Im Mondlicht zur Weltreligion

Mohammeds Flucht: Vor 1.400 Jahren begann die islamische Zeitrechnung

Veröffentlicht am 16.07.2022 um 12:35 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Kaum etwas sagt mehr über das Selbstbild einer Kultur aus als der Beginn ihrer Zeitrechnung. Im Fall des Islam war es der Aufstieg eines verspotteten Propheten zum Staatsmann. Mohammeds Flucht aus Mekka wurde zum Fanal.

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Man schreibt das Jahr 1443: Amerika ist seit Jahrhunderten "entdeckt", die Menschen benutzen Smartphones und von München nach Kairo braucht man im Flugzeug keine vier Stunden. Die Rede ist nicht vom nächsten Paralleluniversum, sondern dem derzeit aktuellen Jahr islamischer Zeitrechnung. Sie begann vor genau 1.400 Sonnenjahren, am 16. Juli 622, mit der Auswanderung (arab. hidschra) des Propheten Mohammed aus seiner Heimatstadt Mekka nach Medina.

Wenige Jahre nach dessen Tod, der Überlieferung nach im Jahr 638, ordnete der zweite Kalif Omar den neuen Kalender an. Der Beherrscher der Gläubigen machte damit klar: Der Islam ist die letzte Ära für Allahs Geschöpfe, aber auch für die Großreiche der Byzantiner und Perser, gegen die Omar die islamische Eroberung energisch vorantrieb. Das Datum der Hidschra, der 1. des altarabischen Monats Muharram, stand als Ausgangspunkt einer neuen Zeitrechnung stets für den politisch-religiösen Anspruch des Islam.

Sprung zum Befehlshaber

Denn mit seiner Flucht gelang Mohammed der Sprung vom verspotteten und angefeindeten Propheten, der in Mekka um seine Sicherheit fürchten musste, zum Befehlshaber und Staatsmann. Die Stämme in der Oase Yathrib (später Medina) hatten den damals etwa 52-Jährigen, beeindruckt von dessen religiöser Botschaft, eingeladen, als Schiedsrichter in der Stadt für Ordnung zu sorgen.

Mohammed schweißte seine mit ihm geflohenen Anhänger und die Bewohner Medinas zur muslimischen Glaubensgemeinschaft, der Umma, zusammen. Anfangs gehörten auch die Juden Medinas zum sozialen Gefüge, bis Mohammed sie des Verrats bezichtigte, vertreiben oder sogar töten ließ. Gemeinsam besiegten die Muslime anschließend die Mekkaner und vereinten die Arabische Halbinsel unter Mohammeds Führung. Bis heute gilt vielen Muslimen der Staat von Medina als Ideal eines islamischen Gemeinwesens. Aber auch islamistische Fanatiker berufen sich auf ihn.

Bild: ©dpa/Boris Roessler (Symbolbild)

Die Sichel des Neumonds wurde zum islamischen Zeichen schlechthin.

Das arabische Mondjahr behielt Kalif Omar bei. Es hat ebenfalls zwölf Monate, ist aber rund ein Dutzend Tage kürzer als das Sonnenjahr mit 365 Tagen. Entsprechend verschieben sich die Monate durch die Sonnenjahre nach hinten, so dass die Wallfahrt nach Mekka oder der Fastenmonat Ramadan mal im Hochsommer, mal im Winter begangen werden. Den Beginn eines neuen Monats zeigt dabei die Sichel des Neumonds, die zum islamischen Symbol schlechthin wurde.

Allerdings eignet sich der Mondkalender nicht für agrarische Gesellschaften, die Aussaat und Ernte – und damit auch die Abgabe der Steuern – an den Jahreszeiten festmachen mussten. Daher führten islamische Staaten immer auch sonnenbasierte Kalendersysteme weiter. Meist orientierte sich aber auch deren Jahreszählung an der Hidschra, so im Osmanischen Reich oder im iranischen Raum.

Gregoranischer Kalender im Alltagsgebrauch

Im Zeitalter der globalen Verwestlichung setzte sich Anfang des 20. Jahrhunderts in den meisten islamischen Ländern der nach Papst Gregor XIII. (gest. 1585) benannte gregorianische Kalender zumindest im Alltagsgebrauch durch, schon aus Gründen der wirtschaftlichen Vernetzung. Ein Sonderfall ist der 1925 im Iran und Afghanistan eingeführte persische Kalender mit seiner uralten Ausrichtung an den Tierkreiszeichen. So schreibt man in Teheran derzeit amtlich das Jahr 1401 nach der Hidschra. Das Neujahrsfest Nowruz am 21. März, dem Tag der Frühlingstagundnachtgleiche, wird im Iran und anderen Ländern der Region ähnlich ausgelassen gefeiert wie hierzulande Silvester.

Apropos: Der ebenfalls nach einem Papst benannte Partyabend am 31. Dezember gilt frommen Muslimen als haram, also verboten. Radikalen Fatwas zufolge dürfen sie Christen nicht einmal ein "Frohes Neues" wünschen. Aber auch der Beginn des neuen Mondjahrs am 1. Muharram wird in der islamischen Welt nicht überschwänglich gefeiert. Der Tag gilt dem Gedenken an Mohammeds erzwungene Auswanderung mit Gebeten in der Moschee und besonderen Mahlzeiten zu Hause.

Für Schiiten ist der Muharram eine Trauer- und Fastenzeit, die an den gewaltsamen Tod des Prophetenenkels und schiitischen Imams Hussain erinnert. Umso fröhlicher feiern sie wie auch die Sunniten das Fest des Fastenbrechens nach dem Ramadan und das Opferfest zum Abschluss der Wallfahrt.

Von Christoph Schmidt (KNA)