Bischof Ulrich Neymeyr über Pegida, die SED und sein erstes Weihnachten in Erfurt

"Begegnungen ermöglichen Symphatie"

Veröffentlicht am 23.12.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Bistum Erfurt

Erfurt ‐ Seit dem 22. November steht Bischof Ulrich Neymeyr an der Spitze des Bistums Erfurt . Trotz prallem Kalender sitzt er entspannt vorn im Dienstwagen und spricht zwischen zwei Terminen über die aktuellen "Baustellen" und sein erstes Weihnachten in Thüringen. Nach kurzem Überlegen kommt auf jede Frage eine klare, unumwundene Antwort. Neymeyr scheint seinen roten Faden für das Bistum bereits gefunden zu haben.

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Frage: Herr Bischof, Thüringens neue Landesregierung ist am Start, was sind Ihre konkreten Erwartungen an sie?

Neymeyr: Ich hoffe, dass das Staat-Kirche-Verhältnis weiterhin so gut bleibt wie bisher. Mit Blick auf den Koalitionsvertrag sollten natürlich die angekündigten Dinge auch umgesetzt werden, etwa die Verbesserung der finanziellen Förderung der Freien Schulen.

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Video: © Markus Kremser

Erwartungen der Erfurter an ihren neuen Bischof Ulrich Neymeyr am Tag seiner Amtseinführung.

Frage: Im Koalitionsvertrag ist die Aufarbeitung der SED-Vergangenheit festgeschrieben - was sollte da geschehen? Die Formulierung, dass die DDR ein Unrechtsstaat gewesen ist, steht ja schon drin.

Neymeyr: Das ist mal das Mindeste. Viele DDR-Bürger haben himmelschreiendes Unrecht erlebt. Massive Einschnitte in ihr privates Leben, in die Freiheit der Berufswahl, die Freiheit der Religionsausübung. Wenn die neue Regierung die Erinnerungskultur stärken will, muss das mehr sein, als dass an die Stätten der Diktatur erinnert wird.

Frage: Was braucht es noch?

Neymeyr: Es müssen auch die Menschen in den Blick kommen, die am DDR-Unrecht herausragend beteiligt waren, die anderen Menschen geschadet haben, etwa als Stasi-Mitarbeiter. So wie ich es erlebe, ist es den Opfern der Diktatur nicht verständlich, wenn solche Leute heute beispielsweise in politischen Ämtern sind. Wie steht eine Partei zu diesen Personen, wenn sie von ihr auf Wahllisten gesetzt werden? Antworten auf solche Fragen gehören auch zu einer gegenwartsrelevanten Gedenkkultur.

Frage: Wie derzeit viele Bundesländer hat auch Thüringen Probleme mit der Unterbringung von Flüchtlingen . Wie kann die Kirche helfen?

Neymeyr: Wir haben vor kurzem geholfen, als dem Land Plätze im Erstaufnahmelager fehlten, und kurzfristig 42 Flüchtlinge in einer unserer Bildungseinrichtungen untergebracht. Im Jahr davor scheiterte die Unterbringung von Flüchtlingen in einem Exerzitienhaus an baulichen und rechtlichen Auflagen. Die Unterbringung von Flüchtlingen ist natürlich Aufgabe des Staates. Aber wenn Not am Mann ist, verweigern wir uns nicht und helfen, so gut wir können.

Nicht weniger wichtig ist es aber auch, mitzuhelfen bei der Bewusstseinsbildung, bei einer Willkommenskultur . Es erstaunt schon, dass Pegida dort den meisten Zulauf hat, wo die wenigsten Ausländer leben, von Muslimen ganz zu schweigen. Wer dagegen mit Flüchtlingen in direkten Kontakt kommt, versteht viel besser ihre Not, auch die Schwierigkeiten im Asylverfahren. Begegnungen mit Fremden entfremden von Vorurteilen und ermöglichen Sympathie. Kirchengemeinden können da schon mit kleinen Aktionen viel bewirken, angefangen von einem Adventskaffee bis hin zu Deutsch- und Nachhilfeunterricht.

Frage: Lässt sich damit Pegida "einfangen"?

Neymeyr: Es reicht natürlich nicht, nur mit einem Gutmenschentum zu sagen: Leute, nehmt alle Flüchtlinge auf! Man muss auch schauen, wo kommen die Leute her, mit welcher Absicht kommen sie hierher. Die allermeisten Flüchtlinge kommen allerdings wirklich aus einer sehr bedrängten Situation. Dazu zähle ich nicht nur die Bürgerkriegsgebiete im Irak oder Syrien, sondern auch afrikanische Länder, in denen die Menschen überhaupt keine Lebensperspektive für sich und ihre Familie sehen. Da geht es buchstäblich um die nackte Existenz.

Frage: Wechseln wir die Baustelle: Die Kirchen beklagen, dass sich der Religionsunterricht in Thüringen immer schwerer organisieren lässt. Ihre Amtsschwester, Landesbischofin Ilse Junkermann, würde deshalb gern "konfessionell-kooperative Modelle" ausweiten.

Neymeyr: Das sollte nur eine Ausnahme bleiben, wenn aufgrund der niedrigen Schülerzahlen sonst überhaupt kein Religionsunterricht stattfinden könnte. Es gibt genügend Unterschiede zwischen den Konfessionen, etwa bei Themen, Riten und Festen, die rechtfertigen, dass der Unterricht nicht ökumenisch stattfindet. Und zwar von der ersten Klasse an.

Frage: Blicken wir ins Bistum - Sie kommen mitten in eine laufende Strukturreform hinein. Was steht aktuell an?

Neymeyr: Die vereinbarten Schritte laufen wie geplant weiter. Bis 2020 verringert das Bistum die Zahl seiner ursprünglich 72 Pfarreien auf 33. Wichtig ist jetzt, die Struktur inhaltlich zu füllen. Wir brauchen Verständnis für die neu entstehenden Pfarreien. Das sind keine Pfarrgemeinden mehr im bisherigen landläufigen Verständnis, sondern das ist dann ein juristisches Dach mit klaren Strukturen. Darunter gibt es aber teils sehr verschiedene, eigenständige Kirchorte, etwa die ehemaligen Gemeinden, dann die Kindergärten und Caritaseinrichtungen. Man muss nicht meinen, dass jetzt alles über einen Leisten geschlagen wird.

Frage: Seit Ihrer Amtseinführung quillt Ihr Terminkalender über. Schaffen Sie's noch, Weihnachtsgeschenke selbst zu kaufen?

Neymeyr: Nein. Viele, denen ich sonst Weihnachtsgeschenke mache, haben mir schon zur Amtseinführung gesagt: Dieses Jahr lassen wir mal die Geschenke ausfallen.

Frage: Und wie wird Ihr Heiligabend aussehen?

Neymeyr: Morgens feiere ich in einer Justizvollzugsanstalt mit Gefangenen und dem Justizminister einen Gottesdienst. Um 14 Uhr kellnere ich in der Suppenküche des Caritasverbands bei der Weihnachtsfeier. Abends feiere ich traditionell erst mit meiner Schwester zusammen. Um 22 Uhr ist dann die Christmette in Sankt Severi und schließlich um 23:30 Uhr das Weihnachtslob im Dom.

Frage: Gibt's bei Neymeyrs ein spezielles Essen an Heiligabend?

Neymeyr: Nein. Ich lasse mich von meiner Schwester überraschen. Aber auf jeden Fall etwas Leichtes. Wenn ich erst einen Gansbraten essen und drei Glas Rotwein trinken würde, dann würde ich womöglich bei der Christmette einschlafen.

Das Interview führte Karin Wollschläger (KNA)