"Ziemlich explosiv": Flughafenseelsorger über die Lage an den Airports
Gestrichene Flüge, lange Warteschlangen, Koffer-Chaos: Wer derzeit von einem der großen deutschen Flughäfen in den Urlaub fliegen möchte, braucht viel Geduld und starke Nerven. Seit Wochen schon herrscht an vielen Airports Ausnahmezustand, der mit dem Beginn der bevorstehenden Sommerferien in immer mehr Bundesländern sogar noch deutlich schlimmer werden könnte. Wie schlimm, das ließ sich in den vergangenen Tagen etwa an den Flughäfen Düsseldorf und Köln/Bonn erahnen, wo Tausende Menschen in schier endlosen Warteschlagen feststeckten und teilweise ihre Flüge verpassten. Statt Urlaubsfreude herrschte an den beiden nordrhein-westfälischen Airports Wut und Verzweiflung.
Dass der Traum vom Fliegen für viele Menschen derzeit tatsächlich eher einem Albtraum gleicht, erlebt Pater Edward Fröhling hautnah mit. Seit Dezember vergangenen Jahres leitet der 46-jährige Pallottinerpater die katholische Flughafenseelsorge am Frankfurter Flughafen. Die aktuelle Situation am größten deutschen Airport beschreibt er gegenüber katholisch.de als "sehr angespannt" und "ziemlich explosiv". Allein am vergangenen Sonntag seien an dem Airport fast 190.000 Passagiere abgefertigt worden – eine Zahl, die mit den beginnenden Sommerferien und den stark gelockerten Corona-Beschränkungen sicher noch deutlich ansteigen werde.
"An der Abfertigung herrschte über Stunden das blanke Chaos"
Ähnlich beurteilt die Situation im Gespräch mit katholisch.de auch Detlef Warwas. Der ehrenamtliche Seelsorger am Flughafen Berlin Brandenburg empfindet die momentane Lage mit den langen Warteschlangen vor den Check-ins und der Sicherheitskontrolle als "chaotisch". "Bei meinem jüngsten Einsatz am Flughafen war es eigentlich ein ganz normaler Tag. Es waren noch keine Sommerferien, auch kein Brückentag. Und doch herrschte über Stunden hinweg an der Abfertigung das blanke Chaos", so Warwas, der seit acht Jahren als Flughafenseelsorger tätig ist – zunächst noch am alten Flughafen Schönefeld und seit Oktober 2020 am damals neu eröffneten BER.
„Die physische und psychische Belastung der Beschäftigten am Flughafen ist enorm.“
Der Grund für die Misere liegt laut den beiden Seelsorgern auf der Hand: die nach zwei Pandemie-Jahren extrem dünne Personaldecke an den Airports, über die zuletzt auch zahlreiche Medien berichtet haben. "Während der Pandemie hat sich die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stark reduziert, Personal fehlt auf allen Ebenen. Trotz sehr offensiver Werbung von Seiten der Unternehmen konnten und können die Leerstellen nicht gefüllt werden", sagt Pater Fröhling. Das gelte sowohl für das Personal an der Gepäckabfertigung und beim Be- und Entladen der Flugzeuge – "eine körperlich sehr anstrengende Arbeit mit geringen Verdienstmöglichkeiten" – als auch für den Check-in-Bereich und die Verwaltung. "Das sind Berufe, die eine entsprechende Qualifikation sowie eine Sicherheitsprüfung erfordern", erläutert der Pallottiner.
Sein Berliner Kollege Warwas teilt diesen Befund. Hinzu kämen in Berlin aber noch die nach wie vor bestehenden Mängel am Terminalgebäude. Zur Erinnerung: Der Hauptstadtflughafen konnte nach einem wahren Baudesaster erst mit mehreren Jahren Verspätung eröffnet werden; bauliche und technische Mängel begleiten den Airport allerdings bis heute. "In der vergangenen Woche zum Beispiel ist bei einem Gewitter der Blitz im Terminal eingeschlagen. Das hatte zur Folge, dass rund 250 elektrische Türen nicht mehr aufgingen und jeweils von Hand neu geschaltet werden mussten", erzählt Warwas. Natürlich könne in so einem großen Gebäude auch mal der Blitz einschlagen. Doch wenn so etwas einen Flughafen in Teilen lahmlege, hätten die Passagiere dafür aus nachvollziehbaren Gründen kein Verständnis, so der Seelsorger.
Die Urlauber sind nicht die einzigen Leidtragen der aktuellen Situation
Fröhling und Warwas machen im Gespräch allerdings auch sehr deutlich, dass die Urlauber nicht die einzigen Leidtragenden der aktuellen Situation sind. "Die physische und psychische Belastung der Beschäftigten am Flughafen ist enorm", betont Warwas. Die Mitarbeiter müssten sich derzeit einerseits von den Urlaubern viel gefallen lassen. "Und auf der anderen Seite sind sie permanent damit beschäftigt, personelle Löcher zu stopfen." 80 Prozent seiner Zeit als Flughafenseelsorger wende er inzwischen für die Beschäftigten auf. "Ich führe viele seelsorgliche Gespräche, bei denen mir Mitarbeiter sagen, dass sie es nicht mehr aushalten und sich zum Beispiel lieber krankschreiben lassen würden", erzählt Warwas.
Pater Fröhling berichtet aus Frankfurt Ähnliches: "Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter laufen durchgehend am Limit, häufen Überstunden an, stehen unter starkem Stress." Viele entschuldigten sich bereits, wenn sie nur die ihnen zustehenden Pausenzeiten oder freien Tage in Anspruch nähmen. Der Druck laste schwer auf den Beschäftigten und sorge für Überforderung und Auseinandersetzungen bis in ihre Familien. "Ein Dauerzustand darf das nicht sein – es ist aber kein Ende absehbar", beklagt der Seelsorger.
Erschrocken über "totale Verrohung" vieler Reisender
Fröhling appelliert an die Urlauber, die in den kommenden Wochen an die Flughäfen kommen, sich klarzumachen, dass sie es bei den Beschäftigten mit Menschen zu tun hätten, die für die aktuellen Zustände an den Airports nichts könnten und trotzdem versuchten, einen möglichst guten Job zu machen. "Mich erschreckt diese totale Verrohung. Die einfachste Wahrheit ist für viele Reisende offensichtlich nicht mehr auf dem Schirm: 'Hier arbeitet ein Mensch'", so der Pallottiner, der bei vielen Reisenden nach eigenen Angaben eine für ihn nicht nachvollziehbare Mischung aus Anspruchshaltung, Aggression und Frust erlebt. Das bekämen natürlich vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ab, die direkten Kontakt mit den Passagieren hätten. "Nur wenigen gelingt es, das auf Abstand zu halten. Da geht es um zum Teil wirklich auch schwerwiegende Beleidigungen und Angriffe", betont Fröhling.
Warwas sagt, dass die Urlauber selbst viel dazu beitragen könnten, die Abläufe an den Flughäfen zu verbessern. "Am wichtigsten ist, dass die Menschen gut organisiert und vorbereitet zum Flughafen kommen", sagt der Seelsorger. Dies gelte etwa für den Koffer. Wenn der nicht richtig gepackt sei und sich darin zum Beispiel unverpackte Flüssigkeiten befänden, sorge das für enorme Verzögerungen bei der Sicherheitskontrolle. Er wundere sich, so Warwas, dass manche Passagiere immer noch mit der Überzeugung zum Flughafen kämen, dass eine Stunde für den Check-in-Prozess ausreichend sei. "Wenn man mit dieser Einstellung zum Flughafen hinkommt, ist das Desaster schon fast sicher", warnt Warwas.
„Wir sind viel unterwegs, sind ansprechbar und fragen manchmal auch nach. Einer meiner Vorgänger hat es mal so formuliert: 'Seelsorge beginnt mit dem Grüßen'.“
Umso mehr betont er die Bedeutung der Flughafenseelsorge in der aktuellen Lage: "Wir sind nicht nur Seelsorger im klassischen Sinne, sondern wir versuchen auch, die Urlauber ganz konkret zu unterstützen." Gerade Eltern mit kleinen Kindern seien oft verzweifelt, wenn irgendetwas nicht funktioniere. "Wir versuchen dann, sie und die Kinde zu unterstützen – auch mal ganz konkret mit etwas zum Essen und zum Trinken. Denn man muss auch dem Körper etwas Gutes tun, damit sich die Seele wohlfühlt", ist Warwas überzeugt und verweist zudem auf den "Raum der Stille" im Terminal 1. Manche Menschen sagten, der Raum aus dunklen Backsteinen sei das Beste am ganzen Flughafen: "Selbst wenn im Flughafen das große Chaos herrscht – in der Kapelle kann man wirklich zur Ruhe kommen und versuchen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen."
"Seelsorge beginnt mit dem Grüßen"
Auch Fröhling verspricht, dass in Frankfurt "kein Gestrandeter untergeht". Die Flughafenseelsorge sei ein Raum, in dem Menschen dem "Ameisenhaufen" des Airports für eine Weile entkommen könnten. Die Seelsorge für die Mitarbeiter am Airport sei derzeit allerdings eine Herausforderung. "Das betrifft nicht nur die Gottesdienstzeiten und den Freiraum für Gespräche im Arbeitsalltag; auch eigentlich sinnvolle und notwendige Netzwerk-Termine können wegen der Arbeitsbelastung nicht stattfinden", skizziert der Pater das Problem. Es mache keinen Sinn, wenn die Treffen der kirchlichen Betriebsseelsorge eher eine zusätzliche Belastung seien.
Gleichwohl bemühten sich die Seelsorgerinnen und Seelsorger, sich mehr an den Arbeitsplätzen der Mitarbeiter blicken zu lassen: "Wir sind viel unterwegs, sind ansprechbar und fragen manchmal auch nach. Einer meiner Vorgänger hat es mal so formuliert: 'Seelsorge beginnt mit dem Grüßen'." Dass sich die angespannte Situation an den deutschen Flughäfen schnell lösen könnte, glaubt Fröhling dagegen nicht. Über den Sommer werde es ganz sicher keine kurzfristige Entspannung geben. Und danach? "Ich bin kein Hellseher."