Arbeitsrecht: Konfessionslosigkeit erster und zweiter Klasse?
Das kirchliche Arbeitsrecht ist aktuell wie nie zuvor. Die Diskussion um #OutInChurch etwa hat medial große Aufmerksamkeit gefunden, ist Gegenstand der Beratungen des Synodalen Wegs und hat in den Leitungen der (Erz-)Bistümer wohl überwiegend – in unterschiedlichen Graden – unterstützende, aber auch ablehnende Reaktionen hervorgerufen. Zudem befindet sich die sogenannte Grundordnung in der Phase einer Revision, die zum Ende des Jahres abgeschlossen sein und den künftigen Rahmen für das kirchliche Arbeitsrecht bilden soll. Ende vergangener Woche wurde nun ein Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) bekannt, das sich einmal mehr mit der Frage nach dem Verhältnis von staatlichem und kirchlichem Arbeitsrecht beschäftigt.
In diesem Fall war eine Hebamme zunächst bei einem kirchlichen Krankenhaus beschäftigt, hatte sich dann aber selbstständig gemacht und ist aus der Kirche ausgetreten. Nach rund fünf Jahren führten die Hebamme und das Krankenhaus wieder Gespräche über eine Anstellung, in denen das Thema "Kirchenaustritt" nicht thematisiert wurde. Das Krankenhaus sandte den schon von ihm unterschriebenen Arbeitsvertrag der Hebamme zusammen mit einem Personalfragebogen zu. Die Hebamme unterschrieb den Arbeitsvertrag, füllte den Personalfragebogen aus, in dem sie auch angab, zwischenzeitlich aus der Kirche ausgetreten zu sein, und sandte beides an das Krankenhaus zurück. Da ein Wiedereintritt für die Hebamme nicht in Frage kam, wurde ihr gekündigt.
Zwei Gesichtspunkte sind zum Verstehen des Falls wichtig. Der erste besteht darin, dass in dem Krankenhaus auch konfessionslose Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten, auch als Hebammen. Damit stellt sich die Frage, warum das Krankenhaus die betroffene Hebamme anders behandelt als die anderen konfessionslosen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Antwort beruht auf dem vorherigen Kirchenaustritt. Aber, so kann man weiter fragen: Konfessionslos ist doch konfessionslos, egal, ob die Hebamme vorher Mitglied der Kirche war, oder nicht? Kann es gewissermaßen eine Konfessionslosigkeit erster und zweiter Klasse geben? Rechtlich wird damit die Frage angesprochen, ob die Ungleichbehandlung der beiden Konstellationen gerechtfertigt werden kann. Nach den Angaben des BAG ergibt sich die Antwort bis hierher praktisch von selbst: Nein.
An dieser Stelle kommt nun der zweite Gesichtspunkt ins Spiel, der vom BAG leider nicht genannt wurde, aber rechtlich eine wichtige Rolle spielt: Für das kirchliche Krankenhaus ist der Kirchenaustritt deshalb als Differenzierungskriterium relevant, weil das Kirchenrecht den Austritt aus der Kirche als Straftat ansieht, daran die nach kirchlichem Recht schwerste Strafe der Exkommunikation knüpft (can. 1364 § 1 Halbs. 1 CIC) und diese überdies als Tatstrafe vorsieht, die von selbst, nur durch Begehen der Straftat ohne vorheriges Verfahren eintritt (can. 1314 Halbs. 2 CIC). Für die Kirche sind es somit zwei verschiedene Dinge von unterschiedlichem Gewicht, ob jemand kein Mitglied ist oder ein Mitglied war, sich dann aber abgewendet hat. Das in der Abwendung zum Ausdruck kommende ablehnende Signal der Hebamme an die Kirche und die Folgerungen, die sich daraus kirchenrechtlich ergeben, sind aus Sicht der Kirche wichtige Differenzierungskriterien – wohlgemerkt: der Kirche.
Der Staat muss dieses Differenzierungskriterium und dessen Gewicht für die Kirche beachten und in seinen Entscheidungen berücksichtigen, hat aber einen eigenen Maßstab zur Entscheidungsfindung. Die Frage ist also nicht, ob der Staat das Differenzierungskriterium der Kirche berücksichtigen muss, das muss er, sondern wie, welcher Stellenwert also diesem Kriterium nach seinem eigenen Recht zukommt.
Hinweise aus bisheriger Rechtsprechung
Dazu hat das BAG dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) einige Fragen vorgelegt. Wie dieser entscheiden wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt natürlich offen. Dennoch ergeben sich aus seiner bisherigen Rechtsprechung einige Hinweise auch für den jetzigen Fall. Einschlägig ist hier die sogenannte Gleichbehandlungsrichtlinie, nach der "eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung ... keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder die Weltanschauung ... nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung ... darstellt" (Art. 4 Abs. 2 Satz 1).
Die hier hervorgehobenen Kriterien "wesentlich", "rechtmäßig" und "gerechtfertigt" hat der EuGH im Fall "Egenberger" dahingehend konkretisiert, dass das Erfordernis einer Religionsgemeinschaft, jemand müsse für eine zu besetzende Stelle deren Mitglied sein, "notwendig", "objektiv geboten" und "mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen muss" und "auf keinen sachfremden Erwägungen" beruhen darf. Nach diesen Kriterien erscheint es durchaus zweifelhaft, dass eine Hebamme in einem kirchlichen Krankenhaus Mitglied dieser Kirche sein muss.
Vermehrt werden die genannten Zweifel durch eine weitere Entscheidung des EuGH im "Chefarztfall". Dort ging es um das Recht eines kirchlichen Krankenhauses, seine internen Regelungen selbst zu bestimmen, und das Recht des Chefarztes in diesem Krankenhaus, sein Privatleben selbst zu gestalten – und nach der Scheidung seiner ersten Ehe eine zweite Ehe einzugehen, wofür ihm unter Verweis auf die kirchlichen Ehevorschriften gekündigt wurde. Dem EuGH erschien die Akzeptanz des kirchlichen Eheverständnisses nicht als notwendige Voraussetzung einer Tätigkeit als Chefarzt im Sinne der Egenberger-Entscheidung und somit nicht als wesentlich im Sinne der Gleichbehandlungsrichtlinie, auch weil andere leitende Mitarbeiter des Krankenhauses nicht katholischer Konfession waren – was mit dem Hebammenfall vergleichbar ist.
Anwendungsvorrang des EU-Rechts?
Das Pikante an der Sache: Damit wird sachlich ein möglicher Konflikt zwischen EU-Recht und nationalem Recht und institutionell zwischen EuGH und BVerfG erkennbar: Der EuGH hatte nämlich im Chefarztfall auch die Beachtung des sogenannten Anwendungsvorrangs des EU-Rechts vor dem nationalem Recht eingefordert, nach dem "ein mit einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen befasstes nationales Gericht … verpflichtet ist, im Rahmen seiner Befugnisse den dem Einzelnen aus … dem … Verbot der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung erwachsenden Rechtsschutz zu gewährleisten …, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lässt". Und neben dem Anwendungsvorrang hob der EuGH den "zwingenden Charakter" hervor, den das "Verbot jeder Art von Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung … als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts" hat.
Wie wird das BVerfG auf den Wink mit dem Zaunpfahl des EuGH reagieren? Wird es das Selbstbestimmungsrecht der Kirche nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 III 1 WRV, immerhin Verfassungsrecht, im Sinne des EuGH unangewendet lassen? Und welche Auswirkungen wird das auf den Hebammenfall haben? Das BVerfG hat die Urteilsverkündung im Egenberger-Fall für dieses Jahr angekündigt. Ob es Gelegenheit bekommt, den Hebammenfall zu entscheiden, bleibt abzuwarten. Kirchliches Arbeitsrecht bleibt in jedem Fall weiterhin spannend!
02.08.2022: Informationen präzisiert/korrigiert. Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich nicht noch einmal mit dem "Chefarztfall".