Taufe durch Laien: Zwischen Individualisierung und Klerikalisierung
Im Ruhrgebiet wurde es vor Allerheiligen angekündigt. Zwischen anderen Verlautbarungen des Bischofs von Essen fanden sich in seinem Amtsblatt – dem offiziellen Verkündigungsorgan des Bischofs – unter der Nummer 102 die "Richtlinien für die Beauftragung von außerordentlichen Taufspendern/-innen". Was sich unspektakulär anhört, sorgte wenige Monate später für Aufsehen. Nachdem 16 Frauen und ein Mann zur außerordentlichen Taufspendung beauftragt wurden, waren sich konservative und liberale Kommentatoren einig: Im Bistum Essen passiert etwas Unerhörtes. Die kirchliche Hierarchie komme ins Wanken, konstatierten beide Seiten. Ein Blick auf Recht und Praxis hilft, die Sorgen der einen und die Hoffnung der anderen zu klären.
"Ich war selbst überrascht was kirchlich alles möglich ist", sagt Thomas Liedtke. Er ist Gemeindereferent in Oberhausen und einer der 17 außerordentlichen Taufspender. Vieles sei ihm während der Beauftragungsfeier im Essener Dom durch den Kopf gegangen, erinnert er sich. Schließlich sei für ihn immer klar gewesen, dass die Sakramentsspendung nie zu seinen Aufgaben gehören wird – außer im äußersten Notfall. Dass es nun doch dazu kam, sei der pastoralen Situation im Bistum Essen geschuldet, erläutert der Pressesprecher des Ruhrbistums, Thomas Rünker. "Während die Zahl der Taufen – bis zur Corona-Pandemie – relativ konstant geblieben ist, nimmt die Zahl der Priester kontinuierlich ab. Auf diese sich weiter zuspitzende Situation reagieren wir durch die Beauftragung außerordentlicher Taufspenderinnen und -spender proaktiv, um insbesondere den jungen Familien auch weiterhin eine pastorale Begleitung und individuell gestaltete Tauffeiern ermöglichen zu können."
Grundlage dafür ist das seit knapp 40 Jahren geltende Kirchliche Gesetzbuch. Darin wird geregelt, wer, wann, wie und wo gültig und rechtens taufen darf: "Jeder Mensch kann taufen, wenn er es richtig und im Sinne der Kirche tut, aber es gibt Zuständigkeitsregeln", sagt der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke. Sakramentenspendung sei ureigene Klerikeraufgabe. "Sie sind die ordentlichen Spender, vorrangig Bischof und Pfarrer. Ohne ihre Erlaubnis dürfen andere nicht taufen." Laien können ausnahmsweise mit der Taufspendung beauftragt werden, wenn es dem Diözesanbischof nötig erscheint. Urlaub oder krankheitsbedingte Verhinderung des Pfarrers werden als unzureichend für die außerordentliche Taufbeauftragung angesehen. Adäquate Gründe sieht Rom vor allem in entlegenen Missionsgebieten. Dort spenden beispielsweise Ordensschwestern die Taufe, assistieren bei Eheschließungen und halten Beerdigungen.
2007 fragten sich die deutschen Bischöfe, ob und wann Laien außerordentlich taufen dürfen. Sie fanden im 35. Kapitel der Kirchenkonstitution "Lumen Gentium" des Zweiten Vatikanischen Konzils eine Antwort: Die "Verhinderung [der Kleriker] unter einem Verfolgungsregime" oder akuter "Mangel an geweihten Amtsträgern" könnten Anlässe sein, "dass Laien 'gewisse heilige Aufgaben stellvertretend erfüllen' können." Dabei handle es sich stets um Ausnahmesituationen, wobei jeweils sorgfältig abzuwägen sei, welche liturgische Feiern regelmäßig von beauftragten Laien geleitet werden können und wo eine solche Leitung auf außergewöhnliche Not- und Grenzfälle beschränkt bleiben muss – wie im Falle der Taufe oder der Eheassistenz. Die Bischöfe kamen zu dem Schluss, dass diese Notwendigkeit in ihren Diözesen nicht gegeben sei. Mit ihrer Einschätzung folgten sie der römischen Instruktion von 1997 zur "Mitarbeit der Laien". Darin mahnen Papst und Kurie, dass die rechtlichen Voraussetzungen zur außerordentlichen Taufspendung durch Laien durch "Überlastung des geistlichen Amtsträgers" oder einer "Verhinderung an dem von der Familie gewünschten Tauftag" nicht erfüllt seien.
Pluraler Kontext der Städte
Doch die Zeiten ändern sich: "Bei den Beauftragungen außerordentlicher Taufspenderinnen und -spender steht immer die individuelle Situation der jeweiligen Pfarrei im Fokus", sagt Ruhrbistums-Sprecher Rünker. "Im pluralen Kontext der Großstädte sind die Menschen es gewöhnt, individuell passende Angebote für ihre Lebenssituation, für Übergangsrituale und andere besondere Momente zu bekommen." Es habe sich gezeigt, dass viele Familien eher auf die Taufe verzichten, als gemeinsame Tauffeiern von mehr als zwei Familien in Kauf zu nehmen. Diesen Bedarf wolle man ernstnehmen und nutze jetzt die kirchenrechtliche Möglichkeit, darauf zu reagieren, "um den Familien dieses Initiationsritual als individuellen Moment weiter ermöglichen zu können." Thomas Liedtke sieht noch weitere Chancen, die sich durch seine Beauftragung ergeben. Anders als die meisten Priester bringe er die Sicht eines Ehemannes und Vaters mit ein. "Das verändert die Rolle des Taufspenders. Aus der Elternperspektive kann ich anders über die Verletzlichkeit des Lebens, das Wunder der Geburt und Sorgen und Nöte junger Eltern sprechen", sagt er. In seiner Pfarrei ist Liedtke für die Erstkommunionvorbereitung zuständig. Mittlerweile seien immer mehr Kinder ungetauft, wenn sie sich auf die Erstkommunion vorbereiten. Hier sieht er zukünftig seine Aufgabe: "Durch die gemeinsame Arbeit habe ich ein ganz anderes Verhältnis zu den Eltern und Kindern. So kann ich besser auf ihre Wünsche eingehen." Seine erste Taufe hatte Liedtke bald nach der Beauftragung, am Laetare-Sonntag.
Das Bistum Essen begründet die außerordentliche Taufbeauftragung zudem mit der Notsituation, die sich durch den Priestermangel ergebe. Im Hintergrund stehe die römische Pfarreiinstruktion von 2020, sagt Lüdecke. Sie sehe im Priestermangel einen Anwendungsfall für die "grundsätzlich mögliche" ausnahmsweise Taufbeauftragung von Laien. "Die Pfarreiinstruktion betont aber auch, dass dadurch der Standesunterschied zwischen Klerikern und Laien nicht verwischt werden darf", ergänzt der Kirchenrechtler. Daher sieht die Essener Ordnung vor, dass die Aushilfstaufspender allenfalls Messdienerkleidung tragen sollen, aber keinesfalls liturgische Klerikergewänder: "Es soll auf keinen Fall der Eindruck einer Normalität entstehen. Sollte der Heilige Geist mehr Priesterberufungen wecken, entfällt mit dem Bedarf auch diese Laienbeteiligung wieder", betont Lüdecke.
Römische Angst vor Klerikalisierung der Laien
Schaut man in päpstliche und bischöfliche Direktiven, wird stets vor einer Klerikalisierung der Laien gewarnt. Die deutschen Bischöfe teilten 2007 diese Sorge: "Frauen und Männer, die bereitwillig liturgische Feiern als Gottesdienstbeauftragte leiten, müssen auch vor ungerechtfertigten Erwartungen und falschen Zuordnungen geschützt werden." Mit Blick auf pastorale Mitarbeiter mahnt Rom: "Man soll sich jedoch davor hüten, das Profil dieser Aufgabe zu sehr der Gestalt des pastoralen Dienstes der Kleriker anzugleichen. Es ist deshalb dafür Sorge zu tragen, daß die 'Pastoralassistenten' sich nicht die Aufgaben aneignen, die zum eigentlichen Dienst der geistlichen Amtsträger gehören." Diese Warnung nehme man auch in Essen ernst, versichert Rünker und erklärt, dass man versuche, "die Verantwortlichen bestmöglich vor solchen Zuschreibungen und falschen Erwartungshaltungen zu schützen." Wichtig sei klare Kommunikation auf Grundlage verbindlicher Ordnung. "Den Rahmen bildet dabei das gültige Kirchenrecht. In diesem Rahmen und in Verbindung mit dem, was in unserem Bistum theologisch sinnvoll und vertretbar ist, gestalten wir die Seelsorge im Bistum Essen."
Die römische Sorge kann Gemeindereferent Liedtke nur bedingt verstehen. Zum einen verstehe er sich nicht als Notnagel. Dass auch sein Bistum ihn nicht als solchen sehe, zeige nicht zuletzt die wertschätzende Feierlichkeit der Beauftragungsfeier im Essener Dom. "Ich bin auch kein Seiteneinsteiger ins Weiheamt", betont er. Regelmäßig werde er jedoch als Beerdigungs-Beauftragter mit dem Pastor verwechselt. Das lasse sich aber meist schnell klären, auch wenn es dafür bisweilen einen Crashkurs kirchlicher Berufsgruppen bedürfe. Prinzipiell leiste er, wie auch seine geweihten Arbeitskollegen, Seelsorge. Bei aller Überschneidung ist für den Gemeindereferenten aber klar: "Eine Kirche ohne Priester kann und will ich mir nicht vorstellen. Es gibt viele Aufgaben, die aus guten Gründen weiterhin nicht von Laien übernommen werden", sagt er und meint damit vor allem die Eucharistiefeier. Dass mit der Beauftragung von Laien zur Sakramentsspendung die Ämterfrage weiter ins Rollen komme, ist für ihn ein Zeichen der Zeit – das nie ohne die Tradition der Kirche gedeutet werden könne.
Kurzlebigkeit bischöflicher Argumente
2005 lehnten die Schweizer Bischöfe mit eben jenem Traditionsargument die Taufbeauftragung von Laien ab: "Seit den Anfängen der Kirche waren die Initiationssakramente an das Weiheamt gebunden. Auch in den reformatorischen Kirchen bleibt die Taufspendung an die Ordination gebunden. Eine weitgehende Delegation der Taufvollmacht an Pastoralassistent/inn/en wäre deshalb auch in ökumenischer Sicht nicht unproblematisch." Jedoch hatte auch diese Ablehnung ähnlich lange Bestand wie die der deutschen Bischöfe. Rund 14 Jahre später entschied das Bistum Basel, Laien zu außerordentlichen Taufspendern zu beauftragen. Wie in Essen solle diese Regelung der pastoralen Situation in den Pfarreien und Pastoralräumen, sowie den Tauffamilien gerecht werden. Darüber hinaus wolle man in Basel so Seelsorger entlasten und den Pastoralkonzepten Rechnung tragen.
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Auch in Aachen hat man schon Erfahrung mit der außerordentlichen Taufspendung durch Laien. Hatte eine Pfarrei keinen Pfarrer, wurden dort Pastoral- und Gemeindereferenten vom damaligen Bischof Heinrich Mussinghoff für die Zeit der Vakanz zu außerordentlichen Taufspendern beauftragt. Das Thema stehe auch aktuell auf der Tagesordnung, sagt die Aachener Pressesprecherin Anja Klingbeil: "Momentan gibt es im Bistum Aachen keine außerordentlichen Beauftragungen, aber die Frage ist Thema im synodalen Gesprächs- und Veränderungsprozess." Ähnliche Überlegungen gibt es auch im Bistum Rottenburg-Stuttgart. Ein entsprechendes Konzept wurde im Diözesanrat beraten. Bischof Gebhard Fürst sagte, es brauche allerdings noch weitere, gründliche Beratungen, um "Irritationen oder gar Spaltung" zu vermeiden. Es gehe bei der Entwicklung eines Konzepts zur Spendung der Taufe durch besonders geschulte, aber nicht geweihte Katholiken um "Qualität vor Schnelligkeit". Im Bistum Würzburg haben Frauenverbände und -gruppen Bischof Franz Jung aufgefordert, auch Frauen die Taufe spenden zu lassen. Jung solle dem Beispiel seines Essener Mitbruders Franz-Josef Overbeck folgen, forderten sie. Vorsichtig äußerte sich jüngst auch der Berliner Erzbischof Heiner Koch auf Twitter. Er sehe keinen Hinderungsgrund für die Taufe durch Laien – aber auch keinen Bedarf. Darüber sprechen könne man jedoch: "Allerdings ist eine Umsetzung viel mehr als eine einfache (einsame?) Entscheidung."
Demnächst auch Trauassistenz?
Derweil laufen in Essen die Vorbereitung für einen zweiten Taufbeauftragungs-Kurs, erzählt Liedtke. Desweiteren wird im Bistum Essen auch die Frage nach der Trauassistenz durch Laien diskutiert. Nach kirchlicher Lehre spenden sich nämlich die beiden Partner das Sakrament der Ehe selbst. Es braucht dafür lediglich die Assistenz durch den Leiter des Traugottesdienstes. Wo Priester und Diakone fehlen, kann der Diözesanbischof Laien dazu delegieren. Ob demnächst also auch Laien im Ruhrgebiet Hochzeitspaare trauen, möchte Pressesprecher Rünker aber nicht beantworten: "Wir warten die weiteren Beratungen und Entscheidungen des Synodalen Wegs ab, der sich mit diesen Fragen beschäftigt." Was die Trauassistenz von Laien angeht, waren die Schweizer Bischöfe 2005 forscher: "Grundsätzlich wäre die Delegation der Eheassistenz an Laien weniger problematisch als die Taufdelegation. Nach dem Verständnis der lateinischen Kirche ginge es dabei nicht um die Spendung des Ehesakraments, sondern nur um eine qualifizierte kirchliche Zeugenschaft." Die Zeiten ändern sich.