Steinmeier: Kirchen sollten aufhören, um sich selbst zu kreisen
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Kirchen in Deutschland aufgerufen, trotz eigener Krise den Blick wieder stärker auf ihre eigentliche Arbeit zu richten und am Alltag der Menschen teilzunehmen. "Die Kirchen sollten aufhören, vor lauter Angst vor ihrem eigenen Bedeutungsverlust zu viel nur um sich selbst zu kreisen", sagte das Staatsoberhaupt am Mittwoch in Berlin beim traditionellen Johannisempfang der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Steinmeier betonte: "Im Blick sein müssen vielmehr die Armen und die Schwachen, ob es psychische, spirituelle oder auch ganz praktische Nöte und Bedürfnisse sind, die hier nach Beistand rufen." Ohne den Blick auf den zu Unrecht Verurteilten und den Leidenden sei "unsere ganze Kirche sinnlos", sagte Steinmeier, der selbst evangelischer Christ ist.
Der Bundespräsident warnte vor einem praktischen Verschwinden der Kirchen, die seit Jahren Mitglieder verlieren. Die Gesellschaft brauche die Kirchen. Zugleich verwies er darauf, dass die Distanz zwischen vielen Menschen und der Kirche gewachsen sei. "Nicht alles hat mit dem Missbrauch und mit schleppender Aufarbeitung zu tun, und notwendig ist zügige Aufarbeitung ganz ohne Zweifel", mahnte der Bundespräsident mit Blick auf die Missbrauchsfälle in der Kirche. "Die Menschen wollen eine moderne, eine aufgeschlossene Kirche, die an ihrem Alltag teilnimmt, die sich ihren täglichen Problemen widmet", betonte Steinmeier weiter.
Wo es um Fragen nach dem Sinn der Existenz gehe oder darum, worauf man sich im Leben und im Sterben verlassen könne, "ist Zugewandtheit gefragt und eindeutige, verstehbare Botschaft", sagte er und ergänzte: "Da sind wir als Christen gefragt." Er forderte dazu auf, die Botschaft des Christentums glaubwürdig zu vermitteln. "Die Nächstenliebe ist das wirklich notwendige soziale Medium", sagte Steinmeier. Sie halte Menschen auch in großen Nöten und Ängsten zusammen.
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Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus wandte sich in ihrer Ansprache dagegen, angesichts einer komplizierten Wirklichkeit Fragen "auf ein simples Ja oder Nein" zu reduzieren. "Könnte es auch im gegenwärtigen Streit um Krieg und Frieden die Aufgabe von Christinnen und Christen sein, sich als Anwälte und Anwältinnen der Unverfügbarkeit zu verstehen?", fragte sie. Dies bedeute "ausdrücklich dem Nichtwissen das Wort zu geben, der Skepsis ihr Recht einzuräumen, dem Zweifel den Platz freizuhalten".
Mit Blick auf die ethischen Fragen rund um den Krieg in der Ukraine müssten die Aporien und Dilemmata akribisch benannt werden, forderte die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen. Der Schutz von Leben, Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden sei Aufgabe des Staates – "notfalls auch mit Gewalt". Dabei gelte es nüchtern zu sehen: "Solcher Schutz und alle Hilfe zur Verteidigung sind ihrerseits mit Gewalt verbunden und stehen in Gefahr, neues Leid zu verursachen und sich schuldig zu machen", sagte Kurschus.
Prälat Martin Dutzmann verabschiedet
Fragen nach Frieden und Sicherheit dürfen nach ihrer Auffassung auch nicht ausgespielt oder aufgerechnet werden gegen Fragen von Klimaschutz und Bewahrung der Schöpfung. Klimawandel sei der größte Hungertreiber, und Klimapolitik sei auch eine Frage von Gerechtigkeit und Sicherheit, unterstrich die EKD-Ratsvorsitzende.
An dem Empfang am Berliner Gendarmenmarkt nahmen zahlreiche Gäste aus Politik, Kirchen, Kultur und Wirtschaft teil. Darunter waren Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der päpstlich Nuntius Erzbischof Nikola Eterovic, der geschäftsführende Generalsekretär des Weltkirchenrates Ioan Sauca, der Präsident des Zentralrats der Juden Josef Schuster und der Sprecher des Koordinationsrats der Muslime, Mohamed El Kaada.
Bei dem Empfang wurde der Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, Prälat Martin Dutzmann (66), in den Ruhestand verabschiedet. Dutzmann hatte das Amt des Bevollmächtigten seit Oktober 2013 inne. Seine Nachfolge ist noch nicht entschieden. Der Leiter des Katholischen Büros, Prälat Karl Jüsten, dankte Dutzmann für die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit. "Die Ökumene lebt davon, dass jeder auf den anderen hört, die anderen zu verstehen sucht, den Glauben und das Leben teilt, ja und danach bestrebt ist, eines Sinnes und Geistes zu sein. Das ist uns – so glaube ich – ganz gut gelungen", sagte Jüsten. Wahrscheinlich habe Dutzmann "auf diese Weise mehr für den ökumenischen Zusammenhalt – und das nicht nur zwischen den beiden großen Kirchen, sondern weit darüber hinaus bis hin zu anderen Religionen und Nichtgläubigen – getan, als das in unseren Kirchen so wahrgenommen wird", fügte er hinzu. (cbr/KNA/epd)
22.06., 19.30 Uhr: ergänzt um weitere Details und Aussagen von Annette Kurschus