Primas Welby bittet Missbrauchsbetroffene um Entschuldigung
Anglikaner-Primas Justin Welby hat erneut sexualisierte Gewalt in der Kirche scharf verurteilt. "Während meiner neuneinhalb Jahren als Erzbischof von Canterbury und auch vorher habe ich viele Geschichten gehört über Missbrauch, der vertuscht wurde. Ich hörte von Kindern, die gefoltert wurden, jungen Menschen und vulnerablen Erwachsenen", sagte er am Freitag beim anglikanischen Weltbischofs-Treffen "Lambeth-Konferenz" in Canterbury.
"Ich werde fortfahren, mich mit Tränen in meinen Augen für die Kirche zu entschuldigen, die Sie so schrecklich im Stich gelassen hat", unterstrich Welby: "Wir müssen alles tun, um die Kirche zu einem sicheren Ort für alle Menschen zu machen, wo jeder sich entfalten kann." Das Hauptproblem sei die Verteilung von Macht. "Wenn wir als Bischöfe uns nicht unsere Macht eingestehen, sind wir zu leicht in der Gefahr, sie zu missbrauchen", mahnte Welby die rund 660 anglikanischen Bischöfe und Bischöfinnen, die an der Lambeth-Konferenz teilnehmen.
"Es ist die dunkelste aller dunklen Sünden"
"Die Versuchungen von Macht sind so alt wie Adam und Eva, Kain und Abel", fuhr der Erzbischof fort. "Macht steht hinter dem größten Paradox und Rätsel der Kirche: Wie kann es sein, dass Institutionen, die untrennbar mit dem Evangelium verbunden sind, so böse Dinge tolerieren oder vertuschen, wie es die Kirche so oft getan hat?"
Betroffen seien alle Kirchen der Gemeinschaft: evangelikale, traditionelle und liberale Kirchen. Missbrauchstäter seien alleinstehend oder verheiratet, alt oder jung, Geistliche oder Laien. Die Versuchung für Autoritäten in der Kirche, solche Taten zu vertuschen, bestehe bis heute. "Es ist die dunkelste aller dunklen Sünden, es ist ein Affront gegen das Evangelium von Jesus Christus."
Ausdrücklich lobte er "die Tapferkeit und Widerstandsfähigkeit von Überlebenden, die uns ihre Geschichten immer wieder erzählt haben, Jahr für Jahr, bis ihnen endlich jemand zuhörte. Manchmal nach 30 Jahren." Weiter erklärte Welby, ihm sei bewusst, dass wahrscheinlich unter den Anwesenden einige seien, "die Opfer von vielen verschiedenen Arten von Missbrauch geworden sind, in der Kirche oder sonst irgendwo". Er forderte sie auf, sich an die bei der Konferenz anwesenden Ansprechpartner zu wenden. "Sprechen Sie die Leute an. Schauen wir, was getan werden kann."
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Primas Welby rief die Christen beim anglikanischen Weltbischofstreffen "Lambeth-Konferenz" ebenfalls dazu auf, "Revolutionäre für Gott" zu sein. Die christlichen Kirchen seien ein Ort der "Revolution ohne Gewalt" und spielten eine entscheidende Rolle beim Einsatz für Gerechtigkeit in einer Welt, in der die Klimakrise "Verwüstungen anrichten wird", sagte er laut vorab verbreiteter Meldung am Freitag.
Jetzt brauche es die Weisen der Welt, um Wissenschaft und Technologie nach Gottes Vorstellung und zugunsten der Schwächsten einzusetzen, sagte Welby in seiner zweiten Grundsatzrede auf der knapp zweiwöchigen Konferenz. Ein Beispiel für "den Egoismus der Reichen" sei das Versäumnis, den Covid-Impfstoff zu teilen, mahnte der Ehrenprimas der Anglikanischen Gemeinschaft. Folgen und Probleme dieses Verhaltens würden sich in nicht ferner Zukunft tausendfach zeigen, wenn der Klimawandel etwa durch den steigenden Meeresspiegel Verwüstungen auf der ganzen Welt anrichten werde.
Christen hätten im Laufe der Jahrhunderte eine zentrale Rolle in den sich verändernden Gesellschaften gespielt, erklärte Welby. "Werden sich die Reichen hinter hohe gepanzerte Mauern zurückziehen? Oder werden wir gemeinsam versuchen, das Richtige zu tun?", fragte der Erzbischof. "Es sind die Kirchen, insbesondere die anglikanischen und die römische Kirche, die über die globalen Netzwerke verfügen, um das Richtige zu tun."
Wunder, dass die Ungleichsten in Kirche einander lieben
Die anglikanische Gemeinschaft könne durch ihre globalen Netzwerke eine zentrale Rolle spielen, müsse aber deshalb "geeint" sein – auch wenn sie nicht "einstimmig" spreche. "Das Wunder, das Gott in der Kirche vollbracht hat, ist nicht, dass Gleichgesinnte einander mögen, sondern dass die Ungleichsten einander lieben", sagte er in Anspielung auf Meinungsverschiedenheiten innerhalb der etwa 77 bis 85 Millionen Gläubige umfassenden Gemeinschaft.
Zu seiner Vorstellung von der Kirche als Ort der "Revolution" fügte er hinzu: "Die größte Herausforderung, vor der wir stehen, ist die Veränderung: Wir müssen Kirchen werden, die nach dem leben, was sie sagen, und die damit revolutionär sind." Das gelte auch für kirchliche Institutionen: "Dass wir das Falsche nicht tolerieren, weil es zur Kultur passt oder wir es schon immer so gemacht haben", mahnte der Erzbischof von Canterbury.
Auch Jesus sei ein Revolutionär gewesen. "Wir sollen Revolutionäre bleiben", sagte Welby. "Aber im Gegensatz zu säkularen oder politischen Revolutionen basiert die christliche Revolution auf Gnade, Barmherzigkeit und Vergebung, Großzügigkeit und Engagement." Ziel dieser Revolution sei nicht menschliche Macht oder Einfluss, betonte der Anglikaner-Primas. Vielmehr gehe es um die Nachfolge von Jesus Christus – "die größte Revolution, die die Welt je gesehen hat – aber wir müssen ihm folgen", fügte Welby hinzu.
Die 15. Lambeth-Konferenz, die am Sonntag nach knapp zwei Wochen mit einem Abschlussgottesdienst zu Ende geht, steht unter dem Motto "Gottes Kirche für Gottes Welt". Dabei werden Themen wie Mission, Ökumene, Klimaschutz, Menschenwürde, wissenschaftlicher Fortschritt sowie "Safe Church", also Missbrauchsprävention, diskutiert. (cbr/KNA)