"Nicht das Papstamt schwächen"
Frage: Herr Kardinal, im Oktober diskutierten die Bischöfe in Rom kontrovers über Ehe, Familie und Sexualität. Die nächste Synode folgt in gut zehn Monaten. Wie werden die deutschen Bischöfe die weitere Diskussion begleiten? Mit einer erneuten Umfrage, wie es die neuen Arbeitspapiere aus dem Vatikan nahelegen?
Marx: Davon haben wir erst nach unserer letzten Sitzung im Ständigen Rat erfahren, aber selbstverständlich werden wir alle einladen, sich zu beteiligen. Auf jeden Fall werden wir sehr bald alle wichtigen Texte zur Synode veröffentlichen, auch unsere bisher noch nicht publizierte Stellungnahme aus dem Sommer zu den wiederverheirateten Geschiedenen. Das ist ein sehr ausgewogener und gut reflektierter Text, von mehreren Bischöfen geschrieben und intensiv in der Konferenz diskutiert. Ich bitte alle, sich damit zu beschäftigen, und hoffe auf eine breite und konstruktive Debatte, die eine gute Vorbereitung sein kann für die Synode.
Frage: ... bei der am Ende was herauskommen soll?
Marx: Sinn eines synodalen Prozesses ist nicht, dass es am Ende Sieger und Besiegte gibt. Es geht um ein gemeinsames Suchen, eine breite theologische Diskussion. Die Voraussetzung für Lösungen, die möglichst alle mittragen können, ist ein geistlicher Prozess, bei dem man sich nicht in der eigenen Position eingräbt und sie durchzusetzen versucht, sondern sich für den anderen wirklich öffnet und auch wagt, theologisch neu anzusetzen. Am Ende müssen wir zu einer Einmütigkeit finden.
Frage: Viele Beobachter sehen die katholische Kirche von Macht- und Flügelkämpfen zerrissen, in die angeblich auch Benedikt XVI. involviert ist. Wie nehmen Sie Papst Franziskus dabei wahr? Sie zählen ja zu seinem engsten Beraterkreis.
Marx: Ich erlebe ihn als sehr gelassen und ruhig. Franziskus vertraut wirklich darauf, dass der Heilige Geist in der Kirche wirkt, auch wenn sie manchmal disparat erscheint. Für den emeritierten Papst ist ganz klar: Es gibt nur einen Papst. Das unterstreicht Benedikt XVI. immer wieder. Und wer auch nur laut denkt, naja, irgendwie haben wir doch zwei Päpste, der spielt mit dem Feuer. Klar ist aber auch: Benedikt ist einer der größten Theologen unserer Zeit, also wird man seine Argumente ernst nehmen. Nicht, weil sie vom emeritierten Papst stammen, sondern weil sie theologisch fundiert sind.
Frage: Der emeritierte Papst hat kürzlich gesagt, er möchte mit "Vater Benedikt" angesprochen werden. Machen Sie das jetzt auch?
Marx: Nein, ich sage zu ihm wie immer "Heiligkeit" und "Du", und dabei bleibt es auch.
Frage: Papst Franziskus will die Ortskirchen stärken. Sehen Sie schon mehr Kompetenzen auf die Bischofskonferenzen zukommen?
Marx: Es wäre in einer sich globalisierenden und sehr vielfältigen Welt töricht, das Papstamt zu schwächen. Aber eine starke Autorität muss nicht alles selber machen oder bestimmen. Im Gegenteil: Ich halte Zentralismus für ein Zeichen von Schwäche. Bischöfe sind nicht Filialleiter des Konzerns Weltkirche, die Ortskirchen haben ein eigenes Gewicht. Welche Rolle den Bischofskonferenzen zukommen soll, ist theologisch weiter zu diskutieren. Der Papst will offenbar mehr Kollegialität. In der K9-Gruppe prüfen wir gerade, welche Kompetenzen unbedingt in Rom wahrgenommen werden müssen. Aber das hat gerade erst angefangen.
Frage: Beim kirchlichen Arbeitsrecht können die Bischöfe ja selbst entscheiden. Sie haben sich nach der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bis Frühjahr vertagt. Was wollen Sie erreichen?
Marx: Unsere Grundsatzentscheidung steht: Wir wollen eine Öffnung. Die Diskussion wird also nicht von vorn anfangen. Nach dem Karlsruher Urteil haben wir uns aber verständigt, nichts übers Knie zu brechen und die Begründung genauer zu studieren, damit man nicht nachher korrigieren muss. Schon jetzt gibt es keinen Kündigungs-Automatismus bei Mitarbeitern, die nach einer Scheidung erneut zivil heiraten. Für Leitungskräfte gelten höhere Loyalitätsanforderungen als für andere. Das muss noch klarer herausgestellt werden, damit Personalchefs, aber auch Bewerber besser wissen, woran sie sind.
Frage: In Deutschland gehen derzeit Tausende auf die Straße aus Angst vor Islamisierung. Beunruhigt Sie das?
Marx: Einige Gruppen in Deutschland wollen Stimmung machen im Blick auf die schrecklichen Ereignisse im Irak und in Syrien. Die rechte Szene in Deutschland ist nicht kleiner geworden, auf der anderen Seite gibt es tatsächlich islamistische Eroberungsrhetorik, da müssen Sie nur ins Internet schauen. Das befeuert sich gegenseitig.
Umso deutlicher müssen wir machen, dass die oft traumatisierten Flüchtlinge ja gerade deshalb zu uns kommen, weil sie radikalen islamistischen Terroristen ausweichen. Zum Glück wollen ihnen die meisten Bürger helfen. Wer jetzt dagegen aufwiegelt, muss klar und deutlich in die Schranken gewiesen werden.
Frage: 2015 gibt es wichtige Jubiläen: 70 Jahre Kriegsende, 50 Jahre Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils. Was wird Sie beschäftigen?
Marx: Jubiläen und Gedenktage muss man begehen, aber man darf dabei nicht in Selbstbeweihräucherung oder Nostalgie steckenbleiben. Ich bin historisch sehr interessiert. Aber: Es muss über die Zukunft geredet werden, die Vergangenheit ist wichtig, doch wichtiger ist: Wie sollen wir vorankommen?
Das Interview führten Christoph Renzikowski und Gottfried Bohl (KNA)