Über das Tabu reden: Ungewollt kinderlos
"Haben Sie Kinder?" "Nein!" Damit ist das Gespräch meist beendet. Lisa Frings (56) kennt das. Sie ist Kinderwunschberaterin im Bistum Münster und ungewollt kinderlos. Sie weiß, wie sehr es schmerzen kann, wenn sie nach den eigenen Kindern gefragt wird, die sie nicht hat. Heute hat sie ihre Kinderlosigkeit akzeptiert und hilft anderen Betroffenen, damit umzugehen und vor allem, darüber zu reden. Denn nach wie vor sei es ein Tabuthema, meint sie.
Allein in Deutschland bleibt jedes siebte Paar mit Kinderwunsch ohne eigene Kinder. Die meisten davon seien zumindest zeitweise ungewollt kinderlos.
"Ich verspürte mit Anfang 30 einen starken Wunsch nach einem eigenen Kind", erzählt Frings. Weil ihr Partner aber keine Kinder wollte, trennte sie sich. Mit 38 Jahren fand sie ihren heutigen Lebenspartner, der ihre Sehnsucht teilt. Bald wurde Frings schwanger. Doch die Schwangerschaft endete in der 12. Woche. "Das war ein unendlicher Schmerz für uns", erzählt sie. Sie habe alles versucht, nur die Mittel der Reproduktionsmedizin wollten sie beide nicht in Anspruch nehmen. "Danach wurde ich nie mehr schwanger."
Ihre Trauer darüber konnte sie außer mit dem Partner, mit niemandem teilen. Stattdessen gab es viele gutgemeinte Ratschläge aus ihrem Umfeld. "Wie hilflos ich mich fühlte", erzählt sie. Manche meinten, dass sie ihren Kinderwunsch nur zu wenig ernsthaft angegangen wäre. Es wurde unterstellt, dass ihr Karriere wichtiger sei als Kinder. Andere sagten ihr, sie habe einfach zu viel Stress. Auch im kirchlichen Umfeld fühlte sie sich nicht gesehen. In der Kirchengemeinde wurde viel für Familien getan, nur für Paare ohne Kinder gab und gibt es kaum Angebote, meint Frings. Ganz schlimm fand sie das Weihnachtsfest. "Wir feiern die Geburt eines Kindes, nur ich selbst hatte keines", erzählt sie nachdenklich. Selbst der Pfarrer predigte im Gottesdienst immer wieder davon, dass Paare sich doch zu Kindern entscheiden sollen. So eine Aussage verletze sie. "Ich habe mich nicht freiwillig dazu entschieden, kinderlos zu bleiben, dies wurde aber immer wieder unterstellt." Die Aussage von Papst Franziskus, dass Paare sich lieber Haustiere anschaffen würden als eigene Kinder, empöre sie. "Ich wäre von Herzen gerne Mutter geworden", so Frings.
Was Lisa Fings damals fehlte, war eine professionelle Beratung und Begleitung. Auch von Seiten der Kirche gab es nichts. Also hat sie selbst eine Ausbildung zur systemischen Therapeutin und Ehe-, Familien- und Lebensberaterin sowie zur Kinderwunschberaterin gemacht und in diesem Kontext die eigene Kinderwunschgeschichte reflektiert und verarbeitet.
Endlich angstfrei darüber sprechen
"Ich weiß, wie wichtig es ist, in so einer Phase jemanden zu haben, der einen ernst nimmt, der zuhört und keine gut gemeinten Ratschläge gibt." Viele Paare erleben ihre Kinderlosigkeit als Lebens- und Sinnkrise. Sie wissen oft nicht weiter, wenn ihr Plan von Familie nicht aufgeht. "Diese Menschen leiden unter ihrem unerfüllten Kinderwunsch und erleben es als befreiend, endlich angstfrei darüber sprechen zu können", unterstreicht Frings. Den meisten tue es gut, wenn sie feststellen, sie sind nicht allein damit.
Zur Freude von Frings wurde das Thema in der Ehe-Familien- und Lebensberatung ernst genommen. Es gab bereits eine Kollegin, die sich seit langem mit dem Thema befasste und den Weg bereitet hatte. Heute gehören zum Team fünf qualifizierte Kinderwunschberaterinnen. Eine davon ist Sandra Middendorf (50). Weil das Thema für viele so schmerzhaft ist, trauen sich die meisten Betroffenen oft nur in die Einzelberatung, erklärt sie. Gruppenangebote werden bislang kaum wahrgenommen. "Wir halten Vorträge, da melden sich Paare an, aber sie lassen die Kamera aus oder geben den Namen nicht an." Daran sehe sie, wie groß die Scham noch immer sei, sich mit der bislang ungewollten Kinderlosigkeit zu zeigen. "Wir haben jedoch Anfragen über die Bistumsgrenzen hinaus", ergänzt Middendorf. Und wir bieten auch Online-Beratungen an.
Viele Paare suchen wegen ihrer ungewollten Kinderlosigkeit einen Arzt oder ein Kinderwunschzentrum auf und finden dort medizinische Hilfe. Doch einige erleben im Lauf der Behandlungen eine Enttäuschung nach der anderen. Es brauche viel Zeit und Geduld auf so einem Weg, weiß Middendorf. Denn es ist ein enormer Leidensdruck. "Bei uns in der Begleitung können die Betroffenen über all das reden, was sie emotional belastet und frustriert, wir nehmen uns Zeit dafür."
Als Berater machen wir den Paaren klar, dass es wichtig ist, dass sie selbst für sich Grenzen finden müssen. Letztlich muss jedes Paar selbst entscheiden, wie weit es bei den medizinischen Eingriffen gehen will. Viele Paare versuchten oft jahrelang, Eltern zu werden. Das erschöpfe, meint Middendorf. Oft höre sie in der Beratung auch, dass die Paarbeziehung darunter irgendwann deutlich leide. Dann gilt es sich als Paar wieder ganz bewusst in den Blick zu nehmen und auch die Idee von einem Plan B zuzulassen. Das ist oft nicht leicht, denn dazu kommen noch Seitenhiebe und Bemerkungen aus dem engsten Umfeld.
"Wenn du Deine Probleme mit deiner Mutter löst, dann klappt es schon mit dem Kinderwunsch", erzählen Frauen oder Männer kennen den Satz: "Wenn du nicht weißt wie es geht, ich helfe gerne mal aus." (Ungewollte) Kinderlosigkeit, sollte nicht als egoistisch oder pathologisch angesehen werden, sagt Middendorf. Es sei sehr verletzend für Männer und Frauen, wenn ihnen das vermeintlich Natürlichste der Welt verwehrt ist. Middendorf höre es oft, wie sehr Paare darunter leiden, weil das Umfeld auf ihren Kinderwunsch unsensibel reagiert: "Dann nehmt euer Schicksal doch an, es ist wohl so für euch bestimmt". Solche Kommentare verunsichern und helfen nicht weiter, erklärt Middendorf. Es sei erstaunlich wie selbstverständlich seit jeher angenommen werde, dass eine Frau gebärfähig und ein Mann zeugungsfähig zu sein haben. Das belaste Frauen und auch Männer enorm.
„Hallo, ich bin Lisa, ich habe keine Kinder. Ich bin ungewollt kinderlos.“
Sie sei daher sehr sensibel geworden und frage sehr vorsichtig nach, wenn ein Paar keine Kinder habe. Sie weiß, wie sehr diese Frage weh tun können. Und nicht jeder könne offen damit umgehen. Männer gingen oft anders mit ihrer Trauer um als Frauen. Manche Frauen fühlen sich unverstanden und denken, dem Partner sei der Kinderwunsch vielleicht doch nicht so wichtig, dabei wollen die Männer oft für Ihre Frauen stark sein, die bei Kinderwunschbehandlungen sehr viel über sich ergehen lassen müssen.
"Genau solche Muster wollen wir daher in unserer Beratung sichtbar machen und neue Umgangsformen miteinander zu erarbeiten", sagt Middendorf. "Wenn wir es schaffen, dass die beiden Partner wieder miteinander reden, ohne sich mit Ihren Ängsten und Sorgen voreinander zurückzuziehen, dann ist schon viel erreicht". Für manche seien die Beratungen daher auch so etwas wie eine "Fokuserweiterung", das tue gut. Letztlich sollen Paare eingeladen werden, wieder ihre Beziehung in den Blick zu nehmen und wiederzuentdecken, was sie als Paar besonders macht.
In der Beratung erarbeiten sie auch, wie Betroffene angemessen auf verletzende Kommentare reagieren können. Manchmal helfe dabei auch eine gute Portion Humor. Auch wenn Lisa Frings weiß, wie schwer das ist. "Heute kann ich das leichter hören, weil ich meine Kinderlosigkeit verarbeitet habe. Aber wenn es mir zu viel wird, setze ich auch deutlich eine Grenze", erklärt sie.
Sie habe es sich angewöhnt, bei Begrüßungsrunden ihre Kinderlosigkeit direkt anzusprechen. Sie sage dann meist: "Hallo, ich bin Lisa, ich habe keine Kinder. Ich bin ungewollt kinderlos." Damit sei das das Thema abgehakt und es gebe keine quälenden Nachfragen mehr, vielmehr fühlten sich manche angesprochen und teilen dann ihre eigene besondere Kinderwunschgeschichte.
Was ihr persönlich geholfen hat, sich von ihrem Kinderwunsch zu verabschieden? "Für mich war es entlastend, als mein Partner und ich uns bewusst dazu entschieden haben: Jetzt ist Schluss." Es war klar, ein leibliches Kind werde sie nicht bekommen und eine Adoption kam für beide nicht in Frage. Ich habe meinen Kinderwunsch ganz bewusst betrauert und beweint. "Wir können auch glücklich sein ohne Kind und akzeptieren es jetzt so, wie es ist", erzählt Frings. Es war ein Abschied in Etappen.
Heute tue es ihr manchmal zwar noch weh, wenn Freundinnen Bilder von ihren ersten Enkeln zeigen. "Denn die habe ich ja auch nicht." Aber sie freue sich mit, so gut es gehe. Sie habe ein Patenkind und das genieße sie auch.
Ob sie jemals auch mit Gott gehadert hat? "Es gab Zeiten, da war ich verzweifelt, dass ich nicht Mutter werden konnte. Ich dachte manchmal ob Gott mich bestraft, aber meistens habe ich in meinem Glauben eher halt und Kraft gefunden. Als gläubige Christin könne sie ihre Sorgen bei Gott abladen. Das habe ihr Kraft gegeben. Irgendwann kam der Moment, ab dem sie sagen konnte: "Es ist okay und jetzt mache ich was draus!" Ihren Mut, darüber offen zu reden, wollte sie anderen weitergeben. "Jetzt ist die Kinderwunschberatung mein Baby", erklärt Frings stolz, das sei ihr Beitrag für das Leben. Daran merke sie, dass sie nicht umsonst gelitten habe. Heute könne sie mit Paaren intensiv mitfühlen und sich auch mit ihnen freuen, wenn sie ein Kind erwarten. Das empfindet sie als Segen.
„Und zur Aussage des Papstes über Hunde und Katzen, bemerkt Lisa Frings abschließend: Wenn es mit dem Kinderkriegen nicht klappt, dann kommt vielleicht der Hund oder die Katze. Ja, das ist auch schön. Aber es ist kein Ersatz für ein Kind, glauben Sie es mir.“
"Wir können nicht davon ausgehen, dass alle Paare, die wir beraten, eines Tages mit Kind nach Hause gehen", ergänzt Middendorf. Aber sie stark zu machen für ihren Weg, egal was er mit sich bringt, das versuchen wir.
Schließlich gehe es darum, den Betroffenen ihre Stärken und eventuell auch Lebensalternativen aufzuzeigen. Sie fände es schade, wenn sich kinderlose Paare von der Kirche abwenden, weil sie sich ausgeschlossen fühlen. Es sei daher ihr tiefster Wunsch, dass Kirche vermitteln könne: "Wir sind bei euch in schweren und in schönen Momenten". Kirche sollte deutlich machen, dass diese Paare richtig sind, wie sie sind, mit oder ohne Kinder. "Ihr gehört dazu." Gerade für Paare, die unfreiwillig kinderlos sind, sollte man auch im Gottesdienst beten. "Gottes Liebe ist für alle da." Das könne die Betroffenen in ihrem Schmerz trösten.
Und zur Aussage des Papstes über Hunde und Katzen, bemerkt Lisa Frings abschließend: "Wenn es mit dem Kinderkriegen nicht klappt, dann kommt vielleicht der Hund oder die Katze. Ja, das ist auch schön. Aber es ist kein Ersatz für ein Kind, glauben Sie es mir."