Kolping im Wandel – Kirche "darf sich bei uns gerne viel abgucken"
Zum 1. April gibt es einen Generationenwechsel beim Kolpingwerk Deutschland: Ulrich Vollmer (65) geht nach 14 Jahren in Amt des Bundessekretärs in den Ruhestand. Seine Nachfolgerin ist Alexandra Horster (45). Der Stabwechsel erfolgt zu einer Zeit, in der nicht nur die Kirche in Deutschland intensiv um ihre Zukunft ringt, sondern auch der Kolpingverband sich Gedanken um ein neues Leitbild und seine Positionierung in Gesellschaft und Kirche macht. Im Doppelinterview blicken Vollmer und Horster auf die aktuelle Situation beim Kolpingwerk und erklären, wie sich der Verband im Hinblick auf künftige gesellschaftliche Herausforderungen ausrichten will. Und sie äußern sich zu den Zweifeln, die es bezüglich einer Heiligsprechung Adolph Kolpings gibt.
Frage: Herr Vollmer, Frau Horster, die Kirche erreicht immer weniger Leute. Das macht auch vor den Verbänden nicht halt. Wie sehr ist Kolping von einem Mitgliederschwund bedroht?
Vollmer: Auch wir haben natürlich damit zu kämpfen, neue Mitglieder zu gewinnen. Dennoch konnten wir in den vergangenen Jahren den Mitgliederschwund relativ gut auffangen. Wir haben ein Begleitungs- und Beratungssystem auf den Weg gebracht, bei dem wir allen 2.300 Kolpingsfamilien bundesweit das Angebot machen, sie fachlich bei der Frage zu begleiten, wie es mit ihnen weitergeht oder wie sie sich neu aufstellen können, um eine Perspektive zu entwickeln. Es sind sicher weniger Mitglieder geworden, es werden auch noch weniger werden. Aber wir verlieren deutlich weniger Mitglieder als die "verfasste" Kirche. Unser großes Glück ist, dass von den über 215.000 Mitgliedern, die heute noch dem Kolpingwerk angehören, fast 37.000 zur Kolpingjugend zählen – also unter 30 Jahre alt sind. Das zeigt, dass wir weiterhin aktiven Nachwuchs haben.
Horster: Was uns sicher vorangebracht hat: Wir schauen gemeinsam mit unseren Mitgliedern, welche Strukturen es vor Ort braucht, um sich zu organisieren. Das muss nicht immer klassisch mit fünf Vorstandsmitgliedern sein. Wir wollen weiter darauf achten, wie wir uns den jeweiligen Bedürfnissen anpassen.
Frage: Wie hat sich die Kolping-Bewegung hierzulande in den vergangenen Jahren verändert?
Vollmer: In den vergangenen Jahren ist uns als Verband klar geworden, dass wir die "Marke" Kolping in Deutschland noch einmal ganz neu positionieren müssen. Neben dem verbandlichen Teil haben wir den großen Bereich der Einrichtungen und Unternehmen. Kaum jemand weiß zum Beispiel, dass die Kolping-Bildungsunternehmen der drittgrößte Bildungsträger in Deutschland sind. Unser Anliegen ist, die Einrichtungen und Unternehmen bei aller Eigenständigkeit noch stärker in den Verband zu integrieren und damit deutlich zu machen: Neben einer guten Verbandsarbeit gibt es eine hervorragende Arbeit in den Einrichtungen und Unternehmen – zum Wohl der Menschen.
Frage: Aktuell befindet sich der Kolping-Verband in einem Prozess zur Weiterentwicklung seines Leitbilds. Was wird sich ändern?
Horster: Die Grundausrichtung des Verbands ändert sich nicht. Aber es gibt eben viele aktuelle Themen und gesellschaftliche Veränderungen, bei denen wir als Verband einfach mitgehen müssen und für die wir uns auch öffnen wollen, weil sie wichtig sind, wenn wir verantwortlich leben und sozial handeln wollen.
Vollmer: Wir diskutieren auch über die Öffnung des Verbandes für Nicht-Katholiken. Diese Debatte ist natürlich hochemotional. Wir müssen uns fragen: Wie gehen wir damit um, wenn wir heutzutage in einer Gesellschaft leben, in der immer mehr Menschen keiner Kirche und keiner Religionsgemeinschaft angehören? Wenn jemand von diesen sagt, dass er unser Grundanliegen teilt, die Nöte der Zeit in der Gesellschaft erkennen und darauf eine Antwort geben zu wollen, dass er unser Leitbild bejaht und uns unterstützen will, dann glauben wir, dass eine Mitgliedschaft durchaus möglich ist. Das wäre dann schon eine große Weiterentwicklung. Damit tun sich auch nicht alle Mitglieder leicht.
Frage: Besteht da vielleicht die Gefahr, das katholische Profil des Verbands zu verwässern?
Vollmer: Diese Gefahr sehe ich nicht. Unsere Verbindung mit der katholischen Kirche ist unaufgebbar. Aber mittlerweile erreichen wir in unseren Kolpingsfamilien, aber auch in unseren Einrichtungen und Unternehmen Menschen, die Kirche oftmals gar nicht mehr kennen. Darin liegen ja auch Chancen. Deswegen wollen wir auch in unserem neuen Leitbild formulieren: Da, wo Kolping ist, sind auch Orte des kirchlichen Lebens.
Horster: Wir wollen dabei nicht missionieren. Aber wir wollen den Leuten, die wir erreichen, ermöglichen, dass sie sich bei uns auch engagieren. Wir wären verrückt, wenn wir nicht zulassen würden, die Menschen an uns zu binden, die unsere Werte teilen.
Frage: Wenn wir von Engagement und Werten sprechen: Welche Themen wollen Sie als Kolping-Verband in der heutigen Gesellschaft besonders setzen?
Horster: Da lassen wir uns im Moment stark von unserer Jugend inspirieren. Wir beschäftigen uns intensiv mit den Themen Geschlechtergerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Dazu werden wir demnächst auch ein paar Projekte starten. Gleichzeitig haben wir unsere "klassischen" Themen, die zeitlos bleiben: Familie und Arbeitswelt.
„Da, wo Kolping ist, sind auch Orte des kirchlichen Lebens.“
Frage: Katholische Verbände haben es oft schwer, mit ihren Themen den "inneren Kreis" der Kirche zu durchbrechen. Wie wollen Sie sich für Ihre Anliegen über die Kirche hinaus besser Gehör verschaffen?
Horster: Der beste Ansatz ist, auf die Menschen zu setzen, die wir über unsere Kolpingsfamilien, aber auch in den Einrichtungen und Unternehmen erreichen. Wir wollen intensiv darüber informieren, dass Kolping nicht einfach nur ein Name mit orangenem Schriftzug ist, sondern zeigen, was dahintersteckt. In der Regel machen die Menschen bei uns positive Erfahrungen, die sie hoffentlich nach außen tragen. Und dabei wird uns das Leitbild helfen, weil wir damit konzentrierter beschreiben, was wir machen. Damit wird es auch den Akteuren in unseren Einrichtungen leichter fallen, das zu transportieren.
Vollmer: Wir haben vor Kurzem untersucht, wie viele Menschen wir im Laufe eines Jahres über unsere klassische Verbandsarbeit erreichen. Das sind mit unseren unterschiedlichen Angeboten weit über eine Million. Ich finde, das kann sich sehen lassen. Vielleicht reden wir darüber nicht genug.
Frage: Die Kirche in Deutschland steckt aktuell in einem großen Transformationsprozess. Welche Impulse kann das Kolpingwerk dabei setzen?
Horster: Man darf sich bei uns gerne viel abgucken. Da schlagen wir auch den Bogen zum Synodalen Weg: Es gibt in den Verbänden, nicht nur bei Kolping, gute Beispiele, wo die Frage des Zusammenspiels von Geweihten und Laien gut geregelt ist, es gibt demokratische Prozesse, Rechenschaftspflicht, Amtszeitbegrenzungen, Strukturen, die Missstände verhindern, Transparenz. Da gehen die katholischen Verbände voran.
Frage: Das Kolpingwerk hat sich klar hinter den Synodalen Weg gestellt. Wie bewerten Sie den Reformprozess bisher?
Vollmer: Es wird um tragfähige Entscheidungen gerungen, die von einer breiten Mehrheit unterstützt werden. Ich habe immer gesagt: Es gibt keine Alternative! Wenn wir zusammenbleiben wollen, müssen wir uns als Kirche zusammenraufen und um der Sache willen ringen, dass es am Ende keine faulen Kompromisse gibt, sondern gute Lösungen, die auch eine breite Akzeptanz finden. Dafür haben wir uns als Kolping-Verband immer stark gemacht.
„Es gibt in den Verbänden, nicht nur bei Kolping, gute Beispiele, wo die Frage des Zusammenspiels von Geweihten und Laien gut geregelt ist, es gibt demokratische Prozesse, Rechenschaftspflicht, Amtszeitbegrenzungen, Strukturen, die Missstände verhindern, Transparenz. Da gehen die katholischen Verbände voran.“
Frage: Wohin soll der Weg Ihrer Ansicht nach am Ende führen?
Vollmer: Mein Wunsch wäre, dass die Bischöfe bei den Fragen, die hier in Deutschland nicht geklärt werden können, gemeinsam mit engagierten Verantwortlichen aus dem Laienbereich dem Heiligen Vater diese Sachen vortragen und sagen: Das ist für eine lebensnahe Pastoral in Deutschland notwendig. Und hier braucht es auch Veränderungen. So verstehe ich auch Franziskus' Ansatz: Er sagt: Schaut auf das Evangelium, schaut auf die Lebenswirklichkeit der Menschen vor Ort – und gebt darauf eine pastorale Antwort. Als Kolpingverband dürfen wir das fordern, weil Adolph Kolping selbst mit seiner Initiative vor über 150 Jahren genau diesen Ansatz verfolgt hat.
Frage: Wie realistisch sehen Sie einen Aufschwung des kirchlichen Lebens, auch des Verbandslebens, falls es durch den Synodalen Weg zu weitreichenden Reformen kommt?
Horster: Ich glaube schon, dass sich vor Ort spürbar etwas ändern würde. Ich weiß nicht, ob es gelingt, eine ganze Trendwende hinzukriegen. Aber es gibt nach wie vor sehr viele engagierte Menschen in Gemeinde und in Verbänden. Wenn man deren Veränderungs- und Mitwirkungswillen gut nutzt, kann sicher wieder mehr Schwung in das Leben der Gemeinden oder der Verbände kommen.
Frage: Welche Rolle spielt der Synodale Weg bei Ihnen an der Basis in den Kolpingsfamilien?
Vollmer: Bei der Diskussion um unseren eigenen Leitbild-Prozess kommt natürlich auch die Frage auf, wie wir als Kolping kirchliches Leben mitgestalten können, wie wir auch nicht kirchlich sozialisierte Menschen für ein Engagement im Verband begeistern können. Das sind alles Fragestellungen, die mit denen des Synodalen Wegs vergleichbar sind. Von daher sind die Fragen des Synodalen Wegs schon bei uns verortet. Wir haben vor zwei Jahren deswegen eine Handreichung zum Synodalen Weg herausgegeben, wo wir ganz viele Impulstexte veröffentlicht haben, damit man in den Kolpingsfamilien miteinander in Gespräch kommt. Ich vertraue darauf, dass auch diese kleinen Diskussionsprozesse etwas bewirken.
Frage: Wenn wir auf Ihren Gründer blicken: Seit Jahren wird eine mögliche Heiligsprechung Adolph Kolpings diskutiert. Es gibt Stimmen, die dagegen sind, weil sie in einigen von Kolpings Äußerungen Antisemitismus sehen. Wie stehen Sie dazu?
Vollmer: In unserem Verband, auch international in der Kolping-Bewegung, gibt es eine tiefe Sehnsucht danach, unseren Gründer heiligzusprechen. Er hätte es auch längst verdient, wenn man weiß, wie groß die weltweite Verehrung ist. Nicht alle wollen eine Heiligsprechung, aber sehr viele. Zu der Fragestellung, ob es von Kolping antisemitische Äußerungen gibt, werden wir uns nochmal fachlich begleiten und beraten lassen, um zu klären, was da wirklich dran ist. Dabei muss man sicher auch die Theologie des 19. Jahrhunderts in den Blick nehmen. Ich persönlich kann nicht erkennen, dass Adolph Kolping antisemitisch war. Im vergangenen Jahr hatten wir den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden zu Gast, der in einer guten Art und Weise eine Würdigung Kolpings vorgenommen hat. Da ist diese Frage benannt worden, aber er sagt: Es gibt diese unglaubliche Lebensleistung Kolpings, und die sollte dadurch nicht geschmälert werden.
Frage: Herr Vollmer, zu Ihrem Abschied als Bundessekretär: Wie gut sehen Sie das Kolpingwerk für die Zukunft und ihre Fragestellungen gerüstet?
Vollmer: Wenn es eine Stärke unseres Verbands gab, dann die, dass es ihm immer wieder gelungen ist, auf gesellschaftliche und kirchliche Umbrüche zu reagieren – sowohl programmatisch als auch organisatorisch. Da bin ich zuversichtlich, weil der Auftrag von Adolph Kolping, den Menschen nahe zu sein, die Nöte der Zeit zu erkennen, zu handeln als Menschen, die sich auch Gott verbunden fühlen, die als gläubige Menschen der Gesellschaft auch etwas zu sagen haben, zeitlos aktuell ist.
Frage: Und was haben Sie sich für Ihr neues Amt vorgenommen, Frau Horster?
Horster: Mir geht es zunächst darum, Kolping mit seiner verbandlichen Gliederung sowie seinen Einrichtungen und Unternehmen als "Marke" zu stärken, so zur Bindung der Mitglieder beizutragen und von Menschen außerhalb des Verbandes als attraktiv wahrgenommen zu werden. Dann geht es auch darum, Menschen, die Schwierigkeiten mit der katholischen Kirche als Institution haben, eine Heimat für ihr Christsein zu bieten. Das gilt es in unserem Leitbild, aber auch in den Strukturen zum Ausdruck zu bringen. Daran will ich mit Mut und Kreativität mitwirken.