"Ziel ist das gemeinsame Abendmahl"

Am gemeinsamen Altar: Das ist Mannheims erste Ökumenekirche

Veröffentlicht am 24.04.2022 um 12:20 Uhr – Lesedauer: 

Mannheim ‐ Gegenseitige Besuche der Konfessionen gehören vielerorts zur Gemeindepraxis. In Mannheim ist man einen Schritt weiter: In der kürzlich eröffneten Ökumenekirche St. Pius versammeln sich evangelische und katholische Christen jetzt um einen gemeinsamen Altar.

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Die Wunde der Kirchentrennung klafft noch immer tief: kein gemeinsames Amt, keine gemeinsame Mahlfeier von katholischen und evangelischen Christen. Während sich manche schon an den Schmerz gewöhnt haben, werden anderenorts entschiedene Schritte der Heilung gegangen. Die Eröffnung der Ökumenekirche St. Pius in Mannheim Anfang April war so ein Schritt hin zur Heilung.

Wie viele andere Gemeinden können auch die beiden Pfarreien im Mannheimer Stadtteil Neuostheim auf eine lange Tradition der gelebten Ökumene zurückschauen. Bereits seit den 1960er-Jahren bemühten sich die Pfarrer der katholischen St. Pius-Pfarrei und der evangelischen Thomasgemeinde um eine konfessionsübergreifende Zusammenarbeit. Es wurden erste ökumenische Gottesdienste und Veranstaltungen initiiert. Die Scheu vor den "Andersgläubigen" wurde nach und nach überwunden.

Dass aus dieser ganz auf das praktische Miteinander gerichteten Bewegung das ambitionierte Projekt einer Ökumenekirche hervorging, verdankt sich letztlich eines bedauerlichen Zufalls: 2009 musste die evangelische Thomaskirche nach zwei schweren Wasserschäden geschlossen werden. Die Gemeinde hatte ihre Heimat verloren und erhielt von der katholischen Nachbarpfarrei Obdach für die Feier ihrer Gottesdienste. Aus der räumlichen Nähe entwickelte sich Schritt für Schritt eine institutionelle: Man beschloss den Bau eines gemeinsamen Kindergartens und Pfarrbüros, der 2018 abgeschlossen werden konnte, und gründete kurz darauf das Ökumenischen Zentrum Neuostheim – "eingedenk des Gebets Jesu, dass alle eins seien", und "bewegt vom Willen, die Ökumenische Gemeinschaft immer weiter zu vertiefen", wie es im offiziellen Statut heißt.

Ökumenische Verbundenheit drück sich auch architektonisch aus

Mittelpunkt des Ökumenischen Zentrums sollte die im Stil der Nachkriegsmoderne erbaute und ebenfalls renovierungsbedürftige St. Pius-Kirche werden. Nach anderthalbjähriger Umbauzeit öffnete die Ökumenekirche nun ihre Pforten und wurde mit einem feierlichen Gottesdienst den Gläubigen beider Konfessionen übergeben. Zentrales Anliegen der Umgestaltung war, die ökumenische Verbundenheit auch durch die Architektur im Innenraum zum Ausdruck zu bringen. So erhielt das Taufbecken einen prominenten Platz im Chorraum vor dem ehemaligen Hochaltar – die Intention: Die Taufe sollte als das von allen christlichen Kirchen gegenseitig anerkannte Sakrament in den Mittelpunkt rücken.

Weniger Einheit besteht noch immer beim Verständnis des Gedächtnismahls Jesu. Der Versuch des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK), eine theologische Einigung über die Bedeutung von Abendmahl und Eucharistie zu erreichen, scheiterte am Einspruch des Vatikans: Die Glaubenskongregation erteilte dem Votum "Gemeinsam am Tisch des Herrn", das für eine gegenseitige Gastfreundschaft bei der Mahlfeier plädierte, im Herbst 2020 eine Absage.

Durch diese Entscheidung will man sich in Mannheim nicht vom Kurs abbringen lassen. "Die Eröffnung dieser Ökumenekirche ist ein großer Schritt. Dass wir hier gemeinsam Abendmahl feiern können, das ist der nächste Schritt", sagte der evangelische Dekan Ralph Hartmann beim Eröffnungsgottesdienst. Und sein katholischer Kollege Karl Jung bekräftigte: "Das gemeinsame Abendmahl ist unser Ziel!" Vorerst wird es aber auch in Mannheim noch keine konfessionsübergreifenden Mahlfeiern geben: Die Sonntagsgottesdienste werden im Wechsel von katholischen und evangelischen Amtsträgern nach den Riten der jeweiligen Kirche gefeiert. Eingeladen sind natürlich Gläubige aller Konfessionen. Ökumenische Gottesdienste sollen weiterhin zu besonderen Anlässen stattfinden – dann allerdings ohne Mahlfeier.

Die Mannheimer Ökumenekirche St. Pius
Bild: ©Katholische Kirche Mannheim/Schuhmann

Die im Stil der Nachkriegsmoderne erbaute St. Pius-Kirche ist heute Mannheims erste Ökumenekirche. Katholische und evangelische Christen feiern hier gemeinsam unter einem Dach Gottesdienst. Bei der Eröffnung Anfang April wurde auch der neue Altar eingeweiht.

Um dem Streben nach Einheit dennoch sichtbaren Ausdruck zu verleihen, erhielt die Ökumenekirche einen neuen Altar. In das Kirchenschiff hineingerückt, wird er an drei Seiten von Kirchenbänken umschlossen, sodass die Gläubigen einen zum Kreuzgemälde an der monumentalen Stirnwand geöffneten Kreis bilden. Auf dem Altar wird künftig gleich in drei Riten zelebriert: Neben dem Abendmahl und der Eucharistiefeier findet hier auch die katholische Liturgie nach byzantinischem Ritus statt, die mit dem Ökumenischen Zentrum Kyrill und Methodius seit über 50 Jahren ebenfalls in der St. Pius-Kirche beheimatet ist.

Im Unterschied zu zahlreichen Simultankirchen haben die Konfessionen in der Mannheimer Ökumenekirche also keine getrennten Gottesdienstbereiche, sondern teilen sich den Raum im gemeinsamen Gebet. Zwar gab es solche Einrichtungen auch schon früher – etwa im Altenberger Dom, wo es zwar zwei Küster, Pfarrer und Kirchenmusiker gibt, aber ebenfalls nur einen Altar. In der ehemaligen Zisterzienserabtei war die ökumenische Tuchfühlung zumindest anfangs aber nicht freiwillig: Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. verfügte Mitte des 19. Jahrhunderts die gemeinsame Kirchennutzung – aus Kostengründen. In jüngerer Vergangenheit haben sich nur wenige Gemeinden bewusst für eine räumliche Fusion entschlossen: So geschehen in Kiel-Mettendorf, wo sich die katholische und evangelische Gemeinde seit über 40 Jahren ein Kirchendach, einen Altar und eine Orgel teilen.

Aus den Altären beider Konfessionen wurde ein neuer gegossen

Deutschlandweit einzigartig dürfte nach Auskunft der Verantwortlichen dagegen die Entstehung des neuen Ökumenealtars in St. Pius sein. Seine Platten wurden aus dem gemahlenen Stein der beiden Vorgängeraltäre gegossen. Wenn sich nun die Strukturen des roten Sandsteins und des dunklen Travertins vermischen, soll deutlich werden: Hier ist etwas Neues entstanden, dessen Ursprünge zwar noch zu erkennen sind, das aber zu einer untrennbaren Einheit verbunden wurde. Ähnlich verhält es sich mit dem Geläut der Ökumenekirche. Für das fünfstimmige Ensemble wurden die katholische Pius-Glocke und die beiden Glocken der evangelischen Thomasgemeinde zusammengeführt und um zwei neu gegossene Glocken ergänzt. Mit den programmatischen Inschriften "Ein Herr – ein Glaube – eine Taufe" und "Wir sind eins durch ihn" rufen sie zukünftig zum ökumenischen Gebet.

In der ökumenischen Zusammenarbeit treten immer beide Aspekte zutage: Der Schmerz über die Trennung, aber auch die Freunde des gegenseitigen Vertrauens und der Hoffnung auf Zusammenführung. Bei der Eröffnung der Mannheimer Ökumenekirche hat die Freude eindeutig überwogen. Nachdem Dekan Hartmann zusammen mit seinem Amtsbruder Jung das weiße Altartuch über dem neuen Gemeinschaftsaltar ausgebreitet hatte, war der evangelische Geistliche überzeugt: "Wenn wir heute diese Etappe feiern, dann ist auch im Himmel eine große Freude über das, was uns hier in Mannheim gelungen ist."

Von Moritz Findeisen