Liturgiewissenschaftler: Segnung Homosexueller ist natürlich Liturgie
Am Dienstag hatten belgische Bischöfe ein Schreiben unter dem Titel "Homosexuellen Personen pastoral nahe sein – Für eine einladende Kirche, die niemanden ausschließt" veröffentlicht. Nach eigenen Angaben wollen sie damit keine Liturgie zur Segnung homosexueller Paare einführen. Die römische Glaubenskongregation hatte in einem im März 2021 veröffentlichten Schreiben erklärt, die Kirche habe keine Vollmacht, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu segnen. Gott segne sündige Menschen, nicht aber die Sünde, so die Vatikanbehörde. Das Nein des Vatikans war in Belgien, Deutschland und anderen Ländern auf Kritik gestoßen. Dieser Kritik schlossen sich 281 Theologieprofessoren aus dem deutschsprachigen Raum an. Darunter auch der Liturgiewissenschaftler Ewald Volgger. Er publizierte 2020 einen liturgiewissenschaftlichen Vorschlag zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Im katholisch.de-Interview erklärt er, was im belgischen Schreiben steht und warum es sich dabei sicher um eine Liturgie handle. Zudem fordert er von den deutschen Bischöfen das gleiche Engagement.
Frage: Herr Volgger, was haben die flämischen Bischöfe denn am Dienstag veröffentlicht?
Volgger: Die flämischen Bischöfe haben ein Papier über die Segnung homosexueller Menschen veröffentlicht. Darin schreiben sie, dass gleichgeschlechtliche Personen gesegnet werden können und sehen sich damit auf einer Linie mit Papst Franziskus und manchen Aussagen in Amoris laetitia. Sie haben in dieser Stellungnahme festgehalten, dass es gut ist, dafür eine Segensfeier vorzuschlagen, und skizzieren, wie eine solche Feier aussehen könnte.
Frage: Und wie sieht der Entwurf aus?
Volgger: Der belgische Feiervorschlag ist ein sehr schlichter. Er folgt dem klassischen Aufbau einer Segensfeier. Nach dem Eröffnungswort und dem Eröffnungsgebet folgt eine Schriftlesung, dann ein Gebet der Partner:innen, dann das Gebet der Gemeinschaft für die beiden. Es folgen Fürbitten, Vater unser, Schlussgebet und Segen.
Frage: Der Sprecher des Erzbistums Mechelen-Brüssel hat einen Tag nach der vielbeachteten Veröffentlichung gesagt, dass es sich dabei um keine Liturgie handle…
Volgger: Eine dergestaltige Segensfeier nicht als Liturgie zu bezeichnen, halte ich nicht für sinnvoll. Natürlich handelt es sich hierbei um eine gottesdienstliche Feier, die sakramentalen Charakter hat. Die klassische Theologie bezeichnet dies als Sakramentalie. Der Vorschlag der flämischen Bischöfe beinhaltet die Grundelemente eines Gottesdienstes mit Eröffnung, Gebet, Schriftlesung, gemeinsamer Bitte der Beiden um das Gelingen ihrer Beziehung in Treue mit anschließendem Gebet der Gemeinde für die Beiden. Im Anschluss folgen Fürbitten, ein Schlussgebet und der Segen. Man unterscheidet hier wohl zwischen einer offiziellen, approbierten Liturgie, die eine Bestätigung aus Rom bräuchte und einem praktischen Vorschlag. Dass es aber keine Liturgie sei, kann man aus liturgietheologischer Sicht nicht folgern. Müsste nicht vielmehr danach gefragt werden, was diese Feier vor Gott zählt. Er ruft die beiden durch sein gnadenhaftes Wirken zum gemeinsamen Leben, er schenkt Freundschaft und Treuekraft, mit der sich zwei Partner:innen gegenseitig überantworten. Damit begründen sie einen Lebensentwurf und bauen dabei auf Gott, rufen ihn als Grund ihrer Beziehung und als Begleiter an. Die versammelte Gemeinschaft steht für die beiden im Gebet vor Gott ein, damit er bestärke, was als Geschenk von ihm her an den Beiden erkannt wird und zum Segen für andere werden möchte.
Frage: Rom hat 2021 erklärt, dass die Kirche keine Vollmacht habe, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu segnen. Wie ist vor diesem Hintergrund die Veröffentlichung der Belgier zu bewerten?
Volgger: Ich meine, dass in den vergangenen Jahrzehnten keine lehramtliche Entscheidung so großen Widerstand erweckt hat. Daher sehe ich die Veröffentlichung der belgischen Bischöfe als konsequenten Umgang mit dieser römischen Stellungnahme, die ja nicht nur im deutschen Sprachraum auf sehr großen Widerstand gestoßen war, angefangen bei den Gläubigen über die Bischöfe bis zu Kardinälen. Vor diesem Hintergrund halte ich den Vorschlag der belgischen Bischöfe für konsequent. Sie nimmt die Betroffenen aus pastoraler Sorge ernst.
Frage: In dem Dokument der belgischen Bischöfe findet sich der Hinweis, dass es bei der gesegneten Beziehung nicht um eine Ehe handle. Warum braucht es diesen Hinweis?
Volgger: Ich glaube, dass man hier einen vorsichtigen Weg gehen will. Es ist bekannt, dass es insbesondere in kirchenamtlichen Kreisen eine große Zurückhaltung gibt, Beziehungen von gleichgeschlechtlichen Paaren als Sakrament zu verstehen. Ich habe auch in meinem Vorschlag zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare diese Unterscheidung vorgenommen, weil ich glaube, dass es nicht notwendig ist, theologisch so eine Gleichstellung vorzunehmen. Eine Segensfeier gleichgeschlechtlicher Paare kann durchaus mit einer sehr hohen liturgietheologischen Qualität versehen werden, ohne dass es sich dabei um das Sakrament der Ehe handeln muss. Mit dieser Differenzierung wollen die Bischöfe dieser theologischen Unterscheidung Rechnung tragen. Ich sehe diese Betonung positiv, da sie eine Segnung ermöglicht, ohne die Ehetheologie zu bemühen.
Frage: Die belgischen Bischöfe betonen, dass die Feier in aller Einfachheit geschehen solle. Was hat es damit auf sich?
Volgger: Das ist eine sehr undifferenzierte Sprechweise, weil damit nicht wirklich deutlich wird, was damit gemeint ist. Den Moment, in dem eine Gemeinschaft sich versammelt, das Wort Gottes hört und Gott um den Segen für ein Paar bittet, kann man doch nicht einfach als „Tun in Einfachheit“ bezeichnen. Das ist mir dann doch etwas zu undifferenziert. Sich in der Diktion so weit zurückzunehmen, dass nicht mehr klar ist, was es sein soll, halte ich für unangemessen für die Feier eines Segens, mit dem zwei Menschen sich in Liebe und Treue versprechen, damit Verantwortung füreinander übernehmen und Gott als den Geber alles Guten dafür anrufen. Hier scheint mir Kirchendiplomatie handlungsleitend zu sein.
Frage: Fernab der Diplomatie: Wie bewerten Sie aus liturgiewissenschaftlicher Sicht das Papier der belgischen Bischöfe?
Volgger: Es ist sicher keine Revolution, weil es schon seit langem eine Vielzahl von liturgischen Entwürfen für die Segensfeier gleichgeschlechtlicher Paare gibt. Ich sehe in dem bischöflichen Vorschlag eher eine pastorale Konsequenz, die anerkennt was schon lange von Priestern und auch Bischöfen bis hin zu Kardinälen praktiziert wird. Dazu sagen die belgischen Bischöfe endlich “Ja”.
Frage: Und wie ist das Papier aus kirchenpolitischer Sicht zu bewerten?
Volgger: Aus kirchenpolitischer Sicht ist es sicher eine Revolution, weil hier Bischöfe endlich den Mut haben, zu sagen: “Es ist notwendig und wir brauchen es” und einen konkreten Schritt setzen.
Frage: Sie haben sich ja selbst mit Segensfeiern beschäftigt. Wie ist die Lage im deutschsprachigen Raum und wo lässt sich da der belgische Entwurf einordnen?
Volgger: Der belgische Entwurf hat auf einer Seite alles, was ein Entwurf braucht. Man könnte vielleicht noch die Übergabe eines Zeichen ergänzen und die Lieder und die Musik im Auge haben, die für eine Feier immer auch von wesentlicher Bedeutung sind. Im deutschen Sprachraum gibt es eine Vielzahl von Vorschlägen. Ich habe 2020 einen liturgiewissenschaftlich und liturgietheologisch reflektierten Entwurf zur Benediktion von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften vorgelegt. Viele andere kommen aus der Praxis. Schon seit vielen Jahren werden Bausteine zur Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren vorgelegt. Ein sehr guter Entwurf außerhalb der katholischen Kirche ist die Partnerschaftssegnung der Alt-katholischen Kirche, die interessanterweise auch gerne von katholischen Partnerinnen und Partnern aufgegriffen und praktiziert wird. Liturgietheologisch ist der Entwurf der Alt-katholischen Kirche wertvoll. Auch im italienischen Raum gibt es Ansätze, die mit Unterstützung italienischer Bischöfe und Kardinäle rechnen dürfen.
Frage: Wenn es so viele Entwürfe gibt: Was sehen sie als nächsten Schritt?
Volgger: Es ist an der Zeit, dass auch die deutschen Bischöfe eine Arbeitsgruppe einsetzen und auf Grundlage der vorliegenden Entwürfe ein ähnliches Papier herausgeben, wie es die belgischen Bischöfe getan haben. Eine Modellfeier können die Bischöfe auch ohne römische Approbation veröffentlichen. Es gibt ja genug Bischöfe, die selbst segnen oder zumindest in der Zeitung erklären, dass sie segnen würden, wenn sie gefragt werden. Dann müssen sie auch etwas tun. Wenn Liturgie von einem Amtsträger gefeiert wird, ist es Liturgie der Kirche.