Spiritualität am Arbeitsplatz braucht Spielregeln
Vor wenigen Wochen hat die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) den Entwurf für eine neue "Grundordnung des kirchlichen Dienstes" vorgestellt. Die private Lebensgestaltung, insbesondere das Beziehungs- und Intimleben der Mitarbeitenden in der katholischen Kirche und der Caritas, soll künftig kein Kündigungsgrund mehr sein. Mit der Abkehr von dem bisher personenbezogenen Verständnis des kirchlichen Arbeitsrechts hin zu einem institutionenorientierten Ansatz vollzieht die Kirche einen Systemwechsel, der für rund 790.000 Beschäftigte weitreichende Konsequenzen hat. Führungskräfte sind künftig nicht mehr verpflichtet, das Privatleben ihrer Mitarbeitenden daraufhin zu überprüfen, ob es mit der Sittenlehre der katholischen Kirche in Einklang steht. Stattdessen ist es ihre Aufgabe, auf der Grundlage von Leitbildern sowie christlichen Grundsätzen und Werten den kirchlichen Charakter ihrer Einrichtung sicherzustellen, die Unternehmenskultur zu pflegen und damit die Ausprägung einer katholischen Identität zu gewährleisten.
Ähnliche Forderungen bereits bei Papst Benedikt XVI.
Inhaltlich gesehen ist der institutionenorientierte Ansatz nicht neu. Die Arbeitsgruppe greift ausführlich auf das Papier der DBK "Das katholische Profil caritativer Dienste und Einrichtungen in der pluralen Gesellschaft" aus dem Jahr 2014 zurück. Dieses stützt sich auf Papst Benedikt XVI. und sein Motu Proprio "Über den Dienst der Liebe", das kirchliche und caritative Träger bereits im Jahr 2012 zur Formulierung ihrer Leitmotive und Ziele verpflichtet hat. Bei der Umsetzung können Träger auf Management-Instrumente zurückgreifen, die sich bereits seit den 1990er Jahren unter dem Vorzeichen von Ökonomisierung und Wettbewerb in sozialen Einrichtungen etabliert haben. Der Systemwechsel hält sich somit in Grenzen. Er ist allerdings im Hinblick auf eine Neuerung bemerkenswert.
Bereits die bestehende Grundordnung schreibt in Artikel 9 den Anspruch der Mitarbeitenden auf Fort- und Weiterbildung fest und erklärt: "Diese umfassen die fachlichen Erfordernisse, aber genauso die ethischen und religiösen Aspekte des Dienstes." Der nun vorliegende Entwurf greift dies auf und präzisiert: "Die Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen bieten Gelegenheit, sich mit den Grundsätzen und Werten der katholischen Kirche auseinanderzusetzen und sie ihrem dienstlichen Handeln zugrunde zu legen. Sie stellen auch ein Angebot dar, sich mit den Sinn- und Glaubensfragen des Lebens zu beschäftigen. Die (Erz-)Diözesen unterstützen die Träger in der gemeinsamen Sorge, den Mitarbeitenden im kirchlichen Dienst durch geeignete spirituelle Angebote die individuelle Glaubensbildung und -vertiefung zu ermöglichen."
Von spirituellen Angeboten war bislang im Kontext des kirchlichen Arbeitsrechts abseits der Gewährung von Sonderurlaub für Exerzitien und Einkehrtage nicht die Rede. Von daher fällt auf, dass sie nun erstmals einbezogen werden und zwar in äußerst exponierter Form. Die (Erz-)Diözesen verlangen nicht nur die Bereitstellung solcher Angebote, sondern verpflichten zugleich sich selbst, die Träger bei der Umsetzung zu unterstützen, wenngleich offen bleibt, in welchem Umfang und in welcher Form. Die "Bischöflichen Erläuterungen zum kirchlichen Dienst", die zusammen mit dem Entwurf der Grundordnung veröffentlicht wurden, unterstreichen ebenfalls die Bedeutung von "Kooperationen zwischen den Diözesen und den verschiedenen Trägern für die Bereitstellung eines ansprechenden Unterstützungsangebotes". Spiritualität ist demnach ein zentrales Thema der neuen Grundordnung und die Bischöfe übernehmen dafür ganz explizit Verantwortung!
Spiritualität – verankert im kirchlichen Arbeitsrecht, praktisch gelebt am Arbeitsplatz, das alles erscheint im Sinne des neuen institutionsspezifischen Ansatzes nicht besonders bemerkenswert. Das Thema birgt jedoch erhebliche Risiken für alle Beteiligten, für Vorgesetzte ebenso wie für Mitarbeitende. Die Kirche muss aufpassen, dass sie mit der neuen Grundordnung nicht ein Problem löst, indem sie ein neues schafft – und zwar eines, das ihr den Ruf einbringt, die persönliche und berufliche Sphäre wieder nicht sauber zu trennen; nur dass es dieses Mal nicht um Sexualität, sondern um Spiritualität geht.
Spiritualität am Arbeitsplatz ist ein "heißes Thema". Den Autorinnen und Autoren des Entwurfs scheint dies jedoch nicht wirklich bewusst zu sein. Ansonsten würden sie spirituelle Angebote nicht unter der Überschrift Fort- und Weiterbildung abhandeln, sondern ihnen ein eigenes Kapitel widmen. Das Thema ist so beschaffen, dass ihm die DBK eigentlich spezielle Leitlinien widmen müsste. Warum? Spirituelle Angebote sind etwas fundamental anderes als Maßnahmen der religiösen Fort- und Weiterbildung, die auf Wissenserwerb, Urteils- und Handlungskompetenz beruhen. In Fortbildungen, die sich mit Glauben und Religion beschäftigen, ist Gott ein Thema, dem man sich mit Zielen, Inhalten und Methoden nähert. Sie strukturieren den "Stoff" und machen damit Lernen möglich. Fortbildung trägt dazu bei, Glaubensfragen einzeln und in Gruppen zu reflektieren, während spirituellen Angebote intime Orte der persönlichen Begegnung mit Gott darstellen.
Verordnete Gottesbegegnungen?
Bei spirituellen Angeboten geht es nicht darum, über Gott zu reden, sondern mit ihm! Sie wollen Gotteserfahrung ermöglichen und nutzen dazu vielfältige Impulse und Methoden, die Körper, Geist und Seele ansprechen. Spirituelle Angebote eröffnen die Möglichkeit der Gottesbegegnung und erschließen damit eine Kraftquelle, aus der sich alles Handeln, auch das professionelle, speist. Sie lässt Kontemplation zur Aktion oder den Glauben zur Tat werden. Spiritualität ist das Herzstück des kirchlichen und caritativen Lebens.
Entscheidend ist dafür allerdings, dass die Beteiligten wirklich frei sind, je nach persönlicher Neigung und Interessenlage spirituelle Impulse aufzugreifen oder auch nicht. Mitarbeitende müssen die Freiheit haben, zu sagen, was und wie sie glauben, auch wenn dies nicht mit der kirchlichen Lehre übereinstimmen sollte. Sie brauchen die Möglichkeit, ohne Rücksicht auf mögliche negative Konsequenzen über ihre Zweifel, Wut und Ängste zu sprechen. Diese Freiheit ergibt sich unmittelbar aus der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Wenn man aber – wie im jetzt vorliegenden Entwurf – spirituelle Angebote mit Fortbildungsangeboten vermischt, gerät diese Freiheit in Gefahr. Denn Qualifizierungsangebote, auch solche mit religiösen Zielen und Inhalten, kann ein Dienstgeber bei Bedarf im Rahmen seiner Weisungsbefugnis anordnen. Spirituelle Angebote müssen jedoch immer und unter allen Umständen freiwillig sein.
Die Glaubens- und Gewissensfreiheit braucht im dienstlichen Kontext, der von einer asymmetrischen Beziehung bestimmt ist, besonderen Schutz. Wenn spirituelle Angebote für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Diensten und Einrichtungen der Caritas ein attraktives Angebot sein sollen, dann sind geschützte Räume notwendig, in den das Machtverhältnis zwischen weisungsbefugten Vorgesetzten und weisungsabhängigen Mitarbeitenden keine Rolle spielt. Der "geschützte Lernraum" ist in der Erwachsenenbildung ein professioneller Standard. Das gilt ebenso für Beratung, Supervision und das Coaching. Er muss auch ein Standard für dem Umgang mit spirituellen Angeboten in caritativen und kirchlichen Organisationen werden.
Spiritualität, zumal wenn sie am Arbeitsplatz stattfindet, braucht daher besondere Rahmenbedingungen. Man kann diese Faktoren als Spielregeln beschreiben, die grundsätzlich für alle kirchlichen Organisationen gelten und daher in der Grundordnung verankert werden müssen:
1. Spirituelle Angebote brauchen – neben dem Bereich Fort- und Weiterbildung – eine eigenständige, verbindliche, transparente und dauerhafte Implementierung in der Organisation. Sie dürfen nicht dem Zufall oder dem "guten Willen" einzelner Führungskräfte überlassen bleiben.
2. Sie brauchen eine klare Struktur, gleichzeitig muss die Teilnahme strikt freiwillig geregelt sein. Sie wird nicht überprüft oder gar bewertet. Spirituelle Angebote sind kein Instrument der Personalführung und dürfen weder als Anreiz für bessere (Karriere-)Chancen noch zur Disziplinierung eingesetzt werden.
3. Spirituelle Angebote müssen ohne Unterschied jederzeit allen Mitarbeitenden offenstehen.
4. Es ist die Aufgabe der Führungskräfte, unterschiedliche Formate der geistlichen Inspiration zu ermöglichen und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen, die personellen und materiellen Ressourcen bereitzustellen.
5. Ausgeschlossen ist es, dass direkte Vorgesetze spirituelle Angebote anleiten, leiten oder moderieren. Die arbeitsrechtliche Weisungsbefugnis definiert Nähe und Distanz zu den Mitarbeitenden und markiert zugleich ein Machtgefälle, das mit geistlicher Begleitung, auch punktueller Art, grundsätzlich nicht vereinbar ist. Hier ist eine klare Rollentrennung gefragt. Vorgesetzte, die diese ignorieren, setzen sich und die Organisation dem Vorwurf des spirituellen (Macht-)Missbrauchs aus.
6. Pastorale Mitarbeitende in caritativen Organisationen können spirituelle Angebote nur dann anleiten, wenn sie keine Trägerverantwortung haben und auch nicht als Vorgesetzte tätig sind. Als Geistliche Begleitung von Mitarbeitenden sind zum Schutz der Beteiligten bevorzugt pastoral und spirituell kompetente Personen von außen einzusetzen.
An dieser Stelle kommt die Selbstverpflichtung der Diözesen, die Träger bei der Bereitstellung von spirituellen Angeboten zu unterstützen, wieder ins Spiel. Sie ist nicht nur ein freundliches Entgegenkommen, sondern ein dringend notwendiger Gelingensfaktor für die neue Grundordnung. Träger müssen sich darauf verlassen können, dass seelsorgerisch qualifiziertes Personal von außen zur Verfügung steht, das sie für ihre Einrichtungen gewinnen können. Auf diese Weise gewährleisten die Bischöfe nicht nur die zwingend notwendige Rollentrennung bei den Vorgesetzten, sondern sie vollziehen zugleich einen wichtigen Schritt zur Prävention des spirituellen Missbrauchs von Mitarbeitenden.
Eine deutliche Unterscheidung von Leitung und Seelsorge hat Tradition
Im Übrigen ist die Trennung von Leitung und Seelsorge beispielsweise beim Bußsakrament bereits jetzt schon kirchenrechtlich normiert (can. 630 § 4 CIC, can. 985 CIC), wenn auch ohne absolutes Verbot. Dort ist auch jeweils die Verantwortung normiert, Beichtväter von außen zur Verfügung zu stellen. Mit der klaren Trennung von Forum internum und Forum externum hat die Kirche in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht.
Sind die oben genannten Bedingungen erfüllt, können spirituelle Angebote für die Mitarbeitenden und für die Institution ein echter Gewinn sein. Sie eröffnen einen Sinnhorizont, vermitteln aber kein moralisches Sollen. Sie schenken Inspiration, haben aber kein Interesse an einer Verhaltenssteuerung. Sie führen vielleicht zu einem Konsens in Fragen der Glaubensüberzeugung, aber sie bedeuten niemals deren Kontrolle!
Der aktuelle Entwurf zur Neugestaltung des kirchlichen Arbeitsrechts macht deutlich, dass man das persönliche religiöse Profil der Mitarbeitenden nicht mit dem kirchlichen Profil der Einrichtung verwechseln darf. Beim Thema Fort- und Weiterbildung besteht diesbezüglich noch ein erheblicher Klärungsbedarf.
Die Autorin
Ursula Wollasch ist katholische Theologin und promovierte Sozialethikerin. Sie war über zwanzig Jahre in der verbandlichen Arbeit der Caritas auf Bundes- und Landesebene tätig, insbesondere auf den Feldern Behindertenhilfe, Psychiatrie, Jugendhilfe und Kindertagesbetreuung. Seit 2020 arbeitet sie freiberuflich als Autorin und Publizistin.