Deutsche Bischöfe und Generalvikare reagieren auf Kirchenstatistik 2021

"Mich machen die hohen Austrittszahlen sehr betroffen"

Veröffentlicht am 27.06.2022 um 15:59 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Es ist mit Abstand eine neue Höchstzahl an Austritten: Im Jahr 2021 verließen in Deutschland 359.338 Menschen die katholische Kirche. Deutsche Bischöfe und Generalvikare reagieren betroffen und liefern Erklärungsversuche.

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Nach Veröffentlichung der kirchlichen Statistiken für das Jahr 2021 haben sich deutsche Bischöfe und Generalvikare erschüttert über den neuen Höchsstand an Kirchenaustritten geäußert. "Mich machen die hohen Austrittszahlen sehr betroffen", sagte der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer. "Wer der Kirche den Rücken kehrt, muss keine Gründe nennen. Aber es liegt auf der Hand, dass die Glaubwürdigkeit unserer Kirche durch die unzähligen Missbrauchsfälle in den vergangenen Jahren massiv gelitten hat." Im Bistum Hildesheim gebe es eine "rückhaltlose" Aufarbeitung dieses Unrechts bis in die Gegenwart hinein sowie eine "anerkannt gute und professionelle" Präventionsarbeit. "Ich weiß aus vielen Gesprächen und Briefen, dass nicht nur wenig gläubige Menschen, sondern zuweilen auch sehr gläubige Menschen austreten", so Wilmer weiter. Das sei eine "sehr beunruhigende und herausfordernde" Situation. "Wir müssen den Menschen zuhören, ihre Kritik ernst nehmen und nicht als Zeitgeist-Gerede abtun. Unsere Kirche muss sich dieser Situation mit offenen Augen stellen – und ich denke, dass sie das auch tut. Der bisherige Verlauf des Synodalen Wegs der katholischen Kirche in Deutschland macht mich zuversichtlich, dass wir in unseren Reformbemühungen wirklich vorankommen werden."

Für den Rottenburg-Stuttgarter Bischof Gebhard Fürst spiegeln die Zahlen "die tiefe Krise wider, in der sich unsere Kirche nicht nur wegen des Missbrauchsskandales befindet". Dass auch andere Organisationen und Verbände Mitglieder verlören, "kann für uns als Kirche kein Trost sein". Die Zahlen täten "einfach sehr, sehr weh".

"Die Erschütterung durch das Bekanntwerden sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche ist groß", sagte der Hamburger Erzbischof Stefan Heße. "Für viele Menschen war dies wohl der Anlass, unsere Kirche zu verlassen. Dennoch halte ich es für das einzig Richtige, den Weg der Prävention und Aufarbeitung weiterzugehen." Er nehme auch wahr, so Heße, dass Menschen die Wandlungsfähigkeit der Kirche anzweifelten und den Reformprozess Synodaler Weg bisher als schleppend empfänden. "Diese Rückmeldungen erhalte ich auch in meiner Online-Sprechstunde und ich bin dankbar, dass Menschen dies offen äußern." Letztlich hoffe er, dass es bei allem Ringen und Umbruch gelinge, "den Menschen die Tür zum Glauben offenzuhalten".

"Traurig und bitter, aber leider erwartbar"

Der Freiburger Erzbischof Stephan Burger sagte, jeder Austritt schmerze. Offenbar sei die Kirche für viele nicht mehr die erste Anlaufstelle auf der Suche nach Gott. Aber auch in der Krise stünden die Christen weiter dafür ein, die Nähe Gottes und seine frohe Botschaft zu vermitteln. Gerade "in Zeiten von Krieg, Pandemie und globalen Krisen" bestehe ein großes Bedürfnis nach Hoffnung, Orientierung und Halt, sagte Burger. "Versuchen wir als Kirche bei allen Problemen, die uns derzeit beschäftigen, trotzdem den Menschen ein demütiger, erfahrener und liebevoller Begleiter auf der Suche nach Gott und dem Sinn des Lebens zu sein." Der Bischof dankte allen Katholiken und allen ehrenamtlich und hauptamtlich Engagierten, die durch ihren Beitrag Seelsorge und Caritas ermöglichten.

Der Dresden-Meißener Bischof Heinrich Timmerevers erklärte: "Diese hohe Zahl der Kirchenaustritte tut weh. Umso mehr danke ich allen, die trotz aller Fragen, Zweifel und berechtigten Kritik nach wie vor zu ihrer Kirche stehen und Mitglied bleiben." Er hoffe sehr, dass es "uns bald wieder gelingt, das positive Gesicht unserer Kirche zum Leuchten zu bringen. Diese Kraft besitzen wir und bringen sie auch heute schon an zahlreichen Stellen in der Gesellschaft ein."

Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick sagte: "Traurig und bitter, aber leider erwartbar. Viele treten derzeit aus, um gegen die bekannten Missstände zu protestieren und Reformen zu erzwingen. Auch sie wollen letztlich die Kirche erneuern und erhalten. Ausgetretene sind nicht abgeschrieben! Wir möchten Kontakt zu ihnen halten, sie sind uns wichtig. Die Tür bleibt offen."

Würzburgs Bischof Franz Jung
Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht

"Ich bin wie viele Katholikinnen und Katholiken verärgert und enttäuscht über das problembeladene Bild, das wir als Kirche abgeben", sagt Bischof Franz Jung.

"Ich bin wie viele Katholikinnen und Katholiken verärgert und enttäuscht über das problembeladene Bild, das wir als Kirche abgeben – in Deutschland, im Vatikan und in der Weltkirche", sagte der Würzburger Bischof Franz Jung. "Es darf niemanden verwundern, dass derzeit viele Menschen der Kirche das Vertrauen entziehen und auch unserem guten Tun die Zustimmung versagen."

Der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke erklärte: "Die Motive, die Kirche zu verlassen, sind vielfältiger Natur. Der Austritt ist dabei immer der Schlusspunkt eines Korrosionsprozesses, einer langsamen Entfremdung im Bereich des Glaubens, in der Christusbeziehung. (...) Wir sind gut beraten, bescheiden und demütig zu sein, damit wir die befreiende Botschaft Jesu überzeugend verkünden können."

"Jeder Mensch, der geht, ist ein Verlust für unsere Gemeinschaft", sagte der Augsburger Bischof Bertram Meier. "Umgekehrt habe ich gerade in den vergangenen Wochen wie beim Ministrantentag in Friedberg oder bei der Augsburger Fronleichnamsprozession miterleben dürfen, wie groß der Wunsch ist, den Glauben gemeinsam zu feiern. Gleichzeitig hängt der Verbleib in der Kirche für viele an einem seidenen Faden."

"Gravierende Fehler kirchlicher Verantwortungsträger"

Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf sagte, die katholische Kirche in Deutschland werde sich sehr stark verändern und kleiner werden. Er gebe die Hoffnung nicht auf, dass trotz vieler Fehler "die Strahlkraft" gelebten Christseins weiterhin in der Gesellschaft wirke. Auch werde die Kirche weiter in Wort und Tat verkünden, Nächstenliebe leben, den Glauben feiern und Menschen begleiten.

Der Münsteraner Bischof Felix Genn zeigte Verständnis für Austrittswillige. Vor allem "gravierende Fehler kirchlicher Verantwortungsträger im Umgang mit sexuellem Missbrauch" hätten zu den hohen Zahlen beigetragen. Er wolle sich für eine veränderte Haltung in der Kirche einsetzen.

Der scheidende Kölner Generalvikar Markus Hofmann erklärte, das Erzbistum Köln müsse anerkennen, "dass der schmerzvolle Weg der Aufarbeitung und andere Krisen das Vertrauen vieler Menschen in die Kirche heftig erschüttert haben". Weiter sagte er: "Wir müssen alles daransetzen, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen." Das Erzbistum Köln verzeichnet für das vergangene Jahr fast 41.000 Austritte – so viele wie in keiner anderen deutschen Diözese und wie nie zuvor.

Bild: ©Bistum Speyer

Die Zahlen zeigten, dass viele eine innere Bindung zur Kirche verloren hätten "und nun auch die äußeren Bindungen kappen", sagt der neue Speyerer Generalvikar Markus Magin.

"Der Anstieg der Kirchenaustritte kommt nicht überraschend und ist trotzdem für viele Engagierte in unserem Bistum genauso wie für mich sehr bedrückend", sagte der Osnabrücker Generalvikar Ulrich Beckwermert. Es sei zu erkennen, dass sich der Trend ungebremst fortsetze. Die Gründe für die hohe Zahl der Austritte seien verschieden, so der Stellvertreter von Bischof Franz-Josef Bode. "Klar ist, dass unsere Kirche durch den Skandal der sexualisierten Gewalt und den langwierigen Prozess der Aufarbeitung und Veränderung enorm viel Vertrauen verloren hat. Selbst gläubige Menschen verlassen die Kirche, um ein Zeichen des Protests gegen die Institution zu setzen." Beckwermert betonte, das Bistum Osnabrück beteilige sich intensiv an Reformprozessen innerhalb der deutschen katholischen Kirche und bemühe sich um die Gestaltung eines zügigen Wandels vor Ort.

Der Trierer Generalvikar Ulrich von Plettenberg sprach von einer "Abstimmung mit den Füßen". Auch viele kirchlich Verbundene könnten sich nicht mehr mit Institution und Glaubensgemeinschaft identifizieren. Als Gründe nannte er den Umgang mit Missbrauch. Auch spreche Kirche die Themen und Bedürfnisse der Menschen nicht mehr an, so der Generalvikar. Gut angenommen würden kirchlich geprägte Einrichtungen. Auch seien kirchliche Netzwerke beispielsweise im Zuge der Flutkatastrophe oder im Umgang mit Geflüchteten als hilfreich erlebt worden. Daher müsse Kirche dorthingehen, wo sie von Menschen gebraucht werde.

Der Speyerer Generalvikar Markus Magin zeigte sich am Montag traurig über die Jahresstatistik. Die Zahlen zeigten, dass viele eine innere Bindung zur Kirche verloren hätten "und nun auch die äußeren Bindungen kappen", so Magin. Er wisse, dass viele unzufrieden seien. Der eingeschlagene Weg der Erneuerung, zu dem eine konsequente Aufarbeitung des Skandals sexuellen Missbrauchs gehöre, müsse weitergegangen werden. Nur so könne Glaubwürdigkeit zurückgewonnen werden. Magin betonte, viele Katholiken in der Pfalz leisteten ehren- und hauptamtlich Großartiges. Als Beispiele nannte er die Betreuung von Flüchtlingen sowie die Sorge um Benachteiligte: "Ich bin dankbar für dieses Glaubenszeugnis, das mir zeigt, dass unsere Kirche nicht nur erneuerungsbedürftig, sondern auch erneuerungsfähig ist."

Verlauf der Missbrauchsaufarbeitung "fatal"

Der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer bezeichnete es als "fatal", dass die Missbrauchsaufarbeitung bundesweit uneinheitlich erfolge und sich über einen langen Zeitraum hinziehe. Zudem gebe es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Konsequenzen. "Selbst unter vielen treuen Gläubigen herrscht inzwischen der Eindruck vor, dass die Kirche es nicht wirklich ernst meint mit der Aufarbeitung", warnte Pfeffer. Der Paderborner Generalvikar Alfons Hardt rief seine Kirche auf, die "richtigen Wege der Erneuerung" konsequent weiterzugehen. Auch der Aachener Generalvikar Andreas Frick verwies auf Veränderungsprozesse in seiner Diözese. "Immer mit dem sensiblen Blick darauf, was die Menschen von Kirche brauchen und wo diese Heimat bieten kann", sagte er.

Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, sagte, die Zahlen spiegelten einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel wieder. "Die Deutungsmacht der Kirchen über das Religiöse ist keine Selbstverständlichkeit mehr, anders als das über viele Jahrzehnte, ja über Jahrhunderte der Fall war." Die Kirche sei herausgefordert, auf die Menschen zuzugehen, "mitten hinein in deren Lebenswelten" und neues Vertrauen aufzubauen. "Wem ich vertraue, dem glaube ich", so Stetter-Karp. Nur so könne eine Erneuerung des Christentums im 21. Jahrhundert gelingen.

Bundesweit kehrten im vergangenen Jahr 359.338 Katholiken ihrer Kirche den Rücken. Damit wurde der bisherige Höchstwert aus dem Jahr 2019 deutlich übertroffen, als etwa 273.000 Katholiken austraten. Somit gehören noch 21.645.875 Menschen der katholischen Kirche in Deutschland an, das sind etwa 26 Prozent der Bevölkerung. Aus der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) traten 280.000 Protestanten aus. Die Zahl ihrer Mitglieder sank erstmals unter die 20-Millionen-Grenze auf 19,72 Millionen. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gehört weniger als die Hälfte der Bundesbürger einer der beiden großen Kirchen an. Für den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Limburgs Bischof Georg Bätzing, zeigen die Zahlen, dass sich die katholische Kirche in Deutschland in einer tiefgreifenden Krise befindet. (tmg/KNA)