"Es bleiben Fragen": Jesuit und Psychiater über "Resl von Konnersreuth"
Am 18. September jährt sich der Todestag der zu Lebzeiten weltberühmten Oberpfälzer Bauernmagd Therese Neumann zum 60. Mal. Wundersame Geschichten ranken sich um ihr Leben. Jahrzehntelang soll sie ohne einen Tropfen Wasser ausgekommen sein und nur vom täglichen Empfang der Kommunion gelebt haben. Im Interview gibt der Münchner Jesuit Eckhard Frick eine Einschätzung zu dem Fall. Der Hochschullehrer ist Psychiater und Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
Frage: Professor Frick, war "Resl von Konnersreuth" eine fromme Betrügerin oder eine gottbegnadete Mystikerin?
Frick: Die Antwort hängt von dem Kriteriensystem ab, das wir verwenden. Nach meiner Auffassung meint "wunderbar" nicht etwas Unerklärliches, sondern etwas, das den Glauben trägt und stützt. Wunderbar ist das mystische Einswerden mit dem Leiden Christi, wenn es Menschen zu mehr Glauben führt.
Frage: Sie sind Priester und Arzt. Wie lange kann ein Mensch überleben ohne zu trinken?
Frick: Nur ganz kurze Zeit, wenige Tage.
Frage: Die behauptete Nahrungslosigkeit war "das unerklärbarste und meistdiskutierte Wunder von Konnersreuth". So formuliert es ein Großneffe der "Resl" in einem aktuellen Buch. Der Regensburger Bischof ordnete 1927 eine 15-tägige Überwachung durch medizinisches Fachpersonal an. Die Ärzte fanden keinen Hinweis auf einen Betrug.
Frick: Ihr damaliger Arzt Otto Seidl konnte sie nicht in ein medizinisches Milieu bringen, sie wollte unbedingt zuhause bleiben. Dort haben sie vier Ordensfrauen beaufsichtigt. Hinterher musste man sagen, sie hat wohl nichts gegessen. Die Urinbefunde sprechen allerdings dafür, dass sie nach einer gewissen Phase wieder Nahrung aufgenommen hat. Medizinisch-naturwissenschaftlich bleiben unbeantwortete Fragen. Am Ende ihres Lebens war Therese Neumann übergewichtig. Aber noch einmal: Das hat für mich theologisch überhaupt nichts mit Wunder zu tun. Eine solche Vorstellung ist völlig veraltet und verwechselt das Bezugssystem des Glaubens mit dem der Wissenschaft.
Frage: Im Fall des calvinistisch aufgewachsenen Publizisten Fritz Gerlich war es so, dass er nach Konnersreuth fuhr, um den vermeintlichen Schwindel zu entlarven. Therese Neumann aber hat ihn so beeindruckt, dass er zum Katholizismus konvertierte und zu einem glühenden Bekämpfer der NS-Bewegung wurde.
Frick: Gerlich wurde ein Glaubenszeuge und schon 1934 im Konzentrationslager Dachau ermordet. So etwas ist ein Wunder – und nicht, dass man sich medizinisch nicht erklären kann, wie sich die "Resl" ernährt hat.
„Die Vorstellung, dass Gott außerhalb der Naturgesetze wirkt, ist überholt.“
Frage: In Visionen durchlebte Therese Neumann die Kreuzigung Jesu und trug dann auch entsprechende Wundmale am Körper. Was können Sie zum Phänomen der sogenannten Stigmatisierung sagen?
Frick: Das ist ein psychosomatischer Ausdruck einer Leidensmystik, bekanntestes Beispiel ist Franz von Assisi. Bei Therese von Konnersreuth stand er jeweils in Verbindung mit Festtagen wie dem Karfreitag. Dazu kamen biografische Faktoren wie der Brand eines Stadels in der Nachbarschaft und die Heimkehr des Vaters aus dem Krieg. Wobei man eines sagen muss: Sie war auch eine ganz handfeste Person mit gesundem Menschenverstand und Humor.
Frage: Wie hat sich das geäußert?
Frick: Auf die Frage nach ihrem Übergewicht antwortete sie schlagfertig: Der Heiland macht keine halben Sachen. Auf der anderen Seite hatte sie eine Tendenz zum Rückzug von der äußeren Welt. Deshalb sagt ein Teil der Fachliteratur, dass sie eine dissoziative Störung hatte, was so viel heißt: Da steht eine Person mit beiden Beinen im Leben, zeigt aber auch Anteile, die davon abgespalten sind. Das muss aber nicht bedeuten, dass sie nicht authentisch ist.
Frage: Gibt es eine Erklärung jenseits von Betrug und punktuellem Außerkraftsetzen der Naturgesetze durch Gott?
Frick: Sie insistieren. Deshalb noch einmal: Die Vorstellung, dass Gott außerhalb der Naturgesetze wirkt, ist überholt. Wir sind ständig in einer von Ausnahmen durchzogenen Natur. Die bringen keinen Menschen zum Glauben. Das tut das Zeugnis eines authentischen Lebens. Therese von Konnersreuth hatte offenbar eine große Ausstrahlung. Leute sind scharenweise zu ihr gepilgert, die Nazis hatten große Angst vor ihr und wollten sie möglichst abschirmen.
Frage: Das wollte die Kirche auch.
Frick: Aus gutem Grund. Man muss solchen Phänomenen mit einem nüchternen Geist begegnen. Weil dahinter nicht immer der Glaube steckt, sondern vielleicht Neugier und Sensationshunger. Der Münchner Kardinal Michael von Faulhaber hat damals gesagt: Weder Wundersucht noch Wunderscheu, das Ausschließen von Wundern, sollten unser Urteil trüben. Das war klug.
Frage: Aus der Psychosomatik ist bekannt, wie Seelenkräfte bisweilen erstaunliche körperliche Reaktionen hervorrufen können – und umgekehrt. Bietet sich hier eine Verstehenshilfe?
Frick: Die Psychosomatik begreift den Menschen ganzheitlich als biologisches, psychosoziales und spirituelles Wesen. Das gilt für alle Krankheiten und selbstverständlich auch für Phänomene an Haut, Schleimhäuten und Blutkreislauf. Bei Therese waren es die Augen, die Gegenden der Wundmale Jesu einschließlich der Herzregion. Mit dem Vergrößerungsglas sah ihr Arzt, "wie schweißtröpfchenähnlich eine wäßrige Flüssigkeit sich entleert, die beim Abfließen blutig sich färbt". Dies erinnert an das Angstgebet Jesu am Ölberg ("... und sein Schweiß war wie Blut, das auf die Erde tropfte"). Nun habe ich in Konnersreuth nicht die Lampe gehalten. Ich war nicht dabei und kann zum Einzelfall nichts sagen. Aber es ist ja oft versucht worden, Therese Neumann der Scharlatanerie zu überführen.
Frage: Als sie noch lebte.
Frick: Auch noch nach ihrem Tod. Angeregt durch die Diözese Regensburg gab es nach der Jahrtausendwende ein gerichtsmedizinisches Gutachten zu Blutspuren. Herauskam, ja, es ist wahrscheinlich tatsächlich ihr Blut und nicht irgendein Tierblut oder eine andere Flüssigkeit.
Frage: Stigmatisierungen – passiert so etwas nur religiösen Menschen?
Frick: Otto Seidls Enkel Otmar fand in der Literatur hauptsächlich Fälle im christlichen Kulturkreis, aber auch im muslimischen und selbst bei ungläubigen Menschen.
Frage: Seit 2005 läuft für die "Resl" ein Seligsprechungsverfahren, bei dem auch besagte außergewöhnliche Phänomene überprüft werden. Wie wird das ausgehen?
Frick: Ich bin dafür kein Fachmann. Aber das Verfahren sollte reformiert werden, weil es immer noch diesem alten Stockwerksdenken von Natur und Übernatur verhaftet ist und auf dieser Basis Wunder ermitteln will. Das ist nicht biblisch. Kriterium muss doch sein, was zu Glaube, Hoffnung und Liebe führt – und nicht, was irgendwelche Ärztebüros für unerklärlich halten.