Bischof Genn räumt persönliche Fehler im Umgang mit Missbrauch ein
Der Münsteraner Bischof Felix Genn hat persönliche Fehler im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs eingestanden. Am Freitag räumte Genn im Rahmen einer Pressekonferenz anlässlich der am Montag vorgestellten Studie zu Missbrauch im Bistum Münster sowohl in seiner Zeit als Bischof von Essen wie als Bischof von Münster ein, Fälle nicht kritisch genug geprüft und nicht hart genug durchgegriffen zu haben. Einen Rücktritt lehnte Genn aber ab, obwohl er nach eigener Aussage in einigen Situationen anders hätte handeln müssen. "Soweit ich selbst das überhaupt für mich beurteilen kann, glaube ich nicht, dass ich sexuellen Missbrauch vertuscht habe und die Interessen der Institution über die Sorge um die Betroffenen gestellt habe", so Genn. Er wolle daher die ihm verbleibende Amtszeit als Bischof von Münster "mit höchstem Engagement nutzen, weiterhin und verstärkt auf das zu hören, was Betroffene und unabhängige Gremien mir für den Umgang mit sexuellem Missbrauch im Bistum Münster empfehlen und versuchen, das umzusetzen".
Genn bekräftigte, zum Synodalen Weg zu stehen und sich mit ganzer Kraft dafür einzusetzen, trotz kritischer Bemerkungen des Papstes. "Insgesamt bin ich zuversichtlich, dass dieser Synodale Weg Früchte bringen wird, aber es ist auch noch ein gutes Stück Arbeit", so Genn. Die Kirche müsse Synodalität lernen.
Das Bischofsstatement im Wortlaut
Das vollständige Manuskript zum Statement von Bischof Felix Genn wurde auf der Webseite der Diözese veröffentlicht. Darin stellt Genn auch die Schritte vor, die das Bistum vor Veröffentlichung der Studie bereits ergriffen hat.
Mit Blick auf durch die Studie belastete Verantwortungsträger teilte Genn erste Entscheidungen mit. Der emeritierte Domkapitular Theodor Buckstegen, der von 1986 bis 2009 die Hauptabteilung Seelsorge-Personal im Bischöflichen Generalvikariat geleitet hatte, wird auf eigenen Wunsch als Domkapitular entpflichtet. Buckstegen wird in der Studie massives Fehlverhalten nachgewiesen. Der emeritierte Erzbischof von Hamburg, Werner Thissen, bekenne sich laut Genn zu seinem deutlichen Fehlverhalten in seiner Zeit als Münsteraner Weihbischof und Generalvikar. Ob er weiterhin Ehrendomkapitular bleiben werde, sei noch offen, so Genn. Die Bischofsgruft, in der die Bischöfe Reinhard Lettmann, Heinrich Tenhumberg und Michael Keller begraben liegen und die bereits am Montag verschlossen wurde, bleibt vorerst geschlossen, bis mit Betroffenen beraten wurde, wie die von der Studie nachgewiesene Schuld dargestellt werden kann. " Ich werde die Toten ruhen lassen, die Wahrheit aber muss ans Licht", so Genn.
Bindung an Entscheidungen von Gremien und kirchlichem Verwaltungsgericht
Der Bischof zeigte sich dankbar gegenüber den Forschern der Universität Münster, die die unabhängige Studie erarbeitet haben. Die Studie werfe "ein erschreckendes Licht auf die institutionellen und systemischen Faktoren sexuellen Missbrauchs, auf die verheerenden Auswirkungen einer rigiden Sexualmoral, eines völlig überhöhten Priesterbildes, eines geschlossenen Systems, das wesentlich von Männern geprägt und bestimmt war, einer gänzlich falsch verstandenen Mitbrüderlichkeit und einer bewusst geschaffenen Intransparenz im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs", so der Bischof. Bei der Pressekonferenz kündigte er daher konkrete Konsequenzen für die Missbrauchsaufarbeitung und -prävention an.
Missbrauch sei immer auch Missbrauch von Macht, so Genn. Daher werde er eine vorübergehende kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit in Kraft setzen, mit der kirchliche Verwaltungsakte überprüft werden sollen. Eine von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) beschlossene Ordnung für eine bundesweite kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit liegt seit Jahren in Rom zur Prüfung. Alle Gremienstrukturen des Bistums sollen neu geordnet werden. Genn sei bereit, sich im Rahmen einer Selbstverpflichtung an die Entscheidungen der Gremien zu binden und das verbindlich festzuschreiben. Um die von der Studie festgestellten "männerbündischen Strukturen" aufzubrechen, soll die Personalkonferenz des Bistums verändert werden, in der bislang vor allem Männer und überwiegend Priester vertreten sind. Ab dem 1. Januar 2023 soll es eine Person geben, die die Auflagen überprüft, die Beschuldigten und Tätern auferlegt wurden. Der unabhängige Beraterstab soll Maßnahmen erarbeiten, wie bei sexuellem Missbrauch an Erwachsenen in Abhängigkeitsverhältnissen vorgegangen werde. Auch hier kündigte Genn an, sich an diese Empfehlungen zu binden.
Die künftige Aufarbeitung soll mit einer Aufarbeitungskommission geleistet werden. Dazu gehören der Leiter der Studie, der Historiker Thomas Großbölting, die Religionswissenschaftlerin Regina Laudage-Kleeberg, der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sowie die Betroffenenvertreter Bernhard Theilmann und Sara Wiese. Als weitere Mitglieder hat die nordhrein-westfälische Landesregierung den Professor für Pädagogik Christian Schrapper und die Landesrätin Dezernat Jugend und Schule im Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Birgit Westers, berufen.
Staat stärker an Aufarbeitung beteiligen
Genn sprach sich dafür aus, künftig den Staat stärker an der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs zu beteiligen. Dafür werde er sich bei der Neukonzeptionierung der Aufarbeitungsarbeit auf Ebene der DBK einsetzen. In Münster solle der Blick geweitet werden auf Missbrauch in Ordensgemeinschaften, Internaten und anderen kirchlichen Einrichtungen, auch über den Kreis der Kleriker hinaus. Angebote für eine traumasensible Begleitung von Betroffenen und eine vom Bistum unabhängige Beratungsstelle für Betroffene werden geprüft. Am Freitag schaltete die Diözese ein Online-Portal frei, über das anonym Meldungen zu Missbrauch gemacht werden können.
Mit Blick auf mögliche Versäumnisse bei kirchenrechtlichen Meldepflichten nach Rom werde jeder Fall noch einmal überprüft. Außerdem habe Genn bereits am Montag die Studie dem zuständigen Münsteraner Oberstaatsanwalt übergeben mit der Bitte, sie im Blick auf mögliche strafrechtlich relevante Vorgänge zu prüfen und zu bewerten.
Die am Montag vorgestellte Studie eines Forschungsteams aus Historikern der Universität Münster belastet alle Diözesanbischöfe seit 1945. Erst in der Amtszeit von Bischof Genn (ab 2009) sei es zu einem Umdenken gekommen. Die Untersuchung ist eine Hellfeldstudie und basiert auf Aktenbeständen des Bischöflichen Archivs und der bischöflichen Verwaltung sowie Interviews mit über 60 Betroffenen. Im Vergleich zur deutschlandweiten MHG-Missbrauchsstudie, die im Auftrag der DBK angefertigt wurde, sind die in den für die Münsteraner Studie zur Verfügung stehenden Quellen nachweisbaren Fälle um ein Drittel gestiegen. Insgesamt wurden 196 Geistliche beschuldigt, davon 183 Priester, ein Diakon und zwölf Ordensbrüder. Daraus ergibt sich über den Untersuchungszeitraum ein Anteil von 4,17 Prozent aller Priester im Bistum Münster, die beschuldigt wurden. Bei 40 Prozent der Beschuldigten gibt es Hinweise auf Missbrauch von mehr als einer Person, 90 Prozent der Fälle hatten keine strafrechtlichen Konsequenzen. Die Studie konnte 610 Betroffene ermitteln. Die Forscher vermuten aber ein Dunkelfeld, das acht- bis zehnmal höher liegt. (fxn)
Anonymes Missbrauchsmeldeportal des Bistums Münster
Das Bistum Münster ermöglicht über das Portal "Anonym Missbrauch melden", mögliche Missbrauchsfälle schnell und ohne Angabe von persönlichen Daten zu melden. Alle Meldungen werden streng vertraulich behandelt und der Staatsanwaltschaft Münster übergeben.