Heße: Keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse

Katholischer Flüchtlingsgipfel von Ukraine-Krieg geprägt

Veröffentlicht am 03.05.2022 um 18:29 Uhr – Lesedauer: 

Erfurt ‐ Die Ukraine nahm beim sechsten Flüchtlingsgipfel der katholischen Kirche in Deutschland aufgrund des aktuellen Kriegs viel Raum ein. Beim Treffen von rund 100 Fachleuten in Erfurt ging es beim Thema Integration jedoch um weit mehr.

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An heißen Themen hat es bei einem Katholischen Flüchtlingsgipfel nie gemangelt. Doch die Flüchtlingswelle aus der Ukraine gab dem Treffen von rund 100 Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis am Dienstag in Erfurt eine Aktualität wie bei kaum einem der fünf Treffen zuvor. Der russische Angriff sei "ein Angriff auch auf Europa, auf die Werte und Regeln, die unser Zusammenleben tragen", sagte der katholische deutsche Flüchtlingsbischof Stefan Heße.

Einige drängende Folgen dieses Krieges kamen auf einem Podium zur Sprache. So sagte der Leiter des Büros für die Koordinierung humanitärer Initiativen des Weltkongresses der Ukrainer, Andrij Waskowycz, voraus, dass es aus seinem Heimatland weitere Flüchtlingswellen geben könnte. Wenn eine Rückkehr vieler der über fünf Millionen ins Ausland geflüchteten Frauen und Kinder etwa wegen zerstörter Wohnungen nicht möglich sei, würden auch ihre derzeit noch kämpfenden Männer und Söhne nachkommen, prognostizierte der frühere Präsident der ukrainischen Caritas.

Ungelöstes Problem bei Flüchtlingsunterbringung in Polen

Mit Blick auf sein Heimatland nannte es der Vorsitzende des Migrationsrates der Polnischen Bischofskonferenz, Weihbischof Krzysztof Zadarko, ein ungelöstes Problem, wie lange die drei Millionen Flüchtlinge in seinem Land weiterhin meist privat untergebracht werden könnten. Für Deutschland bezeichnete es die Referatsleiterin für Migration beim Deutschen Caritasverband, Andrea Schlenker, als vordringliche Aufgabe, sicherzustellen, dass sich die Flüchtlinge möglichst schnell vor allem in den Arbeitsmarkt integrieren können. Dem stimmte der aus Syrien geflüchtete Autor Faisal Hamdo nachdrücklich zu.

Ausgehend vom derzeit größten europäischen Flüchtlingsproblem zog Heße den Horizont indes weiter. Er hoffe, "dass uns diese Erfahrung dem Leid der vielen anderen Geflüchteten auf dieser Welt näherbringen wird", so der Hamburger Erzbischof und Sonderbeauftragte für Flüchtlingsfragen der Deutschen Bischofskonferenz. Er mahnte: "Auch ihnen müssen wir mit Anteilnahme und Solidarität begegnen." Es dürfe keine "Geflüchteten erster und zweiter Klasse" geben.

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In gleichem Sinne äußerte sich die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, in einer Videobotschaft. Sie rief ebenfalls dazu auf, "dass wir jetzt nicht die Menschen vergessen, die aus Syrien, Afghanistan oder Eritrea zu uns fliehen". Die Staatsministerin dankte den Kirchen für deren Engagement zugunsten von Geflüchteten. "Sie haben da viel vorangebracht", so die SPD-Politikerin. Auch Thüringens Migrationsminister Dirk Adams (Grüne) bat die Kirchen um weitere Unterstützung bei den politischen Bestrebungen, frühzeitige Integrationsangebote gesetzlich zu verankern.

Heße stellte zudem eine neue "Arbeitshilfe" der Bischofskonferenz zum Thema vor. Unter dem Titel "Anerkennung und Teilhabe - 16 Thesen zur Integration" tritt die 49-seitige Stellungnahme für eine gegenseitige Anerkennung von Zuwanderern und der sie aufnehmenden Gesellschaft sowie für eine umfassende Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben ein.

"Einheit in Verschiedenheit" als gesellschaftliches Vorbild

Der Bielefelder Migrationssoziologe Thomas Faist erklärte, die Kirchen seien in besonderer Weise gefordert, durch konkrete Hilfen und anwaltschaftliches Engagement für Migrantinnen und Migranten einzutreten. Die Würzburger Christliche Sozialethikerin Michelle Becka betonte, die Kirchen könnten mit ihren Erfahrungen einer "Einheit in Verschiedenheit" der Gesellschaft ein Vorbild sein. Die Arbeitshilfe sei mit ihrem "progressiven Integrationsverständnis" in großer Übereinstimmung mit dem Sachverständigenrat für Integration und Migration, lobte die Vorsitzende des Gremiums für Politikberatung, Petra Bendel.

Bei dem Flüchtlingsgipfel zog Heße überdies eine Bilanz der Flüchtlingshilfe, die von der katholischen Kirche in Deutschland im vergangenen Jahr geleistet wurde. Mehr als 35.500 ehrenamtliche und fast 5.000 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten in diesem Zeitraum rund 200.000 Geflüchtete unterstützt. Insgesamt habe die Kirche 90,5 Millionen Euro dafür bereitgestellt, so Heße.

Von Gregor Krumpholz (KNA)