Warum Kartäuserinnen die Stola tragen
Es ist eine außergewöhnliche Tradition, die es Frauen, die dem Orden der Kartäuserinnen angehören, erlaubt, eine Stola im Gottesdienst zu tragen. Diese Tradition geht schon auf das Mittelalter zurück und hat bis heute überlebt. Warum das so ist, erklärt der Ordensexperte und Beneditkinerpater Daniel Tibi im Interview mit katholisch.de. Tibi kann diese Tradition mit einigen Quellen belegen und erklärt, was dieses Eigenrecht der Kartäuserinnen mit der Diakonin von morgen zu tun haben könnte.
Frage: Herr Tibi, was ist der älteste Beleg dafür, dass Kartäuserinnen eine Stola tragen dürfen?
Tibi: Schon im 13. Jahrhundert trug die Heilige Rosaline von Villeneuve über ihrem Kartäuserinnenhabit eine Stola, wie noch heute an ihrem aufgebahrten Leichnam zu sehen ist. Die älteste Handschrift, die diese Tradition beschreibt, stammt aus dem ehemaligen Kölner Kartäuserkloster, von wo aus sich die Eigentradition weiterverbreitet hat. 1680 war dieser Sonderritus der Kartäuserinnen in der südfranzösischen Kartause Prémol angekommen. Doch der Bischof von Grenoble weigerte sich, den Nonnen eine Stola zu übergeben. Er kannte den Ritus einfach nicht. Daraufhin beauftragte der Kartäuserorden den Kardinal von Norfolk, diese Eigenheit der Nonnen bei der Ritenkongregation des Heiligen Stuhls bestätigen zu lassen. Das gelang. Seit 1698 ist es im gesamten weiblichen Orden der Kartäuserinnen üblich, offiziell eine Stola zu tragen. Der damalige Generalprior des Kartäuserordens, Innocent Le Masson, beschrieb den Eigenritus der Kartäuser erstmals genau.
Frage: Ist diese Praxis auch bei anderen weiblichen Ordensgemeinschaften zu finden?
Tibi: Nein, bislang lässt sich das nur bei den Kartäuserinnen nachweisen. Es kann natürlich möglich sein, dass es früher auch in anderen kontemplativen Frauenorden üblich war, Nonnen eine Stola anzulegen. Bei den Kartäuserinnen hat dieser Ritus überlebt, weil sie auf dem Konzil von Trient nicht den römischen Ritus übernommen haben, sondern ihre außergewöhnliche Tradition beibehielten, bis heute.
Frage: Wann und warum wird den Kartäuserinnen eine Stola überreicht?
Tibi: Beim Eintritt in den Kartäuserinnenorden empfangen die Nonnen nach der feierlichen Profess auch die Jungfrauenweihe. Das ist in den kontemplativen Frauenorden so üblich. Also bei den Trappistinnen, den Zisterzienserinnen, Karmelitinnen und auch bei den Benediktinerinnen. Übrigens: Seit 1970 kann jede Frau, die zölibatär leben will, diese Jungfrauenweihe durch den Bischof empfangen. Früher war es nur Ordensfrauen vorbehalten, ein gottgeweihtes Leben zu führen.
Frage: Entspricht die Jungfrauenweihe dem Zölibat eines Priesters?
Tibi: Ja, der Stand einer geweihten Jungfrau ist dem Stand eines geweihten Priesters nachempfunden. Denn so wie der Priester verspricht auch die Jungfrau in die Hand des Bischofs ihr Leben ehelos und keusch zu leben. Allerdings sind der geweihten Jungfrau damit keinerlei liturgische Funktionen auferlegt.
Frage: Bei den Kartäuserinnen ist mit der Jungfrauenweihe aber mehr verbunden?
Tibi: Genau. Vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil war es üblich, dass der Bischof der Kartäuserin bei der Jungfrauenweihe Schleier, Ring und Krone überreichte. Diese Gegenstände stehen für die Vermählung der Nonne mit Christus, ihrem Bräutigam. Soweit noch nichts Außergewöhnliches. Das Besondere am Kartäuserritus ist der darauffolgende Einschub. Das ist nämlich der alte Ordensritus, der in die römische Liturgie einfach eingebunden wurde und in dem Rituale von 1699 beschrieben ist. Hier steht, dass die Nonne erneut vor den Bischof tritt und vor ihm niederkniet. Der Bischof legt ihr nun einen Manipel an. Dieses kleine Band wurde von den Nonnen am rechten Unterarm getragen, nicht wie bei Klerikern am linken. Die Übergabe des Manipels ging mit der Vollmacht einher, die Epistel zu verlesen. Danach wurde der Nonne noch ein Kreuz auf die rechte Schulter gelegt. Das bedeutet, dass die Nonne nun das Kreuz Christi auf sich nehmen solle. Danach empfing sie die Stola. Das ist alles vorkonziliare Symbolik. Heute werden Manipel und Kreuz nicht mehr überreicht. Stattdessen bekommen die Nonnen im Rahmen der Jungfrauenweihe Schleier, Ring und Stola überreicht.
Frage: Legt der Bischof der Kartäuserin die Stola um?
Tibi: Ja, der Bischof legte der Nonne die Stola um den Hals und zwar gerade herunterhängend, nicht schräg über die Schulter wie bei Diakonen oder vor der Brust gekreuzt wie bei Priestern damals üblich. Die Stola steht für das Joch Christi, das die Nonne damit auf sich nehmen soll. Das bedeutet sich der Autorität Christi zu unterwerfen. Im alten Rituale sagte der Bischof dabei Folgendes: "Nimm auf das Joch des Herrn und lerne von ihm, denn er ist gütig von Herzen." Heute wird das so nicht mehr gesagt.
Frage: Wie ist der Ritus heute?
Tibi: Nach dem Zweiten Vatikanum wurde der ordenseigene Ritus der Jungfrauenweihe komplett überarbeitet. Nach dem erneuerten Ritus spricht der Bischof bei der Übergabe der Stola folgende Worte: "Empfange die Stola, um am Gottesdienst mitzuwirken, und bringe dich Gott als geistiges Opfer dar in Gemeinschaft mit Christus, dem Hohenpriester." Die Stola wird der Kartäuserin weiterhin gerade herabhängend umgelegt, wie bei einem Priester. Die Deuteworte finde ich beachtenswert: "Und wirke mit am Gottesdienst". Damit sind eindeutig liturgische Aufgaben verbunden.
Frage: Welche liturgischen Aufgaben sind dies konkret?
Tibi: Mit der Übergabe der Stola erhielt die Nonne die Aufgabe und das Recht, das Evangelium vorzutragen. Aber nur außerhalb der Messfeier. Die Kartäuserin verliest das Evangelium während der nächtlichen Gebetszeit um Mitternacht, also bei der Matutin. Meist ist es die Oberin oder Priorin, die diese Aufgabe sonntags und an Hochfesten übernimmt. Dabei trägt sie die Stola. Wenn allerdings ein Priester anwesend ist, ist es ihm vorbehalten, in diesem mitternächtlichen Gottesdienst das Evangelium zu lesen. Ansonsten trägt die Priorin nach dem ordenseigenen Ritual auch die Stola, wenn sie das Evangelium von der Fußwaschung am Gründonnerstag vorträgt und wenn sie eine Novizin nach der Einkleidung in ihre Zelle geleitet sowie bei einigen anderen monastischen Zeremonien.
„Die Stola wird der Kartäuserin weiterhin gerade herabhängend umgelegt, wie bei einem Priester. Die Worte des Bischofs bei der Übergabe finde ich beachtenswert: "Und wirke mit am Gottesdienst". Damit sind eindeutig liturgische Aufgaben verbunden.“
Frage: Ist es ungewöhnlich, dass Frauen offiziell das Evangelium verlesen dürfen?
Tibi: Nein, denn auch Äbtissinnen oder Priorinnen in anderen kontemplativen Orden tragen das Evangelium vor. Aber niemals in der Messe und sie tragen dabei keine Stola. Das ist nur das Eigenrecht der Kartäuserinnen. Auch wenn die Kartäuserin das Evangelium vorliest, passiert das immer nur außerhalb der liturgischen Messfeier. Das heutige Rituale sieht es nur im Stundengebet vor. In der Gebetsnacht ist das auch nichts Ungewöhnliches. Wobei es natürlich trotzdem etwas Besonderes ist, weil Kartäuserinnen dabei eine Stola tragen.
Frage: Gibt es noch weitere Aufgaben, die mit der Stola verbunden sind?
Tibi: In der Messe nach ihrer Jungfrauenweihe übernimmt die Kartäuserin zusammen mit dem Bischof noch eine weitere Aufgabe: Sie teilt die Kelchkommunion aus. Das ist eine Aufgabe, die normalerweise einem Diakon zukommt. Heutzutage ist dies aber auch nichts Ungewöhnliches mehr, weil es inzwischen jedem Kommunionhelfer und jeder Kommunionhelferin gestattet ist, Hostien und Kelchkommunion in der Messe auszuteilen.
Frage: Nur die Kartäuserin trägt dabei eine Stola …
Tibi: Ja, aber mit der Stola sind leider keine weiteren liturgischen Funktionen verbunden. Die Kartäuserin kann damit zum Beispiel kein Sakrament spenden wie etwa ein Diakon. Das zentrale Zeichen der Weihe, die Handauflegung, fehlt bei der Jungfrauenweihe. Die Übergabe der Stola war nie eine Weihe, auch in vorkonziliarer Zeit nicht. Erst mit der Handauflegung wäre eine sakramentale Weihe gültig. Und das ist hier eindeutig nicht der Fall. Im Weiheformular für eine sakramentale Weihe wird bei dem Kartäuserinnenritus nicht verwendet, sondern ein eigenes liturgisches Formular der Kartäuser speziell für die Jungfrauenweihe, die eben keine sakramentale Weihe ist, sondern ein Sakramentalie, also eine Segnung. Die Jungfrauenweihe bei Kartäuserinnen kommt am ehesten einer Äbtissinenweihe nahe, die letztlich auch nur eine Segnung ist.
Frage: Kann die Kartäuserin trotzdem ein Vorbild sein für die Diakonin von morgen?
Tibi: Das Amt einer Diakonin von morgen kann leider nicht mit dieser beschriebenen Eigentradition der Kartäuserinnen begründet werden. Denn die Übergabe der Stola während der Jungfrauenweihe ist keine sakramentale Weihe. Daher kann diese Praxis des Kartäuserordens nicht zur Untermauerung einer Forderung nach einem sakramentalen Frauendiakonat dienen. Doch die Eigentradition der Kartäuserinnen zeigt, dass es möglich ist, liturgische Funktionen, die ansonsten dem Diakon vorbehalten sind, an Frauen zu übertragen. Dieser Ritus kann damit zumindest ein Impuls sein für die mögliche Schaffung eines nicht-sakramentalen Diakoninnenamtes für Frauen. Die Tradition der Kartäuserinnen könnte ein Vorbild für das sein, was möglicherweise einmal die Gemeindediakonin sein könnte. Dieses Amt könnte dann von Frauen und Männern gleichermaßen ausgeübt werden, die nicht geweiht werden, sondern für ihren Dienst beauftragt werden.
Frage: Ich denke, Frauen sind schon für viele Aufgaben in der Kirche beauftragt. Was fehlt, ist die Weihe von Frauen. Sehen Sie das auch so?
Tibi: Ich will das Amt einer Diakonin nicht in Frage stellen. Aber begründen lässt sich dieses Amt nicht aus der Tradition der Kartäuserinnen heraus. Das ist weder in dem Rituale von 1699 noch in dem neuen Rituale als Diakonenweihe intendiert. Bei dem Kartäuserinnenritus handelt es sich eindeutig nicht um eine Diakonninenweihe und es gibt auch kein Weiheformular dazu. Das Frauendiakonat, wie es heute vielfach gewünscht wird, wäre allerdings auch ein Amt mit Stola für die Frau. Was also dann noch fehlen würde, wäre die Handauflegung eines Bischofs als Zeichen der Weihe. Die Stola als Amtszeichen wäre ja schon da.
Zur Person
Daniel Tibi OSB trat 2008 als Benediktiner in die Abtei Michaelsberg bei Bonn ein. 2010 erfolgte seine Profess. Nach Schließung der Abtei trat Tibi in die Abtei Kornelimünster in Aachen über. Sein Theologiestudium absolvierte er in Bonn und Bochum, sein Lizenziatsstudium Kirchenrecht an der KU Leuven (Belgien). Seine Promotion in Kirchenrecht erfolgte an der LMU München. Seit 2020 ist Tibi Universitätsassistent am Institut für Kirchenrecht und Religionsrecht der Universität Wien.