Zisterzienserabt: "Mosaikstein der Ordensgeschichte"

Himmeroder Handschrift zu Regeln der Zisterzienser erworben

Veröffentlicht am 06.05.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 5 MINUTEN

Koblenz ‐ Ein kleines Buch, dem man seine 700 Jahre kaum ansieht. Im Mittelalter diente es wohl dem Abt der Zisterzienserabtei Himmerod als Nachschlagewerk. Heute verrät es als Kulturzeugnis viel über vergangene Zeiten.

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Angegilbte Seiten lugen unter einem abgegriffenen, knitternden Einband aus braunem Leder hervor. Verschiedene Stempel mit Tiermotiven und Verzierungen in Form von Quadraten, Rauten und Kreisen prägen den Einband, ansonsten ist die Handschrift schmucklos gestaltet. Spuren einer Schnalle lassen erkennen, dass das Buch mal mit einer Lasche verschlossen werden konnte. In einer Bibliothek voller prachtvoller Kodizes würde der Band - auf den ersten Blick - wohl kaum auffallen. Doch der erste Eindruck täuscht.

Die neu vom Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz erworbene Handschrift aus der ehemaligen Zisterzienserabteil Himmerod hat einiges an Überraschungspotenzial zu bieten, wie Sammlungsleiter Armin Schlechter am Donnerstag in Koblenz erklärte. Zum einen überrasche der gute Zustand des Buches. Die Handschrift entstand wohl 1316 und "mit einiger Sicherheit" im Kloster Himmerod, sagt Schlechter. Eine klostereigene Schreibwerkstatt ist für Himmerod ab dem 12. Jahrhundert bezeugt.

Eine Seltenheit: die Handschrift ist im Originalzustand

Auch das Material, unter anderem das Pergament, wurden wohl im Kloster hergestellt. "Das Besondere ist, dass die Handschrift im Originalzustand vorliegt, keine Seiten herausgelöst oder Teile ersetzt wurden", erklärt Schlechter. Zudem handele es sich um eine Textsammlung, von der nur wenige Exemplare überliefert seien - und das, obwohl das Büchlein im Mittelalter in jede Zisterzienserbibliothek gehört habe.

Denn es handelt sich um ein Exemplar des "Libellus antiquarum definitionum". Übersetzt bedeute das "Buch der geltenden Beschlüsse", sagt der Abt der Zisterzienserabtei Marienstatt im Westerwald (Rheinland-Pfalz), Andreas Range. Im Hauptteil überliefert es die wichtigsten Dokumente des Zisterzienserordens, Regeln zum Ordensleben und zur Organisation der Klöster. Die Handschrift besteht aus Pergament und umfasst 124 Blätter im Format 17 mal 13 Zentimeter.

Bild: ©Fotolia.com/Myrna Schwartinsky

Die Abtei Himmerod in der Eifel.

Schlägt man das Buch auf, zeigt der handschriftliche Eintrag "Abbas" in der Mitte oben auf der ersten Seite, dass es sich wohl um das persönliche Exemplar des Abtes handelte. Der konnte das handliche Regelwerk bei seinen Reisen zu anderen Zisterzienserklöstern mitnehmen und im Zweifel Regeln nachschlagen. Handschriftliche Anmerkungen zum Text ließen darauf schließen, dass das Buch unterwegs praktisch wohl auch als "Notizbuch" genutzt wurde, sagt Abt Andreas.

Die Zisterzienser gehören zu den strengsten und einst größten Orden der katholischen Kirche. Himmerod hatte im Mittelalter eine wichtige Bedeutung. Die Abtei wurde 1134/35 als erstes Kloster seines Ordens in Deutschland von Bernhard von Clairvaux gegründet. Fast 900 Jahre lang lebten Mönche dort. Die Himmeroder Bibliothek umfasste laut Landesbibliothekszentrum einst rund 160 Handschriften. Der Abt von Himmerod hatte im 14. Jahrhundert die Aufsicht über zahlreiche Männer- und Frauenklöster - und war daher viel unterwegs.

Altes Buch im Internet einsehbar

Der Kodex sollte als "nüchterne Rechtssammlung" einheitliche und verbindliche Strukturen für alle Klöster des Ordens festhalten, erklärt Abt Andreas. "Das Werk zeigt auch, dass Zisterzienser Rationalität und Spiritualität verbinden." In 15 Kapiteln regelt die Sammlung etwa Fragen zur Hierarchie im Orden, zu Neugründungen, Rechtsangelegenheiten, Ämtern, aber auch Speisevorschriften. Im letzten Kapitel schließlich thematisiert es das Leben der Nonnen.

Die vorliegende Handschrift hat eine weite Reise hinter sich. Sie ging zunächst im 16./17. Jahrhundert von Himmerod aus an das Zisterzienserkloster Arnsburg bei Lich in Hessen, später an die Bibliothek von Schloss Brunnsee, danach in englischen Privatbesitz und schließlich an ein Wiener Antiquariat, bevor das Landesbibliothekszentrum die Schrift nun erwerben konnte.

In den kommenden Wochen bereitet die Speyerer Restauratorin Petra Brinckmann das Werk auf, reinigt es von oberflächlichem Schmutz, Staub und Griffspuren. Auch Fraßspuren von Insekten würden ausgebessert und das Leder unterlegt. Danach soll die Handschrift in Ausstellungen gezeigt werden. Aber schon jetzt lässt sich im Internet ein Blick auf das Werk werfen, denn die Handschrift wurde bereits vollständig digitalisiert.

Von Anna Fries (KNA)