Debatte um Psalter-Verkauf: Äbtissin von Reaktionen "tief erschüttert"
Das Zisterzienserinnenkloster St. Marienthal im sächsischen Ostritz steht seit ein paar Tagen im Zentrum einer kontroversen Debatte. Grund dafür ist die Absicht des finanziell stark angeschlagenen Klosters, einige wertvolle Handschriften – darunter der Marienthaler Psalter, eine reich illustrierte Handschrift aus dem 13. Jahrhundert – auf dem internationalen Kunstmarkt zu verkaufen. Archivare, Historiker und Politiker haben das Vorhaben des Konvents scharf kritisiert und vor einem unersetzbaren Verlust von Werken von europäischem Rang gewarnt. Im Interview mit katholisch.de nimmt die Äbtissin von St. Marienthal, Sr. M. Elisabeth Vaterodt, als Verantwortliche des Klosters ausführlich Stellung zu der Debatte und der Kritik. Außerdem spricht Sie über die Verhandlungen mit dem Freistaat Sachsen und die finanzielle Lage ihrer Gemeinschaft.
Frage: Äbtissin Elisabeth, hinter Ihrem Kloster liegen aufreibende Tage. Wie geht es Ihnen und Ihren Mitschwestern heute?
Äbtissin Elisabeth: Uns geht es so weit gut. Das liegt aber auch daran, dass die Diskussion um den Psalter und die anderen Handschriften ja nicht das Einzige ist, was uns bewegt. Das Klosterleben geht ja weiter mit seinen Feiertagen und mit den Aufgaben im Konvent, die täglich bewältigt werden müssen. Trotzdem habe ich meine Mitschwestern natürlich über die Diskussionen der vergangenen Tage informiert – allerdings nicht in allen Details. Was nicht unbedingt notwendig ist an Information, versuche ich von den Schwestern fernzuhalten. Das wäre sonst nur eine unnötige Belastung für sie.
Frage: Als Äbtissin sind Sie in führender Position für das Kloster verantwortlich. Deshalb standen Sie in den vergangenen Tagen auch in besonderer Weise im Fokus der Debatten. Wie haben Sie persönlich die Diskussionen in den zurückliegenden Tagen erlebt?
Äbtissin Elisabeth: Das war schon ein Sturm, der über das Kloster hinweggefegt ist; außerhalb des Klosters würde man wohl von einem Shitstorm sprechen. Viele Reaktionen, die ich gelesen habe, waren maßlos und haben mich tief erschüttert. Gott sei Dank war es am Wochenende etwas ruhiger; das waren zwei Tage, die ich zur inneren Erbauung dringend gebraucht habe. Was mir hilft ist das Wissen, dass über allem der Herrgott steht und wir nicht tiefer fallen können als in seine Hände. Grundsätzlich gilt: Ich muss vor Gott und meinem Gewissen verantworten, was wir hier tun, und ich muss mich fragen, was wichtiger ist: die Zukunft unseres Konvents zu retten oder alle unsere materiellen Werte zu erhalten. Beides zusammen geht nicht mehr. Wer uns kennt, müsste eigentlich wissen, dass wir uns nicht ohne Not für den Verkauf der Handschriften entschieden haben. Zudem können wir auch nicht jeden unserer Schritte vorher mit der Öffentlichkeit diskutieren; dann kämen wir nie an ein Ziel.
„Natürlich fänden auch wir es schön, wenn die infrage stehenden Werke in Sachsen beziehungsweise im Kloster verbleiben würden. Im Augenblick ist ein Verkauf auf dem internationalen Kunstmarkt aber der einzige Weg, um überhaupt wieder eine tragfähige finanzielle Basis für das Kloster zu schaffen.“
Frage: Im Zentrum der Debatte steht der Marienthaler Psalter, in dem viele Experten ein Werk von europäischem Rang sehen, das man nicht einfach verscherbeln dürfe. Was sagen Sie dazu? Können Sie diese Kritik an Ihren Verkaufsplänen nachvollziehen?
Äbtissin Elisabeth: Bei vielen Wortmeldungen der vergangenen Tage hatte ich den Eindruck, dass die jeweiligen Personen ziemlich kenntnisfrei argumentiert haben. Viele Menschen, die sich geäußert haben, wussten offenbar gar nicht so genau, worum es überhaupt geht und wie sich die finanzielle Situation unseres Klosters darstellt. Zudem wehre ich mich ganz klar gegen den Vorwurf, wir würden wertvolles Kulturgut verscherbeln. Das ist völlig falsch!
Frage: Richtig ist aber, dass Sie den Psalter und weitere Handschriften zum Verkauf angeboten haben ...
Äbtissin Elisabeth: Ich habe in den vergangenen zehn Jahren intensive Gespräche mit dem Bistum Dresden-Meißen und vor allem dem Freistaat Sachsen geführt mit dem Ziel, die dramatische finanzielle Lage unseres Konvents nach dem Neiße-Hochwasser 2010 zu verbessern. Ich habe dabei immer deutlich gemacht, dass die Kosten für die notwendigen Sanierungsarbeiten ohne weitere Unterstützung zu unserem finanziellen Ruin führen würden. Trotzdem haben wir nicht ausreichend Gehör gefunden. Natürlich haben wir für die Sanierungsarbeiten Fördermittel erhalten, für die wir auch dankbar sind. Diese Mittel haben aber gleichzeitig dazu geführt, dass wir deutlich mehr Eigenmittel aufbringen mussten, als eigentlich zu verantworten war – sonst hätten wir die Förderung nicht bekommen. Das Land hat uns später zwar noch einmal finanziell unter die Arme gegriffen, dieses Geld hat aber nur für ein Jahr Liquidität gereicht. Deshalb waren wir gezwungen, auf andere Weise Einnahmen zu generieren – und da blieb uns letztlich nur die Möglichkeit, etwas von unserem Kulturgut zu veräußern.
Frage: Der Freistaat Sachsen sagt, dass er erst im Februar mit Ihnen vereinbart habe, dass das Land bis Ende Juni Zeit habe, um ein eigenes Angebot für die Handschriften vorzulegen. Diese Vereinbarung sei durch Ihre jetzt bekannt gewordene Zusammenarbeit mit dem Schweizer Kunsthändler Jörn Günther gebrochen worden ...
Äbtissin Elisabeth: Das stimmt so nicht. Wir sind mit dem Land schon sehr lange über unsere Kunstschätze im Gespräch. Und natürlich wäre es ideal gewesen, wenn das Land einen Teil davon übernommen hätte und das Kloster durch einen angemessenen Kaufpreis finanziell entlastet worden wäre. Das Land hat uns jedoch für alle Kunstwerke, die überhaupt für einen Verkauf in Frage kommen, gerade einmal 1,2 Millionen Euro angeboten. Das ist dem Ernst der Sache nicht gerecht geworden. Erst nach diesem Angebot haben wir uns an den Kunsthändler gewandt mit dem Ziel, zu erfahren, was die Kunstwerke tatsächlich wert sind. Noch einmal: Natürlich fänden auch wir es schön, wenn die infrage stehenden Werke in Sachsen beziehungsweise im Kloster verbleiben würden. Im Augenblick ist ein Verkauf auf dem internationalen Kunstmarkt aber der einzige Weg, um überhaupt wieder eine tragfähige finanzielle Basis für das Kloster zu schaffen.
Frage: Das heißt, Sie halten bis auf Weiteres an der Zusammenarbeit mit Herrn Günther und dem geplanten Verkauf des Psalters und der anderen Handschriften fest?
Äbtissin Elisabeth: Ja, ich sehe überhaupt keine Veranlassung, die Zusammenarbeit, die vertraglich geregelt ist, zu beenden. Denn sonst stünden wir ja wieder am Anfang. Auch das Land Sachsen kann selbstverständlich ein neues Angebot für die Handschriften abgeben.
Frage: Sie haben die wirtschaftliche Lage Ihres Klosters mit dramatischen Worten geschildert. Wenn nicht bald ein größerer Geldbetrag reinkommt: Wie lange ist Ihr Konvent noch überlebensfähig?
Äbtissin Elisabeth: Da kann und will ich keinen Zeithorizont nennen. Wichtig ist immer, dass man ein gutes Verhältnis zu seiner Hausbank hat – und das haben wir. Wir sind verlässliche Partner und bedienen unsere Kredite, die wir im Zuge der Sanierungsarbeiten nach dem Hochwasser aufnehmen mussten. Um das auch noch einmal deutlich zu sagen: Nach dem Hochwasser hieß es zunächst, dass wir für die Sanierung Eigenmittel in Höhe von maximal 1,5 Millionen Euro aufbringen müssten; am Ende waren es jedoch fast fünf Millionen Euro. Um diese Summe zu stemmen, mussten wir unter anderem die Altersversorgung unserer Gemeinschaft verwenden. Wir haben heute keinerlei Rücklagen mehr in der Kasse. Und wenn man keine liquiden Mittel mehr hat, muss man überlegen, welche Vermögenswerte man flüssig machen kann, um das Kloster am Leben zu erhalten. Das ist der Grund, warum wir uns schweren Herzens für den Verkauf der Handschriften entschieden haben.
Frage: Bei allem Verständnis für ihre Lage: Gerade der Psalter ist eben nicht irgendein Buch, sondern ein bedeutendes Werk der sächsischen Geschichte ...
Äbtissin Elisabeth: Sie können sich sicher sein, dass wir um die Bedeutung des Psalters wissen, und wir haben ihn ja auch jahrhundertelang gehütet und beschützt. Ich muss aber auch mal sagen: In den vergangenen Jahrzehnten hat das Buch hier bei uns in der Bibliothek geschlummert, ohne dass sich irgendjemand dafür interessiert hätte. Insofern verwundert mich der öffentliche Aufschrei jetzt schon ein bisschen.
„In normalen Zeiten hätten wir sicher von den Erträgen unserer Wirtschaftsbetriebe leben können. Doch erst kam das Hochwasser und dann die Corona-Pandemie, beides hat unseren Betrieben stark zugesetzt.“
Frage: Marienthal ist das älteste Zisterzienserinnenkloster in Deutschland, das seit seiner Gründung ununterbrochen existiert. Wie sehr würde es Sie treffen, wenn Sie als amtierende Äbtissin das Kloster aus Geldmangel nach knapp 800 Jahren schließen müssten?
Äbtissin Elisabeth: Das wäre natürlich richtig furchtbar. Aber noch hoffe ich, dass es nicht so weit kommt. Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir mit dem Land Sachsen noch eine Lösung für die Kunstwerke finden würden – aber der weitere Prozess läuft jetzt auf jeden Fall über den Kunsthändler. Wir brauchen dringend einen signifikanten Millionenbetrag, damit das Kloster weiter existieren kann. In normalen Zeiten hätten wir sicher von den Erträgen unserer Wirtschaftsbetriebe leben können. Doch erst kam das Hochwasser und dann die Corona-Pandemie, beides hat unseren Betrieben stark zugesetzt. Was hätten wir also tun können? Ich kann die Schwestern ja schließlich nicht zum Betteln auf die Straße schicken!
Frage: Sie haben in einer Pressemitteilung am vergangenen Donnerstag geschrieben, dass Sie beim Kampf um die Zukunft Ihres Kloster auf "viele Verbündete" hoffen. Wen haben Sie damit konkret gemeint? Richtete sich der Appell auch an Ihren Orden?
Äbtissin Elisabeth: Unser Orden steht ohnehin hinter uns. Aber natürlich ist auch er nicht so reich, dass er uns problemlos unter die Arme greifen könnte. Nein, neben den weiter zu führenden Gesprächen mit dem Land Sachsen setze ich vor allem darauf, dass das Schicksal unseres Klosters möglichst vielen Menschen nicht egal ist. Wir sind dankbar für jede Spende, und wir werden baldmöglichst auch eine offizielle Spendenaktion starten. Zudem hoffe ich auf das Gebet und die Fürsprache anderer Gemeinschaften, die vielleicht in ähnlichen Schwierigkeiten sind wie wir oder bereits Lösungen gefunden haben. Wir freuen uns über jede Hilfe und jeden guten Ratschlag.
Frage: Sie haben es gesagt: Der Freistaat Sachsen ist für Sie weiter ein wichtiger Ansprechpartner. Welche Bedingungen müssten erfüllt werden, damit es doch noch zu einer Einigung mit dem Land über den Psalter kommen könnte?
Äbtissin Elisabeth: Wie die Gespräche zu einem für alle Seiten guten Ende geführt werden können, bleibt abzuwarten. Grundsätzlich sehe ich jetzt vor allem den Freistaat am Zug; wenn dem Land etwas an den Handschriften liegt, kann es nicht nur auf seine leeren Kassen verweisen. Da muss schon mehr kommen. Wir müssen über den Verkauf des Psalters und der anderen Werke einen signifikanten Millionenbetrag erzielen, sonst müssen wir das Kloster schließen. Vermutlich braucht es ein Wunder – aber das kann ja durchaus geschehen.