"Religionsfreiheit muss elementarer Bestandteil der Außenpolitik sein"
2018 richtete die damalige Bundesregierung erstmals das Amt eines Beauftragten für weltweite Religionsfreiheit ein. Seit Januar – kurz nach der Regierungsübernahme durch die Ampel – ist Frank Schwabe als Nachfolger von Markus Grübel der zweite Amtsinhaber. Im Interview mit katholisch.de zieht der SPD-Politiker nach 100 Tagen eine erste Bilanz seiner Arbeit als Religionsfreiheitsbeauftragter. Außerdem spricht er über den Stellenwert seines Amtes in der rot-grün-gelben Koalition, das Ziel seiner bevorstehenden ersten Auslandsreise und das Land, das ihm mit Blick auf den Zustand der Religionsfreiheit derzeit die meisten Sorgen bereitet.
Frage: Herr Schwabe, seit 100 Tagen sind Sie Beauftragter der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Wie fällt Ihre persönliche Zwischenbilanz nach dieser Zeit aus?
Schwabe: Es ist auf jeden Fall eine sehr interessante Aufgabe, die ich übernommen habe. Mir war vorher gar nicht klar, wie viele Akteure es insbesondere in Deutschland gibt, die sich mit Fragen der Religions- und Weltanschauungsfreiheit beschäftigen. Inzwischen habe ich auch erste Erfahrungen auf dem internationalen Parkett sammeln können, in dem ich in Genf an einem Treffen der weltweiten Beauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit teilgenommen habe. Insofern kann ich nach 100 Tagen sagen, dass die Tätigkeit spannend, herausfordernd und vermutlich vielfältiger ist, als man vielleicht auf Anhieb denken würde.
Frage: Zu Beginn der Legislaturperiode gab es Gerüchte, die Ampelkoalition wolle das erst 2018 geschaffene Amt des Religionsfreiheitsbeauftragten wieder abschaffen – wozu es letztlich aber nicht kam. Welchen Stellenwert hat Ihr Amt in der rot-grün-gelben Koalition?
Schwabe: Als langjähriger menschenrechtspolitischer Sprecher meiner Fraktion und Mitglied im Bundestagsausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe bin in der Außen- und Menschenrechtspolitik ja kein unbeschriebenes Blatt. Insofern gehe ich davon aus, dass meine Berufung auch ein Statement dahingehend war, dass man das Amt in der Koalition entsprechend gewichtet.
Frage: In den vergangenen Jahren gab es wiederholt Forderungen, auch andere Menschenrechte wie etwa die Meinungsfreiheit mit einem eigenen Beauftragten zu würdigen. Das ist bislang aber nicht geschehen. Wie lässt es sich plausibel begründen, dass ein immer stärker säkular geprägtes Land wie Deutschland einen eigenen Beauftragten für Religionsfreiheit braucht?
Schwabe: Grundsätzlich finde auch ich, dass andere Menschenrechte ebenfalls mit einem eigenen Beauftragten gewürdigt werden sollten. Ich kann aber nachvollziehen, warum man 2018 einen Beauftragten speziell für die Religions- und Weltanschauungsfreiheit installiert hat. In Deutschland mag man zwar manchmal den Eindruck haben, dass Glaube und Religion keine allzu große Rolle mehr spielen. International ist das aber überhaupt nicht der Fall. Wenn man die Welt betrachtet, dann stellt man fest, dass Religion vermutlich für die Mehrheit der Menschheit ein zentrales Thema ist. Und deswegen finde ich es legitim und sinnvoll, das Menschenrecht der Religionsfreiheit- und Weltanschauungsfreiheit noch einmal gesondert unter die Lupe zu nehmen.
„Wenn wir Entwicklungsprojekte nur noch in Ländern durchführen würden, die im Bereich der Menschenrechte über jeden Zweifel erhaben sind, dann würden wir wahrscheinlich kaum noch Entwicklungszusammenarbeit leisten können.“
Frage: Ihr Amt ist im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung angesiedelt. Welche Rolle spielt die Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der Entwicklungspolitik der Ampelkoalition?
Schwabe: Zunächst: Mein Amt ist in der Tat im Entwicklungsministerium angesiedelt, ich arbeite aber auch sehr viel mit dem Auswärtigen Amt zusammen. Gerade dann, wenn es um Fragen der internationalen Zusammenarbeit – etwa im Rahmen der Vereinten Nationen – geht, ist immer das Auswärtige Amt federführend zuständig. Insofern bewege ich mich als Religionsfreiheitsbeauftragter immer auch zwischen den Ministerien. Gleichwohl gibt es auch im Entwicklungsministerium eine ganze Reihe von Projekten, bei denen Religion eine Rolle spielt. Etwa, wenn es um die Frage geht, wie man Religionsgemeinschaften in die Entwicklungs- und Friedensarbeit in einzelnen Ländern oder Regionen einbinden kann.
Frage: In der Vergangenheit wurde mitunter gefordert, Ländern, die die Religionsfreiheit verletzen, die Entwicklungshilfe zu kürzen oder gar ganz zu streichen. Wie stehen Sie zu dieser Forderung?
Schwabe: Natürlich muss die Frage der Menschenrechte immer ein fundamentaler Bestandteil der Entwicklungszusammenarbeit sein. Wir müssen mit Ländern, die Menschenrechte verletzen, immer wieder genau darüber reden und wir dürfen die Täter nicht aus der Verantwortung entlassen. Aber wenn wir Entwicklungsprojekte nur noch in Ländern durchführen würden, die im Bereich der Menschenrechte über jeden Zweifel erhaben sind, dann würden wir wahrscheinlich kaum noch Entwicklungszusammenarbeit leisten können. Insofern ist das immer eine Gradwanderung. Entscheidend ist, dass man Verletzungen der Menschenrechte immer wieder anspricht, und ich werde darauf dringen, dass die Bundesregierung das auch tut.
Frage: Nach Ostern wollen Sie Ihre erste größere Auslandsreise als Beauftragter unternehmen und nach Lateinamerika reisen. Warum gerade dorthin?
Schwabe: Mir geht es mit dieser Reise darum, die Situation der Indigenen in Lateinamerika und ihre religiösen Überzeugungen in den Vordergrund zu stellen – ein Thema, das aus meiner Sicht bislang zu wenig Beachtung gefunden hat. Viele Konflikte rund um Landraub, Rohstoffabbau und Waldzerstörung, mit denen wir in Mittel- und Südamerika konfrontiert sind, sind eng mit den Indigenen und ihren naturreligiösen Vorstellungen verknüpft. Ich erhoffe mir von der Reise einen wichtigen Impuls sowie Ansätze für die weitere Beschäftigung mit diesem Thema.
Frage: Welche Länder oder Regionen bereiten Ihnen mit Blick auf die Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit derzeit die meisten Sorgen?
Schwabe: Da könnte ich jetzt natürlich eine lange Liste nennen – leider. Aber wenn ich ein Land herausgreifen sollte, würde ich Indien nennen. Dort erleben wird seit einigen Jahren, wie eine Religion – nämlich der Hinduismus – missbraucht wird, um politische Interessen durchzusetzen. Bis hinein in die indische Regierung schrecken Hindu-Nationalisten nicht davor zurück, religiöse Minderheiten wie Buddhisten, Christen oder Muslime zu unterdrücken, um eigene machtpolitische Ziele zu erreichen. Das ist schon sehr besorgniserregend, vor allem auch angesichts der schieren Größe des Landes und der Vielzahl der Menschen, die von den Attacken betroffen sind.
Frage: Als Religionsfreiheitsbeauftragter können Sie zwar auf Verletzungen der Religions- und Weltanschauungsfreiheit hinweisen und für die Problematik sensibilisieren – viel mehr aber auch nicht. Würden Sie sich mehr Kompetenzen und mehr Ressourcen für Ihr Amt wünschen?
Schwabe: Ich denke, es hängt gar nicht so sehr davon ab, mit welchen Kompetenzen oder Ressourcen das Amt des Religionsfreiheitsbeauftragten ausgestattet ist. Entscheidender ist aus meiner Sicht, wie man das Amt konkret ausfüllt. Und ich würde mir schon zugutehalten, dass ich in Fragen der Menschenrechte eine gewisse Erfahrung habe und ganz gut weiß, wie man Akteure zusammenführt und sich national und international Gehör verschafft.
Frage: Sollte die Bundesregierung Verletzungen der Religions- und Weltanschauungsfreiheit in anderen Ländern stärker sanktionieren?
Schwabe: Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, eine menschenrechtsbasierte Außenpolitik zu betreiben. Insofern gehe ich davon aus, dass Menschenrechte wie die Religions- und Weltanschauungsfreiheit ständiger Bestandteil unserer außenpolitischen Bemühungen sind – auch wenn der Teufel hier natürlich wie so oft im Detail steckt. Wir alle müssen uns klar machen, dass Menschenrechte nicht bloß ein Randaspekt der Außenpolitik sind, sondern deren elementarer Bestandteil. Wie eng beides miteinander verknüpft ist, sehen wir ganz aktuell an dem Konflikt mit Russland. Wahrscheinlich haben wir gegenüber Russland in der Vergangenheit zu wenig auf Demokratie, Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit und die Freiheit von Religion und Weltanschauung gedrungen. Das Ergebnis dieses Versäumnisses sehen wir jetzt.
„Grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass wir als Gesellschaft insgesamt konsequenter gegen religionsfeindliche Straftaten und die ihnen zugrunde liegende Geisteshaltung vorgehen würden.“
Frage: Als Exportnation ist Deutschland allerdings immer auch auf gute Handelsbeziehungen mit Ländern angewiesen, die Menschenrechte mit Füßen treten – Stichwort China und ganz aktuell Katar. Wie sollte die Ampelregierung mit diesem Problem umgehen? Oder sind gute Geschäfte für Deutschland im Zweifel immer wichtiger als der Einsatz für verfolgte Minderheiten?
Schwabe: Hier müssen wir auf mehreren Ebenen ansetzen. Zum einen müssen wir überall dort, wo wir neue Handelsbeziehungen eingehen, dafür sorgen, dass die Menschenrechte beachtet werden. Das heißt konkret: Wenn wir Handelsverträge abschließen, muss darin immer auch ein Menschenrechtskapitel vorkommen. Ein wichtiges Element ist zudem das Lieferkettengesetz, das im vergangenen Jahr beschlossen wurde und das deutsche Unternehmen dazu verpflichtet, bei der Herstellung von Produkten auch in ihren Lieferketten auf die Einhaltung von Menschenrechtsstandards zu achten. Ich hoffe, dass wir auch auf EU-Ebene bald ein ähnliches Gesetz hinbekommen. Und zuletzt spielt natürlich auch die klassische Diplomatie eine wichtige Rolle. Verletzungen der Menschenrechte müssen auf diplomatischer Ebene mit Nachdruck angesprochen werden. Das hört sich nach nicht viel an, ist aber elementar wichtig.
Frage: Als Religionsfreiheitsbeauftragter haben Sie primär eine internationale Perspektive. Trotzdem die Frage: Wie beurteilen Sie die Situation der Religions- und Weltanschauungsfreiheit in Deutschland?
Schwabe: Grundsätzlich würde ich die Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit in Deutschland als gut bewerten. Aber natürlich gibt es auch hierzulande Probleme. Nehmen Sie nur die Attacken auf Juden, die in den vergangenen Jahren wegen ihrer Kippa auf offener Straße angegriffen wurden. Oder die teilweise antimuslimischen Proteste gegen den Bau von Moscheen. Staat und Gesellschaft müssen hier klar Stellung beziehen und deutlich machen, dass solche religionsfeindlichen Straftaten in Deutschland keinen Platz haben.
Frage: Würden Sie sich bei solchen Straftaten von deutschen Gerichten härtere Strafen wünschen?
Schwabe: Es ist nicht meine Aufgabe, die Urteile deutscher Gerichte zu bewerten. Grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass wir als Gesellschaft insgesamt konsequenter gegen religionsfeindliche Straftaten und die ihnen zugrunde liegende Geisteshaltung vorgehen würden – und zwar nicht erst dann, wenn es zu spät ist.
Frage: Als Religionsfreiheitsbeauftragter sind Sie auch für den Bericht zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit verantwortlich, der im zweijährigen Rhythmus erscheinen soll. Der vorerst letzte Bericht wurde im Herbst 2020 noch von Ihrem Vorgänger Markus Grübel veröffentlicht. Demnach wäre der nächste Bericht bereits in diesem Herbst fällig. Werden Sie das schaffen?
Schwabe: Vermutlich wäre das zu schaffen – das ist ehrlicherweise aber gar nicht mein Ziel. Für mich geht Gründlichkeit hier klar vor Schnelligkeit, und am Ende kommt es nicht auf ein paar Monate an. Ich möchte den nächsten Bericht etwas diskursiver entwickeln und auch die Erkenntnisse meiner Reisen und von Veranstaltungen, die ich derzeit plane, einfließen lassen. Von daher werde ich mir ein bisschen Zeit nehmen und das Ganze ordentlich machen.