Reizfigur im Ruhestand: Churer Altbischof Huonder wird 80
So wünscht man sich Kirche nicht wirklich: über Jahre die Turmuhr herunterzuzählen, bis endlich der Bischof den Altersruhestand erreicht hat. Doch genau so fühlten sich allzu lange allzu viele im Schweizer Bistum Chur. Nicht nur, dass sie auf die kanonische Altersgrenze von 75 Jahren hinleben mussten; Papst Franziskus ließ den Churer Bischof Vitus Huonder noch zwei weitere Jahre im Amt, statt die Querelen pünktlich zu beenden. Nun wird Huonder am 21. April 80 Jahre alt. Unter seinem Nachfolger Joseph Bonnemain (73) ist zuletzt weitgehend Ruhe eingekehrt; die Wunden im Bistum beginnen zu vernarben.
Der konservative Huonder war einer, der liberale Ansinnen seiner Herde gern mit der Haltung abkanzelte: Hier stehe ich – ich kann nicht anders. In den Kantonen Graubünden, Schwyz und Zürich herrscht schon lange ein kirchliches Reizklima. Auf engem Raum prallen große Meinungs- und Mentalitätsunterschiede aufeinander. Wie schon sein Vor-Vorgänger Bischof Wolfgang Haas (1988/90-1997) hat Huonder seine Herde polarisiert, zu der neben frommeren ländlichen Kantonen auch die finanzstarken Katholiken der Metropole Zürich gehören.
Strafanzeige von Schwulen-Dachverband
Auch landesweit fungierte der Churer Bischof als Lautsprecher des konservativen Kirchenflügels – während sich seine Amtsbrüder in der Schweizer Bischofskonferenz oft bemühen mussten, seine verbalen Vorstöße zu Sexualität, Kirchenverfassung oder Lebensschutz wieder einzufangen. Der Schweizer Dachverband der Schwulen stellte 2015 sogar erfolglos Strafanzeige gegen den Bischof: wegen öffentlicher Aufforderung zu Gewalt gegen Homosexuelle.
Huonder, von 2007 bis 2019 im Amt, pochte auf den Buchstaben des Katholischen, und er scheute sich nie, ihn als verbindlich einzufordern. Mal gab es Streit um Abtreibungsfinanzierung, mal um den Umgang mit Homosexualität, um Ehe und Familie oder die Leitung des Priesterseminars. Unzufriedene zogen 2014 an den Sitz des Bischofskonferenzvorsitzenden, um für eine Absetzung Huonders zu demonstrieren. Sie beklagten: "Wir haben genug von disziplinierender Haltung, von hartherziger Theologie und pessimistischen Bischöfen, die den Gläubigen misstrauen."
Wahr ist aber auch, dass Schweizer sehr basisdemokratisch ticken; Tradition seit dem legendären Rütlischwur im Mittelalter. Und auch das Schweizer Staatskirchenrecht räumt den Laien mehr Mitbestimmung ein, als vielen Bischöfen lieb ist – und als es im allgemeinen Kirchenrecht vorgesehen ist. Das gilt etwa für die bischöfliche Finanzverwaltung und für Experimentierfreude im Gottesdienst.
Anhänger verwiesen auf Einklang mit Lehre
Anhänger Huonders hielten dagegen stets, dass der Bischof in Einklang mit Kirchenlehre und Kirchenrecht handele; es sei die Lehre, nicht die Person, die den Kritikern nicht passe. Die Kritiker wiederum werteten genau das als Huonders Konfliktstrategie: vorzupreschen und dann die eigene Person unter Verweis auf die offizielle Lehre wieder aus dem Spiel zu nehmen.
Im Bistum hinterließ er viel verbrannte Erde. Dort hofft man, dass nach dem anstrengenden Auf und Ab der vergangenen Jahrzehnte nun entspanntere Zeiten kommen mögen. Auf den äußerst konservativen heutigen Erzbischof von Vaduz/Liechtenstein Wolfgang Haas (1988/90-1997), gegen den viele Churer Katholiken Sturm liefen, folgte der beliebte Amedee Grab auf dem Churer Bischofsstuhl (1998-2007). Der Benediktiner konnte als Schlichter viele Gräben zuschütten – die aber danach in der Ära Huonder bald wieder ausgehoben wurden.
Nach seiner Emeritierung im Mai 2019 – sein Vorgänger Grab starb just an dem Tag, als der Papst Huonders Amtsverzicht annahm – zog Huonder in ein Haus der traditionalistischen Piusbruderschaft in Wangs im Kanton Sankt Gallen. In einer Erklärung der Piusbrüder hieß es damals, Huonder wolle "sich dem Gebet und dem Schweigen widmen, ausschließlich die traditionelle Messe feiern und für die Tradition wirken, worin er das einzige Mittel zur Erneuerung der Kirche erkennt". Der Altbischof selbst ließ verlauten, er sei von der Glaubenskongregation beauftragt worden, den Kontakt mit der kirchlich nicht anerkannten Bruderschaft zu pflegen. Der Vatikan verneinte auf Medienanfragen einen solchen Auftrag.
Seither bleiben weitere Schlagzeilen aus. Im September feierte Huonder sein 50-jähriges Priesterjubiläum mit einem Pontifikalamt – im vorkonziliaren Ritus.