzugezogen werden.
Frage: Mit den deutschen Bischöfen gehst du hart ins Gericht, wie man in den Synodalversammlungen beobachtet. Wie ist deine Sicht?
Klein: Zu Recht. Also, was heißt "hart ins Gericht"? Wenn wir diese Gerichtsmetapher nehmen, frage ich mich: Passt das für die katholische Kirche? Bin ich tatsächlich richtend in irgendeiner Funktion? Eigentlich nicht, weil ich keine Macht in der katholischen Kirche habe. Vielleicht klage ich an, aber damit mache ich auch nichts Neues. Ich denke mir, "hart ins Gericht", dreht es ein bisschen um. Es verkehrt zum einen die Machtposition und es verkehrt zum anderen die Betroffenen-Täter-Position. Weil es so klingt, als würde ich aktiv etwas Schlimmes tun an den Bischöfen und die armen Bischöfe müssen es ertragen. Aber eigentlich ist es nicht so. Es ist genau andersrum: Die Bischöfe vertreten eine Struktur – und zwar wirklich aktiv in ihrer Position als Bischof –, die sich an vielen Menschen schuldig gemacht hat, aktiv schuldig macht und sich auch zukünftig schuldig machen wird auf diese Art, wenn wir nichts ändern.
Frage: Etwas zu ändern, wäre ja zum Beispiel jetzt auch durch #outinchurch ins Rollen gebracht worden. Wie groß ist deinem Empfinden nach die Diskriminierung durch ein Arbeitsrecht innerhalb der Kirche, das Menschen aufgrund ihrer Sexualität verurteilt oder ausschließt? Da geht es ja um alle kirchlich Angestellten, also ja auch in Kindertagesstätten, bei der Caritas, in katholischen Krankenhäusern und so weiter.
Klein: Ich kann nicht sagen, Diskriminierung ist größer oder kleiner als etwas. Das Arbeitsrecht ist diskriminierend.
Frage: Das heißt, es müsste sich längst ändern …
Klein: Ja. Und die Bischöfe können das ändern.
Frage: Viele Menschen erfahren in der katholischen Kirche oder von kirchlichen Amtsvertretern Leid, das vom konservativen Verständnis oder Unverständnis für Queerness ausgeht. Führst du das auf Unüberlegtheit, Unwissenheit zurück oder ist manchmal vielleicht sogar auch Böswilligkeit der Grund? Wie würdest du es nennen?
Klein: Ich glaube, es ist eine Mischung aus Nichtwissen, nicht wissen wollen und/oder der Überzeugung sein, alles zu wissen. Meistens gleichzeitig. Das ist auch was, was ich gelernt habe auf dem Synodalen Weg. Es gibt erstaunlich viel die Überzeugung: Ich weiß es aber richtig. Ich bin Experte – ungegendert mit Absicht an der Stelle. Und ich glaube, das ist das, was – neben einer Opferrolle, die gern eingenommen wird – Fortschritt für mich im Weg steht oder zumindest, was es mir schwer macht, den Willen zu Fortschritt, den Willen zur Veränderung ernst zu nehmen. Immer wieder wird gesagt: "Aber in meinem Bistum mache ich das so ..." oder "Aber es ist doch unbestreitbar, dass ..." – in Themen, wo sie keine Ahnung haben. Ich verstehe, dass kein Wissen und keine Ahnung da sind zu Geschlechtervielfalt, zu sexuellen Orientierungen, zu dem ganzen Thema queer und so – Sex auch. Dazu sagt die Kirche sehr viel und hat aber erschreckend wenig Ahnung. Und die müssen keine Expert:innen dazu sein, aber dann sollen sie die Expert:innen sprechen lassen – und nicht so tun, als könnte ihnen nichts beigebracht werden. Das ist, glaube ich, dieser belehrende Ton – die Erfahrung lässt sich nicht generalisieren, aber mir fehlt Demut an der Stelle. Auch angesichts dessen, wo wir herkommen.
Frage: Wie gehen die Skeptischen, Konservativen, Ängstlichen oder wie wir sie jetzt auch immer bezeichnen möchten, denn mit dir um?
Klein: Persönlich? Ja, ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Der persönliche Umgang auf dem Synodalen Weg ist angenehm. Ich finde auch betont so. Das ist eine der großen Schwierigkeiten, ich glaube, für alle marginalisierten Gruppen oder für alle betroffenen Gruppen. Du bist betroffen. Du bist zu Recht wütend. Du weißt auch, dass das System an sich für dich kein sicherer Ort ist. Aber im Umgang wird dir die ganze Zeit suggeriert mit einer übertriebenen Höflichkeit, dass wir uns doch alle mögen, dass wir doch alle einen Konsens finden werden und dass wir uns alle doch irgendwie einig sind. Und keinem Menschen wird was Böses gewollt.
Damit kann ich gut aufgreifen, was du vorhin gesagt hast. Das war ja noch eine relativ sanfte Formulierung mit dem "ins Gericht gehen", aber da gibt es deutlich krassere, wie "Emotionalisierung", "Aggression" und Ähnliches, wenn wir Missstände und eigene Betroffenheit ansprechen. Diese Verdrehung – das ist schwierig, das auszuhalten. Zu wissen, ich bin in so einem feindlichen Raum und ich darf mir aber keine Emotionalität anmerken lassen. Bischöfe, die aktiv verantwortlich sind für die Strukturen in der katholischen Kirche und die die auch repräsentieren, sagen zu mir: "Diskutieren Sie bitte rationaler und weniger emotional." Da kann ich nur sagen: "Dann ändern Sie bitte was daran, dass Ihre Strukturen mir aktiv Leid zufügen."
Ich finde, mit solchen Argumentationen werden Betroffene ausgeschlossen aus der Diskussion. Ich glaube, es ist klar, dass trotzdem der Umgangston auf dem Synodalen Weg sehr gut ist. Ich wäre nicht mehr dabei, wenn ich es für totale Zeitverschwendung halten würde. Das ist immer dahingestellt. Aber trotzdem finde ich, es kann nicht oft genug gesagt werden, weil ich es immer wieder erlebe, dass so argumentiert wird.
Frage: Du wolltest mal Religionsunterricht geben, dafür studierst du es ja – jetzt willst du nicht mehr Lehrer:in werden, hast du angekündigt. Warum nicht? Und irgendwann wäre ja auch mal das Priesteramt eine Option gewesen. Was ist jetzt dein Plan?
Klein: Also ich finde, zu sagen, ich will das nicht mehr, geht irgendwie in die falsche Richtung: Ich kann es mir aktuell nicht vorstellen in der Kirche, wie wir sie haben. Ich kann das nicht vereinbaren mit meinen Prinzipien. Es ist so: Nachdem Priesteramt und Orden für mich überhaupt nicht in Betracht kommen, weil ich nicht zugelassen bin, wäre es echt irgendwie super bitter, wenn ich anfange, diesen Job zu machen, den ich wahrscheinlich lieben würde und ihn dann irgendwann einfach nicht mehr ausüben darf. Dafür gibt es keine Garantie aktuell. Und da von dem individuellen Wohlwollen meines Bischofs abhängig zu sein, ist mir zu viel. Also ich glaube, das kann ich gerade aktuell nicht.
Frage: Obwohl die Kirche ja nicht der Vorreiter ist in Sachen Menschlichkeit und mitmenschlicher Umgang, bleibst du in der Kirche und engagierst dich auch noch für sie. Weshalb setzt du dich so ein? Für wen machst du das, obwohl du sagst, es ist kein sicherer Ort?
Klein: Ich engagiere mich nicht für die Kirche. Ich engagiere mich in der Kirche für die Menschen in der Kirche, die sich hoffentlich schon in ein paar Jahren vielleicht gar nicht mehr vorstellen können, wie anstrengend und erniedrigend es für uns heute ist, dieses Engagement zu machen.
Frage: Kommst du da nicht auch irgendwie an deine Grenzen? Wieso trittst du nicht aus und willst damit nichts mehr zu tun haben?
Klein: Ja, ständig. Ich finde es super wichtig, dass wir sehen, dass Mitglied der katholischen Kirche sein eine Entscheidung ist, für Erwachsene. Wir müssen nicht in der katholischen Kirche bleiben als Institution. Ich denke, katholisch bleiben würde ich auch, würde ich austreten. Aber gleichzeitig ist es auch so – ich werde es ja ständig gefragt: Warum tue ich mir das noch an? Und es ist schon wieder eine Täter-Opfer-Verkehrung, finde ich. Ich tu mir in der katholischen Kirche nichts an. Es wird mir angetan. Und ich hatte kein Entscheidungsrecht dazu, in die katholische Kirche reinzukommen in erster Linie. Ich wurde getauft als Kleinkind. Und das geht sehr vielen anderen Menschen genauso. Und für die mache ich das auch mit.
Frage: Menschen bei der Synodalversammlung haben gesagt, dass du nicht emotionalisieren sollst, wie du vorhin sagtest. Bei einem Redebeitrag hast du auch darüber gesprochen, dass dich die Willkür stört. Und wortwörtlich: "Wenn ihr wollt, dass ich nicht emotional über dieses Thema reden soll, dann stellen Sie den Schmerz ab, den ich empfinde, liebe Bischöfe." Das zeigt ja auch schon, wie wichtig dir das ist.
Klein: Wer ist nicht leidenschaftlich interessiert daran, keinen Schmerz zu spüren. Das muss mir wichtig sein. Es ist keine Entscheidung, dass mir das wichtig ist.
Frage: Du bist dabei sehr wortmächtig. Schon zu Beginn, in der allerersten Synodalversammlung hat man das ja auch gemerkt …
Klein: Ja, klar, das sind meine Worte. Das würde ich auch nicht relativieren wollen. Aber ich glaube, es ist auch ein Stück weit mehr, was mir die Wortmacht gibt. Nicht ohne Grund rede ich davon, dass, hätte ich drüber nachdenken können, Priesterseminar für mich eine Option gewesen wäre. Theologie ist meine Leidenschaft und meine Berufung. Ich denke und ich hoffe, dass ich mit meinen Worten und mit meinem Wirken auch über mich hinaus wirken kann. Und ich weiß auf jeden Fall, dass ich die Kraft dafür nicht allein aus mir selbst schöpfe, sondern sehr viel auch aus meiner Gottesbeziehung ziehe und durch die bekräftigt werde. Gerade in solchen Momenten, die so unglaublich ungeplant waren. Überhaupt, dass ich auf dem Synodalen Weg bin, dass dieser erste Redebeitrag gekommen ist.
Es ist fast, als ob ich darauf gar keinen Einfluss hatte, was jetzt nicht relativieren soll, dass ich die Entscheidung treffe, auch weiterhin dabei zu sein. Aber ich glaube, dass es immer auch ein Stück über mich hinaus geht, und ich habe sehr das Gefühl, hier richtig zu sein im Moment. Und das hatte ich vorher mit der Berufung wirklich nicht.
„Nicht ohne Grund rede ich davon, dass, hätte ich drüber nachdenken können, Priesterseminar für mich eine Option gewesen wäre.“
Frage: Da spricht auf jeden Fall ein großer Glaube aus dir oder du sprichst mit einem großen Glauben. Und du hast gerade Gott erwähnt – deswegen muss ich kurz fragen: Ist Gott für dich divers oder weiblich oder männlich …?
Klein: Gott ist … Gott ist. Ich glaube, mehr geht es nicht für uns zu konkretisieren. Dazu gibt es genug Anhaltspunkte, auch in der Schrift. Gott ist, war und wird sein.
Frage: … irgendwie auch theologisch.
Klein: Im wahrsten Sinne des Wortes: die Rede von Gott in dem Moment.
Frage: Du hast auch von "massiver struktureller Sünde" gesprochen in einem Redebeitrag beim Synodalen Weg. Daraus müsste die Kirche ausbrechen. Passiert genug? Was muss noch passieren für diesen Ausbruch?
Klein: Dass die Ausgangssituation erst mal so ernst genommen wird. Es ist ja kein Begriff, den ich mir überlegt habe. Das ist ein Begriff, der kommt aus der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, die auch sehr stark systemische Gewaltstrukturen kritisiert und dafür diesen Begriff hervorgebracht hat. Ich denke, die Voraussetzung ist erst mal, dass eingesehen wird, dass das stimmt. Dass eingesehen wird, wir haben ein systemisches Gewaltproblem und ich als Bischof repräsentiere das und habe einen Einfluss darauf – und kann mich davon nicht freireden.
Und das ist das Problem. Nicht, dass die katholische Kirche an Vertrauen und Attraktivität verloren hat. Nicht, dass so viele Menschen aus der Kirche austreten, ist das Problem. Oder dass der Skandal rausgekommen ist, mal wieder. Sondern, dass Menschen aktiv leiden. Einfach nur, weil sie in der katholischen Kirche sind. Mit "einfach nur" meine ich, es ist in der Struktur drin. Es ist nicht möglich, in dieser Struktur nicht dieser Schuld unterworfen zu sein oder dieser Gewalt oder dieser Angst.
Das erst mal einzusehen, ist der erste Schritt. Und ich fürchte, den sehe ich an vielen Stellen noch nicht. Dann wäre der nächste Schritt, zu sagen: Es ist so – und wir suchen uns Hilfe, weil ein gewalttätiges und missbräuchliches System aus sich selbst heraus nicht plötzlich gewaltfrei werden kann. Das wären so die ersten zwei ganz großen Schritte. Der erste ist ja auch, was die siebte Forderung von #outinchurch ausformuliert, bzw. ist das auch letztlich, was uns die MHG-Studie nahegelegt hat. Ich sehe diese Einsicht auch wirklich an vielen Stellen auf dem Synodalen Weg und dort ist sie gut platziert. Ich hoffe aber, dass es auch weit darüber hinaus streut – und überhaupt auch erst mal umgreifend fasst.
Frage: Gegen diese Angst braucht man ja irgendwie was, oder musst du dich ja auch festigen: Was ist deine Hoffnung?
Klein: Meinst du jetzt meine Hoffnung oder woher ich Stärke beziehe? Ich meine, klar beziehe ich Stärke aus Hoffnung und aus dem Glauben und aus den vielen, vielen Menschen, die ich sehe, die mit uns diesen Weg gehen, nicht nur in Deutschland.
Ich weiß nicht – ich finde, das ist so grund-christlich zu hoffen, dass es fast absurd ist, die Frage zu stellen. Gott stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Ich finde es fast unmöglich, nicht zu hoffen mit diesem Satz im Hintergrund.
Meine Hoffnung und meine tiefe Überzeugung ist, dass das die Kirche auch kann: Menschen zu priorisieren vor eigenem Machterhalt. Nicht dass Macht prinzipiell schlecht wäre, aber Menschen sind wichtiger. Wir leben in krassen kirchenpolitischen Zeiten, denke ich.