Für Kardinal Woelki erstellte Missbrauchsliste existiert nicht mehr
Der Umgang von Kardinal Rainer Maria Woelki mit Missbrauchshinweisen wirft weiter Fragen auf. Der Kölner Erzbischof hatte sich im Jahr 2015, also einige Monate nach seinem Amtsantritt, eine Namensliste von Kölner Priestern erstellen lassen, gegen die in der Vergangenheit Missbrauchsvorwürfe erhoben worden waren, wie das Erzbistum auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) bereits im Juli mitteilte. Ob der Name eines bundesweit prominenten Geistlichen auf dieser Liste stand, könne heute jedoch nicht mehr ermittelt werden, "da die Liste nicht mehr existiert".
Konkret ging es bei der Anfrage um den Fall des 2019 verstorbenen früheren "Sternsinger"-Chefs Winfried Pilz. 2012 erfuhr das Erzbistum Köln von Anschuldigungen gegen ihn. 2014 erteilte Woelkis Vorgänger, Kardinal Joachim Meisner, dem Geistlichen einen Verweis, legte ihm eine Geldstrafe auf und verbot ihm den Kontakt zu Minderjährigen.
Dieses Verbot wurde aber vermutlich unzureichend oder gar nicht kontrolliert. Denn Pilz lebte 2014 bereits als Ruhestandsgeistlicher im Bistum Dresden-Meißen. Die Verantwortlichen dort erfuhren nach eigenen Angaben erst in der zweiten Juni-Hälfte 2022 von den Anschuldigungen. Ende Juni machten das Erzbistum Köln und das Kindermissionswerk "Die Sternsinger" die Vorwürfe öffentlich. Somit sollten weitere mögliche Betroffene gefunden werden, denn im Jahr 2021 waren dem Erzbistum weitere Hinweise zu Pilz bekannt geworden.
Der KNA liegt eine eidesstattliche Versicherung von Kardinal Woelki vor, wonach er erst ab der vierten Juni-Woche 2022 mit dem Fall Pilz befasst gewesen sei. Sie ist auf den 4. August datiert. Rund einen Monat zuvor hatte die Kölner Pressestelle der KNA noch mitgeteilt: "Wann genau Kardinal Woelki vom Missbrauchsverdacht gegen Msgr. P. erfahren hat, kann mit letzter Sicherheit nicht mehr gesagt werden." Die Abkürzung "Msgr. P." steht für "Monsignore" Pilz, ein Ehrentitel in der katholischen Kirche.
Laut Pressestelle war mit der Vorlage der Liste im Jahr 2015 "keineswegs Einsicht in einzelne Akten" verbunden. Erst nachdem 2018 die sogenannte MHG-Studie – eine bundesweite Missbrauchsuntersuchung der Kirche – veröffentlich worden war, habe Woelki eine Überprüfung "sämtlicher Akten" in seiner Erzdiözese angeordnet. "Aus dieser Überprüfung resultierte später auch die Anzeige des Erzbistums gegen Msgr. P.", so das Erzbistum im Juli.
Picken: "Nicht nachvollziehbar"
Für Woelki, so die Pressestelle weiter, "gab es jedenfalls keinen Anhaltspunkt anzunehmen, dass das Bistum Dresden-Meißen nicht informiert worden war". Im Dezember 2018 hatte das Erzbistum die Akten nachträglich der Staatsanwaltschaft übergeben, wie aus der Missbrauchsuntersuchung der Kanzlei Gercke Wollschläger aus dem Jahr 2021 hervorgeht.
"Es ist kaum nachvollziehbar, dass sich Kardinal Woelki zu seinem Dienstantritt eine Liste von lebenden Missbrauchstätern vorlegen lässt und später das Gercke-Gutachten studiert, in dem anonymisiert von zahllosen Tätern unter den Mitarbeitern seines Erzbistums die Rede ist, ohne sich weiter mit den Einzelheiten zu befassen", kritisierte der ranghöchste Kirchenvertreter in Bonn, Stadtdechant Wolfgang Picken. Der Missbrauchsskandal habe deutlich gemacht, dass "Nichthinsehen", "Nichteinschreiten" und "Nichtbefassen" neue Missbrauchstaten begünstigten. Picken warnte vor einem Glaubwürdigkeitsverlust. (KNA)
23.08., 15:15 Uhr: Zeitfolge im dritten Absatz korrigiert und Meldung ergänzt um Picken.