Ein naiver Pazifismus hilft nicht weiter
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Ich habe 1990 unter Berufung auf Art 4, Absatz 3, Satz 1 GG den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen verweigert. Angesichts des Krieges in der Ukraine, der Tod, Leid, Vergewaltigung und Vernichtung ganzer Orte mit sich bringt, stehen nicht wenige, die damals auch aus grundpazifistisch geprägtem Gewissen den Waffendienst verweigerten, vor dem konkreten Dilemma: Soll man Waffen zur Verteidigung liefern oder soll man besser darauf verzichten, weil "nie wieder" Waffen sprechen sollen?
Das "Nie wieder" ist ein frommer Wunsch, bei dem ohnehin unklar ist, worauf sich das "Nie wieder" bezieht. So schreibt der jüdische Militärrabbiner Zsolt Balla in der Jüdischen Allgemeinen: "Rabbiner Gábor Lengyel, der Schoa-Überlebender ist, hat dies kürzlich auf den Punkt gebracht: 'Wir deuten das ›Nie wieder‹ unterschiedlich: Viele Nichtjuden meinen ›Nie wieder Krieg‹, Juden hingegen meinen ›Nie wieder Vernichtung‹.' Begründet wird dies durch das Grundprinzip des Judentums, wonach der Schutz des Lebens über allem steht – auch über dem Frieden. Unsere wichtigste Aufgabe ist das Streben nach und der Erhalt von Frieden. Wenn dies allerdings nicht möglich ist, müssen wir uns verteidigen, auch mit dem Einsatz von Waffen."
Tatsächlich muss sogar Jesus diesen Zwiespalt empfunden haben. Noch im Abendmahlssaal empfiehlt er zu den Seinen angesichts der bevorstehenden Not: "Jetzt aber soll der, der einen Geldbeutel hat, ihn mitnehmen und ebenso die Tasche. Wer dies nicht hat, soll seinen Mantel verkaufen und sich ein Schwert kaufen." (Lk 22,36) Die Jünger sind behände dabei: "Herr, siehe, hier sind zwei Schwerter." (Lk 22,38b) Jesus aber, der eben noch empfohlen hatte, ein Schwert zu kaufen, weist die Kampfbereitschaft zurück: "Genug davon!" (Lk 22,38d)
Das ist der Zwiespalt Jesu: Er sieht den Konflikt und ruft zur Wehrhaftigkeit auf. Die offenkundig längst vorhandene Kampfbereitschaft der Jünger aber scheint ihn zu erschrecken. Sie widerspricht dem Friedensideal. Ist das nicht genau der Zwiespalt, in dem die Welt angesichts der Kriege immer wieder steckt?
Wehrhaftigkeit ist nicht Kampfbereitschaft und Kampfbereitschaft spricht nicht für Friedfertigkeit. Friedfertigkeit aber setzt unter Umständen Wehrhaftigkeit voraus. Das sind kleine, feine Nuancen, die gerade bei Gewissensentscheidungen zu berücksichtigen sind – vor allem, wenn es sich nicht um rein individuelle handelt, sondern um Entscheidungen, von denen das Überleben eines Volkes abhängt. Ein naiver Pazifismus hilft gerade nicht weiter, wenn ein Aggressor die Gewalt liebt. Damit der Friede wieder wachsen kann, muss der Krieg gefesselt werden.
Der Autor
Dr. Werner Kleine ist Pastoralreferent im Erzbistum Köln und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.