Erzbischof Burger warnt vor Tunnelblick bei deutscher Reformdebatte
Die Situation der Kirchen im Heiligen Land und in Deutschland unterscheiden sich erheblich. Dies vor Ort zu erleben, weitet den Blick und hilft, "nicht nur die eigenen Themen und die eigene Blase zu sehen", sagt der Freiburger Erzbischof Stephan Burger im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Jerusalem. Burger bereist bis Sonntag das Heilige Land, wo er unter anderem als Protektor der Kinderhilfe Bethlehem das dortige Caritas-Baby-Hospital besuchen wird.
Frage: Herr Erzbischof Burger, was führt Sie ins Heilige Land?
Burger: Meine Reise führt mich ins Caritas-Baby-Hospital in Bethlehem. Als Erzbischof von Freiburg bin ich gemeinsam mit meinem Schweizer Amtsbruder Felix Gmür Protektor des Trägers, der Kinderhilfe Bethlehem, und eng mit dem Krankenhaus verbunden. Die Reise hätte vor zwei Jahren stattfinden sollen, als die Schwesterngemeinschaft am Krankenhaus gewechselt hat. Das Coronavirus hat das verhindert. Bei meinem Besuch wird es darum gehen, wie das Krankenhaus durch die Pandemie gekommen ist, welche Nachwirkungen sie zeigt, wie das Krankenhaus in dieser Situation beansprucht wurde. Und es soll um die grundsätzliche Lage des Krankenhauses gehen.
Dann werden wir die heiligen Stätten besuchen, das gehört für mich automatisch bei einem Besuch im Heiligen Land dazu. Es gibt mir die Möglichkeit, an diesen besonderen Orten zu feiern und spirituell aufzutanken.
Frage: Sie haben auch den Lateinischen Patriarchen von Jerusalem getroffen, Erzbischof Pierbattista Pizzaballa. Worum ging es dabei?
Burger: Es ging um die Situation der Kirche hier vor Ort, natürlich auch mit Blick auf die Folgen von Corona. Wir wissen, welche Bedeutung das Pilgerwesen für das Heilige Land hat, das durch die Pandemie zum Erliegen kam. Was bedeutet dieser Einbruch für die Christen und für die Ordensgemeinschaften hier? Welche Perspektiven gibt es, bis man wieder zurück zu einer gewissen Normalität kommt, was vermutlich einige Jahre dauern wird? Das sind existenzielle Fragen.
Frage: Welchen Eindruck nehmen Sie von der momentanen Lage in Jerusalem mit?
Burger: Jerusalem ist seit jeher eine Stadt mit einer religiösen Eigendynamik, aufgrund der vielen Religionen und Konfessionen, die hier zusammentreffen. Demgegenüber stellt sich die Frage, wie man als Kirche zusammenarbeiten kann. Die Vernetzung ist wichtig.
Frage: Zuletzt haben die Kirchenführer vor einer Christenvertreibung aus Jerusalem gewarnt. War das auch Thema ihres Treffens?
Burger: Das Thema der Abwanderung von Christen besteht ja schon länger, war aber diesmal nicht speziell Thema. Es ging eher um die Frage, wie man nach der Pandemie wieder Fuß fassen und wieder lebensfähig werden und bleiben kann.
Frage: Ist der Patriarch mit Vorschlägen an Sie herangetreten, wie die Ortskirche unterstützt werden könnte?
Burger: Nein, das wäre wohl auch nicht möglich, weil wir einen Blick von außen haben und keine Rezepte aussprechen können, was die Kirche vor Ort tun soll. Wir können keine Empfehlungen geben, weil unsere Realitäten zu unterschiedlich sind. Es ist eher eine Grundsatzfrage der Achtung und der Toleranz, ohne dabei das Gesamte aus dem Blick zu verlieren.
Frage: Stichwort unterschiedliche Realitäten: Die katholische Kirche in Deutschland sorgte zuletzt durch Segnung von Homosexuellen, den Synodalen Weg sowie Missbrauchsfälle für Schlagzeilen. Wie wird das hier im Heiligen Land wahrgenommen?
Burger: Von hier wird wahrgenommen, dass Deutschland einen eigenen Weg geht, und das wird durchaus kritisch gesehen. Es ist aber die Frage, wie detailliert man sich hier damit auseinandersetzt. Insgesamt ist dies ein Spagat der Weltkirche generell: Einige kämpfen um ihre Existenz und wir verharren bei unseren Themen, wobei dies auch nicht für die gesamte Kirche in Deutschland gleichermaßen gilt. Auch innerdeutsch gibt es eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Streitthemen.
Frage: Nehmen Sie diese unterschiedlichen kirchlichen Realitäten im Heiligen Land und in Deutschland als sich gegenseitig befruchtend wahr?
Burger: Es ist wie bei jeder Auslandsreise: Sie weitet den Blick und ruft dazu auf, nicht nur die eigenen Themen und die eigene Blase zu sehen. Wir sind als lateinische Kirche eine Weltkirche mit unterschiedlichen Herangehensweisen und Perspektiven. Es ist wichtig, sich in dem Ganzen nicht auszugrenzen, sondern ein Miteinander zu finden. Wir in Deutschland müssen aufpassen, dass wir bei allem das Grundanliegen der Verkündigung und der Seelsorge nicht verlieren, das ist sicherlich ein Fokus, den ich mit Patriarch Pizzaballa teile.