Himmelklar – Der katholische Podcast

Abtpräses Schröder: Sehe, dass Mission sehr viel Gutes gebracht hat

Veröffentlicht am 21.09.2022 um 00:30 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Als Abtpräses der Missionsbenediktiner von St. Ottilien ist Jeremias Schröder in über 20 Ländern unterwegs, um die Klöster seiner Gemeinschaft zu organisieren. Im Interview erzählt er, wie er mit der schwierigen Geschichte der Missionsarbeit umgeht.

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In dieser Woche tritt das erste Mal seit Jahren das Generalkapitel der Benediktinerkongregation von St. Ottilien zusammen. Charakteristisch für die Kongregation ist die Verbindung der benediktinischen Lebensform mit dem Einsatz in der Mission – oder anders gesagt dem Engagement für die jungen Kirchen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Jeremias Schröder, als amtierender Abtpräses Leiter der Kongregation, spricht über den Missionsbegriff, die Missionsgeschichte der Kongregation – und die benediktinische Vielfalt.

Frage: Sie sind Missionsbenediktiner. Obwohl Mission ein Grundauftrag der Christen ist, ist das noch nicht mal nur positiv gesehen. Früher dachte man, Mission bedeutet, Menschen gegen ihren Willen vom Christentum zu überzeugen. Wie definieren Sie Mission heute?

Schröder: Ich würde sagen, das Bild war eigentlich immer falsch. Mission hat immer damit zu tun gehabt, dass man Sehnsüchte der Menschen aufgreift und erklärt, was Jesus Christus bedeuten kann für sie. Das hat sich im Kern eigentlich überhaupt nicht geändert. Das ist die Grundbewegung von Mission.

Mission ist die Fortsetzung von dem, was eigentlich mit der Menschwerdung Gottes begonnen hat. Jesus ist der erste Missionar, der Gesandte Gottes. Gott selbst, der sich selbst auch sendet. Die Kirche führt das fort. Es geht nicht um Werbung für die Kirche, sondern es geht wirklich darum, dass das Ereignis von Jesus Christus, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt und sich für uns hingibt, den Menschen nahegebracht wird und dass sie davon wenigstens mal gehört haben – sich dafür oder meinetwegen auch dagegen entscheiden können. Der Auftrag läuft noch. Wir sind noch nicht überall gewesen.

Frage: Der Anspruch klingt gut, aber das hat ja in den letzten Jahrhunderten nicht nur Positives über die Welt gebracht. Wie gehen Sie als Missionsbenediktiner mit Ihrer Geschichte um?

Schröder: Wir sind da am Grübeln. Es wird zurzeit viel aufgearbeitet, auch rings um unsere Kongregation und unsere eigene Geschichte. Dabei geht es auch darum, wie beispielsweise die Beziehung zum Kolonialismus aussah. Wir haben demnächst einen Studientag in München zum Thema. Aber ich merke jetzt, indem ich mich darauf vorbereite, wie holzschnittartig da die Geschichte oft gezeichnet wird und wie differenziert man sie eigentlich sehen muss. Wir sehen bei uns zum Beispiel in unserer eigenen Missionsgeschichte in Ostafrika, wie sehr sich von Anfang an unsere Mitbrüder auch abgesetzt haben von der deutschen Kolonialregierung. Das war am Anfang heikel. Wir sind im Kontext des Kolonialismus dort aufgetaucht, aber fast sofort war klar: Wir wollen nicht mit den Kolonialautoritäten in einen Topf geworfen werden. Wir haben einen ganz anderen Auftrag.

Als der erste große Aufstand und Befreiungskrieg stattfand im Jahr 1905, hat unser damaliger Erzabt, der zu diesem Zeitpunkt schon in Afrika unterwegs war, gesagt: Dieser Krieg bringt viel Schaden für uns und Verluste, aber wir tragen das mit. Die verteidigen sich so gegen eine fremde Macht, wie wir uns in Deutschland auch gegen andere verteidigt haben. Eigentlich stehen wir auf der Seite der Einheimischen. Da merkt man schon, eine kluge Mission hat sehr früh verstanden, wie sie sich von dieser Instrumentalisierung durch Kolonialismus auch wieder frei machen muss. Und da, wo wir waren, ist das meistens so gewesen. Deswegen bin ich mir gar nicht so sicher, ob ich mir da einen großen Schuh anziehen soll, dass die Mission so viel Leid in die Welt gebracht hat. Ich sehe, dass die Mission sehr viel Gutes gebracht hat: Wie man den Menschen versteht und auch sein Bestreben nach Freiheit. Wie man Sklaverei bekämpft hat und wie auch Kulturen beeinflusst oder geformt worden sind, die Menschenrechte und Demokratie auch tragen können. Da hat die Mission überall eine entscheidende Rolle gespielt.

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Frage: Aber ist das nicht ein inhärenter Konflikt? Wir sind von unserer Botschaft überzeugt, und begegnen Menschen, die schon eine eigene Kultur haben? Wie geht man respektvoll mit den Menschen um und sagt nicht, "wir haben die Wahrheit und ihr habt uns jetzt zu folgen"?

Schröder: Ich würde zwei Dinge dazu sagen, eines historisch: Wir sehen das jetzt wieder an unserem eigenen Beispiel sehr schön. In St. Ottilien gibt es ein Missionsmuseum. Dieses Missionsmuseum dokumentiert die Leidenschaft und diese positive und aufgeschlossene Neugier unserer Mitbrüder, die die Kulturen verstehen wollten. Unsere Mitbrüder haben Grammatiken von Sprachen geschrieben, die es schon gar nicht mehr gibt. Die sind untergegangen im Zuge der Globalisierung oder auch der nationalen Entwicklungen.

Aber die waren wirklich dazu da, nicht um überzustülpen, sondern um erst mal zu verstehen, wie die Menschen leben und wo es Anknüpfungspunkte für das gibt, was das Evangelium bietet. Die französischen Bischöfe haben vor 20 Jahren mal eine sehr schöne Formel gefunden: "Proposer la foi" – den Glauben anbieten. Das ist eigentlich die Kernbewegung von Mission, dass Menschen die Möglichkeit haben sollen, sich für diesen Glauben zu entscheiden. Und das ist, wie wir Mission heute verstehen.

Frage: Das ist ja eigentlich nicht nur eine Frage im Ausland. Wenn man sich ansieht, wie sich unsere Gesellschaft entwickelt, könnte man das ja für uns auch in Westeuropa als Ansatz betrachten?

Schröder: Ganz klar, ja. Wir haben in unseren europäischen Klöstern 2005 einmal ein Symposium gehalten, wo wir gesagt haben, dass Mission in Europa jetzt auch eine Aufgabe für uns ist. In dieses kleine Kloster in Tirol, wo ich jetzt gerade lebe, ist tatsächlich einer unserer ersten nichteuropäischen Missionare ausgesandt worden. Der junge Bruder Justus stammt aus einer Abtei aus Tansania. Im April dieses Jahres hat er seine feierliche Missionsaussendung nach Europa bekommen. Und der Konvent dort, seine Gemeinschaft, das sind fast 100 Mönche, die waren unglaublich stolz, dass sie jetzt zum ersten Mal jemanden nach Europa als Missionar entsenden können.

Frage: Wird das etwas, was in Zukunft wichtiger wird? Man muss sich ja nur die Berufungszahlen in Europa und Afrika angucken. Da ist es ja bald umgekehrt, dass Missionsarbeit bei uns eher in die andere Richtung betrieben werden muss.

Schröder: Ja, aber behutsam. Das ist auch ein Konflikt, den wir in unserer Kongregation momentan vermitteln müssen. Das wird wahrscheinlich auch Thema im Generalkapitel sein, weil einige schon sagen: Schick uns Afrikaner, sodass irgendwelche Strukturen aufrecht erhalten werden können. Ich sage aber, darum geht es nicht. Da muss wirklich eine missionarische Qualität da sein. Es geht nicht nur darum, dass irgendwas noch weiterläuft, weil man im Grunde zu bequem ist, sich zu verändern oder anzupassen. Ich glaube schon, dass wir uns hier bei uns ganz stark verändern müssen, dass auch Kirche anders in Zukunft präsent sein kann, eben nicht mehr so flächendeckend.

Das wäre dann eigentlich ein Verheizen von Potenzial, wenn man einfach nur Mitbrüder aus Nigeria oder sonst wo holt, damit alles noch so weitergeht wie bisher. Das ist falsch. Und wir sagen bei uns: Jemanden nach Europa zu schicken ist denkbar, wenn ganz klar erkennbar wird, dass da ein neuer missionarischer Aufbruch geschieht, dass da wirklich etwas bewegt wird. Aber nicht einfach nur, damit es immer weitergeht wie bisher.

„Für uns Benediktiner ist diese Verschiedenheit eigentlich selbstverständlich. Wir haben auch in unserer Kongregation völlig legitim große Unterschiedlichkeit in der Art und Weise, wie die Klöster leben.“

—  Zitat: Abtpräses Jeremias Schröder OSB

Frage: Im Kontext der Weltsynode und des Synodalen Wegs in Deutschland geht es gerade viel um eigene Ideen zu Themen wie Frauenweihe, Homosexualität und so weiter. Wie sehen Sie das? Sie sind ja nun wirklich ein Mensch, den man da sehr gut fragen kann, weil Sie die verschiedenen Länder aus Ihrer Missionsarbeit kennen.

Schröder: Für uns Benediktiner ist diese Verschiedenheit eigentlich selbstverständlich. Wir haben auch in unserer Kongregation völlig legitim große Unterschiedlichkeit in der Art und Weise, wie die Klöster leben. Wir binden uns ja nicht an den Orden oder an die Kongregation. Wir legen Gelübde ab auf das einzelne Kloster. Und das führt auch dazu, dass sich die Klöster eigenständig entwickeln und auch hoffentlich immer stärker inkulturieren. Das wird bei uns voll bejaht. Das finden wir einfach gut und richtig und freuen uns darüber, dass wir an jedem Ort möglichst tief mit der Kultur vor Ort verbunden sind.

In Ägypten gibt es ein schönes Beispiel, denn viele der Pfarrer, mit denen wir dort zu tun haben, sind ja verheiratet. Das ist bei den koptisch-katholischen Priestern in Ägypten wie auch in vielen östlichen Riten der Fall. Ich habe das dort auch zum ersten Mal erlebt, aber ich muss sagen, das ist ganz schön, das zu erleben. Das geht auch. Die Bischöfe sagen, das ist auch nicht immer einfach. Alle diese Formen haben ihre Vor- und Nachteile. Man sollte nicht meinen, das wäre ein Allheilmittel, aber dort gibt es einen Klerus, der sehr eng mit der Bevölkerung verbunden ist. Das ist natürlich dann auch nicht ganz so beweglich. So einen zölibatären Priester kann man schon ziemlich stark fordern und hin- und herschicken quer durch das ganze Land. Die verheirateten Priester mit Familie sind dann eher ortsgebunden. Die sind dann eben gute Seelsorger vor Ort in den Dörfern und leisten da auch tolle Arbeit. Und das geht sehr schön so, wie ich das erlebt habe.

Ich glaube tatsächlich, dass es die Einheitlichkeit, die da beschworen wird, in Wirklichkeit sowieso nicht gibt. Ich habe auch mal in einem synodalen Vorgang in Afrika Bischöfe erlebt, die groß gesagt haben, sie halten sich genau an das, was von Rom her vorgegeben wird. Da weiß ich dann genau die Art und Weise, wie die ihre Autorität ausüben, nämlich ganz und gar afrikanisch. Das passte da in diesen Kontext. Vielleicht muss auch hier und da noch mal korrigiert werden, aber zu meinen, dass man mit ein paar Formalien einfach so Universalität ausdrücken kann und dann ist alles gegessen, das stimmt überhaupt nicht. Es muss, glaube ich, immer wirklich vor Ort tief einwurzeln.

Papst Franziskus hat dazu 2015 etwas ganz Tolles gesagt. Ich war damals am Ende der Familiensynode dabei. Und die war ja richtig heftig. Das war richtig schwierig, heikel und auch konfliktreich. Am Schluss waren dann viele auch zufrieden mit dem, was da herauskam. Der Papst hat aber in einer improvisierten Schlussansprache gesagt, dass es schwierige Zeiten waren, dass wir viel erlebt haben und auch anhören mussten und dass nicht alles immer gutwillig vorgetragen worden war in der Aula. Er sagte dann, dass wir in einer Zeit leben, in der wir von unserer Verschiedenheit wissen. Heute kriegen wir alles mit. Wir wissen, dass in Nigeria oder auf den Philippinen oder in Brasilien anders gelebt wird als in Deutschland oder Italien. Und wir müssen uns hüten vor der Versuchung des älteren Bruders.

Er meinte damit den älteren Bruder in der Geschichte vom verlorenen Sohn, der voller Bitterkeit daherkommt, als dem jüngeren Sohn mit seinem ganz eigenen Lebensweg diese große Versöhnung geschenkt wird durch den Vater. Er sagt, das ist die Gefahr, dass wir auf die anderen schauen mit Neid und Eifersucht. Und er sagt, wir müssen uns alle überall bemühen, das Evangelium so tief wie möglich zu inkulturieren. Und wir dürfen dabei nicht mit Neid auf andere schauen, die andere Entscheidungen treffen und andere Wege gehen.

Von Renardo Schlegelmilch