Pfarreireformen bewegen Bistümer – auch beim Katholikentag
Die katholische Kirche in Deutschland steckt in einer Krise – und fragt sich vielerorts, wie sie sich angesichts der Herausforderungen für die Zukunft rüsten kann. Strukturen spielen dabei eine zentrale Rolle. Auch wenn viele Akteure den Blick lieber auf Inhalte richten. So bestand bei den Rednern des Katholikentags-Podiums "Groß oder klein?" zu Kirchenentwicklung und Strukturfragen große Einigkeit: Nah an den Menschen solle Kirche erlebbar sein, Charismen und Berufungen solle sie Raum geben und auch punktuelle Begegnungen ermöglichen. Die Frage, wie das gelingen könnte, führte wieder zu Strukturen.
Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf, auch Leiter der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz, betonte, bei allen Strukturdebatten sei Nähe zu den Menschen, zu kirchlich Engagierten ebenso wie zu solchen aus kirchenferneren Milieus, zentral. Neben festen Strukturen stelle er sich "eine bunte Blumenwiese" an Möglichkeiten vor. Menschen sollten ihren Glauben auch experimentell und projektbezogen leben können.
Ein Kernproblem
Zugleich verwies er auf ein Kernproblem: "Wir diskutieren uns die Köpfe heiß über Strukturen, sind aber zum Teil auch getrieben, Entscheidungen treffen zu müssen." Manche Entscheidungen stellten sich "nicht, weil ich eine große theologische Erkenntnis hatte, sondern weil wir einfach kein Geld mehr haben".
Konkret bedeutet das an vielen Orten, dass Gemeinden zusammengelegt und größere Einheiten geschaffen werden, wie ein Blick in Reformvorhaben verschiedener Bistümer zeigt: Das Erzbistum Freiburg verfolgt ein Konzept mit 36 Großpfarreien anstelle der bisherigen 1.000 Einzelpfarreien – mit teils bis zu 80.000 Katholiken. Im Bistum Mainz sollen die bestehenden 300 Gemeinden bis 2030 in 46 große Pfarreien umgewandelt werden. Aachen plant ebenfalls radikale Änderungen und will sich perspektivisch anstatt in 320 in 8 bis 13 Pfarreien mit zusätzlich 50 kleineren Pastoralen Räumen organisieren.
Das Stichwort Kirchenentwicklung klinge für viele nur nach Strukturdebatte, nach "wie bauen wir es, damit es noch irgendwie geht", sagte die Leiterin der Pastoralentwicklung im Bistum Essen, Andrea Qualbrink. Das Bistum folge einem Konzept, in dem die Großpfarreien in der Regel eine "strukturierende, keine identitätsstiftende Größe" seien, so Qualbrink. Identität stifteten dagegen Gemeinden und andere pastorale Orte wie Schulen oder Familienbildungsstätten. Ziel der Kirchenentwicklung im Bistum sei es, "nach den Bedarfen der Menschen zu fragen und unterschiedliche Angebote und Formen von Vergemeinschaftung auszuprobieren und zu entwickeln", ergänzte Qualbrink.
Am anderen Ende der Skala von "groß oder klein" positioniert sich das Erzbistum München-Freising: An den rund 750 Pfarreien im Bistum solle sich "erst einmal nichts ändern", betonte der Leiter der Strategie- und Organisationsentwicklung, Robert Lappy. "Nur mit dieser Kleinteiligkeit, Beziehung und Identifikation kommen wir weiter", beschreibt er den Münchner Ansatz. Klar sei, dass es für diese Zahl an Pfarreien perspektivisch keine Pfarrer geben werde. Davon wolle man sich aber bei der Frage nach Gestaltung von Kirche nicht "abhängig machen". Daher experimentiere das Bistum unter anderem mit Leitungsformen, etwa kollegialen Leitungsteams.
Der Fall Trier
Wie schwierig bei allen inhaltlichen Zielen eine Strukturfindung in der Praxis werden kann, zeigte sich etwa im Bistum Trier: Dort scheiterte eine umfassend geplante Reform mit Großpfarreien nach Widerstand von Laien und Priestern – wohl auch, weil mancher Katholik sich nicht vorstellen konnte, wie Kirche und Gemeinschaft in diesen Strukturen möglich sein könnten. Anstatt in 35 Großpfarreien werden die rund 900 Pfarreien nun in etwa 170 Pfarreien und 35 Pastoralräumen organisiert. Letztlich sprach in Trier der Vatikan ein Machtwort – und gab in diesem Zuge 2020 eine allgemeine Instruktion heraus, die Bistümern bei Gemeindereformen klare Grenzen setzt.
Was zusätzliche Herausforderungen birgt: "Nur eine Minderheit des Gottesvolkes" interessiere sich für Fragen nach geeigneten Strukturen – und an der Gestaltung beteilige sich in der Regel nur die "katholische Elite", kritisierte der Bochumer Theologe Björn Szymanowski. Viel Applaus erhielt dessen Kollege Matthias Sellmann, der sich aus dem Katholikentags-Plenum mit einem Kurzstatement äußerte: "Kirchenentwicklung ist das Gleiche wie Kirche, denn eine Kirche, die sich nicht entwickelt, ist keine."